Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Berücksichtigung von Unterkunftskosten bei Nichtzahlung der Miete durch den Leistungsberechtigten

 

Leitsatz (amtlich)

Die Berücksichtigung eines Bedarfs für Unterkunft setzt alleine voraus, dass der Leistungsberechtigte einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Zahlt der Leistungsberechtigte seine Miete nicht, weil er die bewilligten Leistungen anderweitig verbraucht, lässt dies seinen Leistungsanspruch nicht nachträglich entfallen.

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012 wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012 wird verworfen.

III. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung der für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen der Nichtzahlung der Miete durch den Kläger an seine Vermieterin.

Nach seinem Umzug aus dem M.-Kreis bezog der Kläger ab 01.11.2005 Alg II vom Beklagten. Er leidet insbesondere unter einer Laktose- und Fruktoseintoleranz. Nach dem Mietvertrag der bis zum 30.11.2011 bewohnten Wohnung und der Bescheinigung der Vermieterin betrug die Miete zunächst 305 € (Kaltmiete 220 €, kalte Nebenkosten 45 € und Heizung 40 €) und wurde vom Beklagten - gemäß der Vereinbarung im Mietvertrag - bis 31.10.2009 und wieder ab 01.05.2010 direkt an die Vermieterin überwiesen.

Mit Bescheid vom 29.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2011 bewilligte der Beklagte vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 iHv monatlich 803,33 €. Die monatliche Miete iHv 338 € werde weiterhin an die Vermieterin überwiesen.

Nach Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (DRV), der Kläger erhalte ab 01.11.2010 bis 30.04.2012 eine arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.02.2011 die Bewilligung des Alg II für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 auf monatlich 231,10 € ab. Wegen des nur noch ergänzenden Leistungsanspruchs könne die Miete nicht länger direkt an die Vermieterin überwiesen werden. Unterkunftskosten würden iHv 375,53 € anerkannt. Der Kläger sei verpflichtet, diesen Betrag an die Vermieterin bzw. die zuständigen Stellen vollständig zu zahlen, andernfalls müsse er mit einer Rückforderung der zweckwidrig verwendeten Leistungen rechnen. Entsprechende Zahlungen seien jeweils bis zum 10. des Monats nachzuweisen.

Mit Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 01.03.2011 ganz auf, da der Kläger keine Nachweise für die anfallenden Unterkunftskosten vorgelegt habe. Der Kläger sei im Bescheid vom 17.02.2011 darüber informiert worden, dass die Unterkunftskosten nicht mehr direkt an die Vermieterin überwiesen werden würden und er verpflichtet sei, die vollständigen berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 375,53 € an seine Vermieterin weiterzuleiten. Trotz entsprechender Aufforderung habe der Kläger keinen Nachweis für die Mietzahlungen ab 01.03.2011 vorgelegt. Unterkunftskosten, die ein Leistungsberechtigter nicht zahle, stellten keinen Bedarf im Sinne von "tatsächlichen Aufwendungen" dar. Den übrigen Bedarf habe er mit seinem Renteneinkommen decken können. Die entsprechende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse habe der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt.

Im Rahmen einer Vorsprache gab die Vermieterin beim Beklagten an, der Kläger habe seit dem 01.03.2011 keine Mietzahlungen mehr geleistet. Mit Urteil des Amtsgerichts O. - Zweigstelle M. - vom 02.11.2011 (14 C 372/11) wurde der Kläger u.a. zur Räumung seiner Wohnung und Zahlung von Mietrückständen für die Zeit von März bis August 2011 iHv insgesamt 2.028 € sowie Restschulden aus Haus- und Heizkostenabrechnungen für 2009 und 2010 iHv 514,87 € verurteilt. Nach einem Umzug zum 01.11.2011 bewilligte der Beklagte wieder Alg II.

Mit seiner beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 beantragt. Neben der Rentengewährung durch die DRV habe der Beklagte ergänzend Alg II zu zahlen. Mittlerweile könne er keine Miete mehr bezahlen, da seine medizinische Versorgung vorrangig sei. Mit Urteil vom 16.02.2012 hat das SG den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 aufgehoben. Die Tatsache, dass der Kläger keine Mietzahlungen erbringe, sei für den Bedarf unerheblich. Es genüge, wenn der Leistungsberechtigte einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Es fehle an einer wesentlichen...

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