Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Besuch einer integrativen Kindertagesstätte. Geltendmachung von Fahrtkosten von und zur Einrichtung. Erforderlichkeit der Kosten. Vorhandensein anderer geeigneter Einrichtungen in Wohnsitznähe. Wahlrecht der Eltern hinsichtlich der Einrichtung. Behinderungsbedingtheit der Kosten. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Das Elternrecht nach Art 6 Abs 2 S 1 GG beinhaltet keinen unmittelbaren Leistungsanspruch und auch keinen Leistungsanspruch kraft Ausstrahlung über sozialhilferechtliche Vorschriften.

 

Leitsatz (amtlich)

Als Eingliederungshilfemaßnahme in Betracht kommen grundsätzlich alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer geeigneten Schulbildung erforderlich sind, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern und so das im Gesetz formulierte Ziel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen. Die Übernahme von Fahrtkosten als Eingliederungshilfemaßnahme zur Vorbereitung der angemessenen Schulbildung setzt aber eine Prüfung der Erforderlichkeit im konkreten Fall voraus. Der Fahrtkostenaufwand kann zB dann nicht erforderlich sein, wenn es andere wohnsitznähere geeignete Kindertageseinrichtungen gibt, in denen die Vorbereitung einer angemessenen Schulbildung möglich ist, woran auch das Wahlrecht nach § 9 Abs 2 SGB XII nichts ändert, und wenn der Fahrtkostenaufwand nicht behinderungsbedingt ist. Bei Fehlen der konkreten Erforderlichkeit ist eine Übernahme der Fahrtkosten auch nicht als "Annexleistung" zu sonstigen Eingliederungshilfemaßnahmen geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen B 8 SO 18/18 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.12.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für den Fahrdienst zum Besuch eines integrativen Kindergartens für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.08.2015 in Höhe von 2.310,00 € streitig. Ferner begehrt die Klägerin 4% Zinsen aus diesem Betrag seit dem 01.09.2015.

Die 2008 geborene Klägerin wohnt in A-Stadt, A-Straße. Sie leidet u.a. an einer Autismusspektrumsstörung (Asperger-Syndrom) und an einer expressiven Sprachentwicklungsstörung. Sie hat einen Grad der Behinderung von 80 mit den Merkzeichen "B", "G" und "H". Die Klägerin erhält fortlaufend interdisziplinäre Frühförderung. Von September 2011 bis zum 31.08.2015 besuchte sie den Integrativen Kindergarten "G." (im Folgenden G) in A-Stadt, Z-Straße 25. Der Kindergarten ist laut Selbstauskunft vom 22.5.2012 eingruppig mit zehn Regelplätzen und fünf integrativen Plätzen. Seit dem 15.09.2015 ist die Klägerin eingeschult.

Mit Bescheid vom 20.01.2012 bewilligte der Beklagte Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für die teilstationäre Betreuung in der integrativen Kindertageseinrichtung G ab 01.09.2011 bis vorerst 31.08.2012 zu den jeweils gültigen Entgeltsätzen. Mit Bescheid vom 24.08.2012 erfolgte eine entsprechende Bewilligung für den Folgezeitraum bis 31.08.2013, mit Bescheid vom 08.07.2013 eine entsprechende Bewilligung für den Folgezeitraum bis zur Einschulung.

Mit weiterem Bescheid vom 24.08.2012 übernahm der Beklagte im Rahmen der Eingliederungshilfe die ab 01.09.2012 bis 31.08.2013 anfallenden Kosten der interdisziplinären Frühförderung. Den Bescheid nahm die Beklagte mit Bescheid vom 12.09.2012 "aufgrund eines internen Fehlers" zurück und bewilligte die ab 17.04.2012 bis 31.03.2013 anfallenden Kosten der interdisziplinären Frühförderung. Mit Bescheid vom 08.01.2013 erfolgte eine Bewilligung für den Folgezeitraum bis 01.01.2014.

Eine Regelung der Fahrtkosten nahm der Beklagte nicht vor, insbesondere nicht in den genannten Bescheiden. Gleichwohl wurden die Fahrtkosten bis zum 31.08.2013 übernommen.

Mit Schreiben vom 12.07.2013 beantragte der Verein für Menschen und mit Schreiben vom 09.08.2013 die Klägerin vertreten durch ihre Eltern die Verlängerung der Übernahme der Fahrtkosten.

Mit Bescheid vom 21.10.2013 (Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 24.04.2014) lehnte der Beklagte nach Anhörung und Stellungnahme der Eltern die Fahrtkostenübernahme für den Besuch des G ab. Die beantragten Mehrkosten seien keine behinderungsbedingten Mehraufwendungen. Auch Eltern nichtbehinderter Kinder müssten die Fahrtkosten zum von ihnen gewählten Kindergarten selbst tragen. Die Kostenübernahme in der Vergangenheit sei ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes erfolgt, was dem Anbieter ausdrücklich mitgeteilt worden sei. Auch wenn die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Eingliederungshilfe habe, stünden Art und Maß der Hilfe im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers. Daher seien in diesem Bereich auch allgemeine Richtlinien zulässig. Nach einer allgemeinen Entscheidung des Beklagten würden die Fahrtkosten für den Spezialbeförderungsdienst in eine integ...

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