Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes wegen Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Als Zeit der Schul- und Berufsausbildung im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB VII ist auch eine Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten anzusehen, sofern sich diese im Rahmen des Üblichen hält.

2. Der Gesetzgeber hat die Einstiegsqualifizierung (EQ) als Fördermaßnahme geschaffen, die typischerweise den Übergang junger Menschen vom Schulabschluss zur Berufsausbildung erleichtern und ggf. Defizite der Schulausbildung mit dem Ziel der anschließenden qualifizierten Berufsausbildung ausgleichen soll. Diese Maßnahme ist nicht generell auf nicht ausbildungswillige oder nicht ausbildungsreife Personen beschränkt, sondern kommt auch zur Förderung ausbildungswilliger und ausbildungsreifer Personen in Betracht, die keinen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf erhalten haben, z.B. dann, wenn Arbeitgeber wegen des Schulzweigs Zweifel an ausreichenden technischen Vorkenntnissen für den speziellen Ausbildungsberuf haben.

3. Als unvermeidbare Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB VII kommt die Teilnahme an einer EQ-Maßnahme zumindest dann in Betracht, wenn ein ausbildungswilliger und ausbildungsreifer junger Mensch eine begonnene Berufsausbildung abbricht, um über die geförderte EQ einen Ausbildungsplatz in seinem Wunschberuf zu erhalten.

 

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 30.10.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2017 verpflichtet, dem Kläger unter Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes mit 45.097,17 Euro entsprechend dem im August 2014 vorgesehenen Arbeitsentgelt eines Fertigungsmechanikers nach Entgeltgruppe 5 des Tarifvertrages für die bayerische Metall- und Elektroindustrie ab 01.09.2014 entsprechend höhere Verletztenrente zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) Anspruch auf höhere Verletztenrente hat.

Der 1993 in D-Stadt geborene Kläger wechselte nach der 7. Klasse 2007 von der Hauptschule auf die Private Wirtschaftsschule B. (D-Stadt), die er mit dem Wirtschaftsschulabschluss - mittlerer Schulabschluss - im Juli 2010 abschloss. Auf das Zeugnis der Wirtschaftsschule vom 23.07.2010 und das Jahrgangszeugnis der Hauptschule vom 27.07.2007 wird verwiesen. Der Kläger bewarb sich erfolglos auf Ausbildungsstellen für technische Berufe, u.a. bei der B. AG in D-Stadt um eine Ausbildung im dreijährigen Ausbildungsberuf des Fertigungsmechanikers. Nach Auskunft des Klägers im Schreiben vom 20.11.2016 wurde ihm kein Ausbildungsplatz angeboten, weil er einen kaufmännischen Abschluss hatte und ihm schulische Vorkenntnisse im technischen Bereich, wie sie Haupt- oder Realschüler aufweisen, gefehlt hätten.

Daraufhin besuchte der Kläger ab 13.09.2010 die Berufsfachschule für Büroberufe der Stadt D., die die Möglichkeit einer schulischen dreijährigen Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation (Ausbildungsberuf bis 31.07.2014) anbot. Der Kläger beendete diese Ausbildung zum 28.10.2010, weil er am 26.10.2010 einen Einstiegsqualifizierungsvertrag mit der B. AG D-Stadt über eine Einstiegsqualifizierung (EQ) für den Tätigkeitsbereich Fertigungsmechaniker für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 30.06.2011 abschließen konnte. In diesem Vertrag wurde Folgendes ausgeführt:

"Die Einstiegsqualifizierung ist auf die Vermittlung und Vertiefung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit ausgerichtet. Die zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten bereiten auf einen anerkannten Ausbildungsberuf vor. Die Beschreibung der betrieblichen Einstiegsqualifizierung ist beigefügt. (...)

6. Der zu Qualifizierende wird sich bemühen, die Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die erforderlich sind, um das Qualifizierungsziel zu erreichen. Er verpflichtet sich zu lernen und an den Qualifikationsphasen teilzunehmen. Das Qualifizierungsziel ist erreicht, wenn der Betrieb mindestens vier der Beurteilungskriterien mit mindestens "ausreichend erkennbar" bewertet."

Vereinbart wurde eine zweimonatige Probezeit, eine regelmäßige tägliche Qualifizierungszeit von sieben Stunden, eine Vergütung von monatlich netto 212 €, Urlaubsanspruch (4 Arbeitstage 2010 und 11 Arbeitstage 2011) und Freistellung für den Berufsschulbesuch, soweit Berufsschulpflicht besteht. Nach Ablauf der Probezeit war Kündigung nur aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich bzw. der zu Qualifizierende konnte mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen kündigen.

Nach der beigefügten Beschreibung der Einstiegsqualifizierung "Maschinen- und Fertigungseinrichtung" umfasste diese die Tätigkeitsbereiche Zu...

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