Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Anspruchseinschränkung. Gewährung und Fortbestehen internationalen Schutzes durch einen anderen Staat. Zumutbarkeit einer Rückkehr in den schutzgewährenden Staat. Bedingungen in Griechenland

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist für die Regelung des § 1a Abs 4 S 2 Nr 1 AsylbLG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu fordern, dass den Betroffenen die Rückkehr in den anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, der internationalen Schutz gewährt, aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist.

2. Hier: Leistungseinschränkung nach § 1a Abs 4 S 2 Nr 1 AsylbLG bei Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.07.2021 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.06.2021 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021, längstens aber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) unter Anrechnung der für diesen Zeitraum bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

II. Der Antragsgegner erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin beider Instanzen.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, B-Stadt, beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.

IV. Der Beschluss ist unanfechtbar.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner Anspruch auf vorläufige höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 hat.

Die 1993 geborene Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist über Griechenland am 07.03.2021 in das Bundesgebiet eingereist und stellte am 24.03.2021 Antrag auf Asyl. Über den Asylantrag ist bisher nicht entschieden worden. Die am 24.03.2021 erteilte Aufenthaltsgestattung (§ 55 Asylgesetz -AsylG-) ist weiterhin gültig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilte unter dem 06.05.2021 mit, dass die Antragstellerin in Griechenland einen internationalen Schutz vom 30.03.2021 bis zum 29.03.2024 erlangt hätte.

Mit Bescheid vom 17.06.2021 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit vom 10.06.2021 bis 30.06.2021.

Nach Anhörung stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.06.2021 für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2021 die Einschränkung der Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG fest und gewährte der Antragstellerin Leistungen für Ernährung, Gesundheits- und Körperpflege in einem Umfang von insgesamt 163,00 Euro monatlich. Daneben würden Leistungen der Unterkunft einschl. Heizung und Strom als Sachleistungen gewährt. Krankenhilfe ergebe sich aus § 4 AsylbLG. Wegen des zuerkannten internationalen Schutzes in Griechenland, der weiterhin fortbestehe, seien die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG erfüllt.

Gegen den Bescheid vom 24.06.2021 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Widerspruch vom 22.07.2021, über den noch nicht entschieden wurde.

Mit Eingang am 22.07.2021 hat der Bevollmächtigte beim Sozialgericht Würzburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin für die Zeit vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 ungekürzte Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) zu bewilligen.

Das Sozialgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 30.07.2021 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei unbegründet. Es bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Abs. 1 AsylbLG und an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner festgestellten Anspruchseinschränkung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Leistungseinschränkung seien erfüllt. Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, vorläufig Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG zu erbringen, sei unbegründet.

Gegen diesen Beschluss hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin am 06.08.2021 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Unter dem Az. L 19 AY 76/21 B PKH ist beim Bayer. Landessozialgericht die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss vom 30.07.2021 anhängig.

Der Bevollmächtigte führt aus, die Regelung des § 1a AsylbLG sei verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Auch sei eine Anspruchseinschr...

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