Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bei der Bundesagentur für Arbeit. kein Erstattungsanspruch des erstangegangenen Rehabilitationsträgers gegen den vermeintlich zuständigen Leistungsträger. keine Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB 6. rückwirkende Erwerbsminderungsrentenbewilligung. Prognoseentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

§ 14 Abs 1 S 4 SGB IX aF verbietet quasi der Bundesagentur für Arbeit Feststellungen, ob die Voraussetzungen nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI vorliegen, weil - im Gegensatz zur Klärung der Zuständigkeitsabgrenzung zum Träger der Rentenversicherung nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 2 und § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI - diese Voraussetzungen nicht innerhalb kurzer Zeit zu klären sind, sondern einen erheblich umfangreicheren Prüfungsaufwand erfordern würden.

 

Orientierungssatz

1. Erbringt die Bundesagentur für Arbeit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben als erstangegangener Rehabilitationsträger, so kann sie sich als vermeintlich unzuständiger Rehabilitationsträger nicht auf § 14 Abs 4 S 1 SGB 9 (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) als Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch gegen den vermeintlich zuständigen Leistungsträger (hier: Träger der gesetzlichen Rentenversicherung) berufen.

2. Zum Umfang der Feststellungen hinsichtlich der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Teilhabe aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Prüfung nach § 14 SGB 9 (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung), wenn der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bei der Bundesagentur für Arbeit als erstangegangener Leistungsträger gestellt wird.

3. Bei der Prüfung der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB 6 kommt es nicht darauf an, ob es dem Versicherten irgendwann einmal wieder gelingen könnte, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu verrichten. Maßgebend ist vielmehr, ob im Zeitpunkt der Antragstellung auf die konkrete Leistung eine Prognoseentscheidung erfolgen kann.

4. Hierbei ist die Prognoseentscheidung über eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt iS des § 102 Abs 2 SGB 6 nicht identisch mit der notwendigen Prognoseentscheidung des Leistungsträgers bei Antragstellung auf entsprechende Rehabilitationsleistungen.

5. Mit der von § 14 SGB 9 (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) bezweckten raschen Klärung der Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe innerhalb von 2 Wochen soll ein länger andauernder Zuständigkeitskonflikt zwischen den Leistungsträgern zu Gunsten des Versicherten vermieden werden. Diese Regelung stellt für Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine abschließende Regelung dar, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im SGB 1 vorgeht.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.04.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren beider Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert beider Instanzen wird auf jeweils 49.065,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin von der Beklagten die Erstattung aufgewendeter Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) an den Versicherten C., geb. 1987, in der Zeit vom 01.06.2015 - 31.08.2016 in Höhe von 49.065,00 € verlangen kann.

Der Versicherte C. hatte keine Berufsausbildung absolviert und war zuletzt als Lagerhelfer tätig. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 ist zuerkannt.

Aus einem "Abschlussbericht" vom 08.11.2012 ergaben sich frühere Vermittlungsbemühungen der Klägerin für den Versicherten. Festgehalten ist dort, dass der Versicherte die Förderschule besucht und mehrere Praktika gemacht habe. Er leide unter starker Neurodermitis. Das Arbeitstempo sei sehr langsam, Stimmungsschwankungen würden seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Ein Praktikum bei D habe er strikt abgelehnt, ein Praktikum bei B nicht angetreten, ein Praktikum bei E nach nur einem Tag abgebrochen. Völlige Blockade habe aus Angst vor neuem Praktikum bei einer anderen Firma vorgelegen. Es habe dann doch eine Eingewöhnung erfolgen können. Nach 3 Monaten sei aber Krisenintervention wegen Konflikten im privaten Bereich erforderlich gewesen. Trotzdem kam es dann zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages zum November 2012. Die Tätigkeit führte der Versicherte bis zum 30.09.2014 aus, danach bestand Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit.

Am 10.02.2015 wurde der Versicherte von L1 vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit G1 untersucht sowie am 16.02.2015 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B1, der beim Versicherten eine schwere Lernbehinderung bei grenzwe...

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