Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat

Eine Aktiengesellschaft wird grundsätzlich durch ihren Vorstand vertreten. § 112 S. 1 AktG macht hiervon eine Ausnahme: gegenüber Mitgliedern des Vorstands vertritt sie der Aufsichtsrat. Dies gilt nach einer aktuellen BGH-Entscheidung auch bei Rechtsgeschäften, die nicht unmittelbar mit einem Vorstandsmitglied geschlossen werden, sondern mit einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter das Vorstandsmitglied ist.

Hintergrund:

Die klagende Aktiengesellschaft hat (als Käuferin), vertreten durch einen Vertreter ihres Vorstands, mit der beklagten GmbH (als Verkäuferin) einen Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag über deren Anteile an einer weiteren GmbH („Ziel-GmbH“) geschlossen. Der Vertrag sah dabei als aufschiebende Bedingung für die Anteilsübertragung den Abschluss eines Vorstandsdienstvertrags zwischen der Käuferin und dem Alleingesellschafter der Verkäuferin vor. Der Vorstandsdienstvertrag war wiederum bedingt durch die Zahlung des Kaufpreises. Der Alleingesellschafter der Verkäuferin sollte also – gleichzeitig mit der Übertragung der Geschäftsanteile an der Ziel-GmbH ­– Vorstand der Käuferin werden. Am Tag der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags wurde der Alleingesellschafter der Verkäuferin durch den Aufsichtsrat der Käuferin zum Vorstand bestellt und der Vorstandsdienstvertrag unterzeichnet. Die Käuferin zahlte zudem den Kaufpreis und wurde in die Gesellschafterliste der Ziel-GmbH als neue Gesellschafterin aufgenommen.

Die Klägerin forderte später nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB den Kaufpreis von der Verkäuferin mit der Begründung zurück, dass der Anteilskaufvertrag wegen eines Verstoßes gegen § 112 S. 1 AktG nichtig sei. Der Kaufvertrag hätte auf Seiten der Käuferin nicht vom Vorstand (oder einem Vertreter des Vorstands), sondern vom Aufsichtsrat unterzeichnet werden müssen. Sowohl das LG in der Erst- als auch das OLG Dresden in der Berufungsinstanz haben der Klage stattgegeben:

§ 112 S. 1 AktG sei bei einem Vertragsschluss zwischen einer AG und einer Ein-Personen-Gesellschaft eines künftigen Vorstandsmitglieds anwendbar. Bei einer wirtschaftlichen Identität zwischen Vorstand und Vertragspartner, wie sie unzweifelhaft bei einer Ein-Personen-Gesellschaft gegeben sei, liege eine vergleichbare abstrakte Gefährdung der Gesellschaftsinteressen wie beim Vertragsschluss mit dem Vorstandsmitglied selbst vor. Darüber hinaus sei für die Anwendbarkeit von § 112 S. 1 AktG unerheblich, ob die Bestellung zum Vorstand vor oder nach der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags erfolgt sei, weil von der Vorschrift auch Geschäfte im Vorfeld der Bestellung erfasst würden.

Die Entscheidung des BGH (Az.: II ZR 392/17)

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der BGH hat sich der Auffassung des OLG Dresden und der insoweit herrschenden Ansicht in der Literatur angeschlossen und hält § 112 S. 1 AktG jedenfalls dann für anwendbar, wenn die AG ein Rechtsgeschäft mit einer Gesellschaft abschließt, deren Alleingesellschafter ein Vorstandsmitglied ist.

Zwar lasse sich dem Wortlaut der Vorschrift nichts für oder gegen eine erweiternde Auslegung entnehmen. Zudem spreche auch die Systematik von § 112 S. 1 AktG als Ausnahme der ausschließlichen Vertretungsmacht des Vorstands nach § 78 Abs. 1 AktG für eine enge Auslegung. Jedoch schließe dies die Anwendung über den Wortlaut hinaus nicht grundsätzlich aus:

Entscheidend für eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs ist nach Auffassung des BGH der Schutzzweck des § 112 S. 1 AktG. Ohne Einbeziehung der Ein-Personen-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds wäre einer Umgehung des § 112 Satz 1 AktG Tür und Tor geöffnet. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs stehe zwar im Spannungsverhältnis mit dem gesetzlichen Kompetenzgefüge des Aktienrechts, dies sei allerdings in § 112 Satz 1 AktG selbst angelegt und in Abwägung mit dessen Schutzzweck hinzunehmen.

Ferner ist nach Auffassung des BGH für die Anwendung von § 112 Satz 1 AktG unerheblich, ob die Bestellung zum Vorstand zeitlich vor oder erst nach der Beurkundung des Geschäftsanteilskaufvertrags erfolgt. Auch insoweit sei der Wortlaut der Vorschrift zu eng und der Aufsichtsrat nicht nur gegenüber amtierenden Vorstandsmitgliedern zur Vertretung befugt, sondern auch gegenüber Personen, die erst künftig zum Vorstand bestellt werden sollen. Das gelte jedenfalls dann, wenn es um Rechtsgeschäfte gehe, die im Vorfeld der beabsichtigten Bestellung erfolgen und mit dieser in Zusammenhang stehen.

Anmerkung:

Das Urteil des BGH ist grundsätzlich zu begrüßen und schafft Klarheit im Umgang mit Gesellschaften, deren alleiniger Gesellschafter ein Mitglied des Vorstands ist. Wie bei Rechtsgeschäften mit einem Vorstandsmitglied selbst, ist auch hier der Aufsichtsrat gem. § 112 S. 1 AktG für die Vertretung der Gesellschaft zuständig.

Auch den Ausführungen zum zeitlichen Anwendungsbereich der Norm ist zuzustimmen. Ohne die Vorverlagerung wäre die Umgehung von § 112 S. 1 AktG und dem damit verfolgten Schutz der Gesellschaftsinteressen allein durch die zeitliche Abfolge von Abschluss des Rechtsgeschäfts und Bestellung zum Vorstand möglich. Die hieraus resultierende Unsicherheit, ob ein Rechtsgeschäft im Vorfeld der Bestellung bereits unter § 112 S. 1 AktG fällt oder nicht, hat der Senat dabei nicht übersehen und festgestellt, dass dies aufgrund des Schutzzwecks – die Sicherstellung einer unbefangenen Vertretung der Gesellschaft – hinzunehmen sei.

Explizit offengelassen hat der BGH indes zum einen, wie Fälle zu behandeln sind, bei denen das Vorstandsmitglied kein Alleingesellschafter, sondern „nur“ maßgeblich oder beherrschend an der anderen Gesellschaft beteiligt ist. Hier spricht viel dafür, den Anwendungsbereich von § 112 S. 1 AktG nicht weiter auszudehnen und mit Blick auf die Rechtssicherheit die Vertretung der Gesellschaft dem grundsätzlich hierfür zuständigen Vorstand zu überlassen.

Zum anderen hat der BGH die hochumstrittene Frage unbeantwortet gelassen, welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß gegen § 112 S. 1 AktG ergeben ¬– ob kompetenzwidrig abgeschlossene Geschäfte also generell gem. § 134 BGB nichtig sind oder die Regelungen der Vertretung ohne Vertretungsmacht nach §§ 177 ff. BGB Anwendung finden. Überzeugend ist Letzteres. Das Rechtsgeschäft ist zunächst schwebend unwirksam und kann – sofern es im Einzelfall im Interesse des Unternehmens liegt – vom eigentlich zuständigen Aufsichtsrat nachträglich genehmigt und damit endgültig wirksam gemacht werden.

Rechtsanwälte Dr. Barbara Mayer und Dr. Moritz Jenne, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

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