Mit schnellen Schritten zum Verbandssanktionenrecht - Kritik von Verbänden ohne Wirkung
Wie erwartet wurde der legislatorische Erstaufschlag des Referentenentwurfs von der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis vielfach diskutiert und kritisch rezipiert. Auch der Verfasser hatte sich unter anderem an dieser Stelle mit den wesentlichen Inhalten und bestehenden praktischen und dogmatischen Bedenken auseinandergesetzt. Zum 24. April 2020 zeigte das BMJV sodann „Flagge“ und veröffentlichte seinen offiziellen Referentenentwurf, dessen Änderungen in Bezug auf den ministerialen „Zero Draft“ aus dem Sommer 2019 jedoch ausgesprochen gering ausfielen.
Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft
Die plakativste Änderung im Vergleich zum Vorentwurf war noch terminologischer Natur: Das Vorhaben der Verbandssanktionierung sollte nunmehr durch ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ umgesetzt werden. Zudem sollen gemeinnützige Verbände, die nicht auf wirtschaftlichen Zweck ausgerichtet sind, nicht mehr von den Neuregelungen erfasst werden. Daneben wurde zwar öffentlichkeitswirksam die drastische Sanktion der „Verbandsauflösung“ aus dem Vorentwurf gestrichen – deren praktischer Anwendungsfall war jedoch bereits zuvor derart limitiert, dass es sich hierbei eher um einen Papiertiger gehandelt hätte.
Strukturelle Kritikpunkte aus Wirtschaft und juristischer Praxis konsequent ignoriert
Im Rahmen der sich anschließenden sogenannten Verbandsanhörung, die bis zum 12. Juni 2020 fortdauerte, machten Berufs-, Wirtschafts- und Complianceverbände umfassend von der Möglichkeit zur (kritischen) Bewertung des Entwurfs Gebrauch. Die Verbände BUJ, BDI, BDA, DIHK, BCM, BUJ, DICO, Die Familienunternehmer und HDE traten dem Gesetzesvorhaben in seiner aktuellen Form mit einem gemeinsamen Schreiben, flankiert von detaillierten Stellungnahmen, zuletzt sehr nachdrücklich entgegen.
Die Bundesregierung zeigte sich von alledem offenbar unbeeindruckt. Bereits am 16. Juni 2020 – und folglich nur vier Tage nach Fristablauf der Verbandsanhörung – wurde der Referentenentwurf zu einem nahezu identischen Regierungsentwurf, der sämtliche strukturellen Kritikpunkte aus der Wirtschaft und der juristischen Praxis ignoriert. Den teils sehr ausgewogenen, validen und differenzierten Vorbringen aus der Verbandsanhörung wurden somit quasi „über’s Wochenende“ eine Absage erteilt.
Die nahezu unmittelbare Fortbetreibung des Gesetzgebungsverfahrens mit gewissermaßen unverändertem Entwurf muss als klares Signal an die Verbände verstanden werden, an dem Vorhaben in derzeitiger Form festhalten und zeitliche Verzögerungen durch inhaltlichen Streit vermeiden zu wollen. Ob dies im Bereich einer dogmatisch derart nachhaltigen Rechtsänderung die richtige Abwägung darstellt, scheint ausgesprochen fraglich. Fast unausweichliche Konfliktlinien werden so in praktischen Verfahren, unter großem Druck und auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden müssen.
Im Ergebnis bedeutet dies: Das Verbandssanktionenrecht wird kommen – sehr wahrscheinlich in den Leitlinien des derzeitigen Regierungsentwurfs und möglicherweise noch vor der Sommerpause des Bundestages. Die fundamentalen Rechtsänderungen, die sich für Unternehmen hieraus ergeben seien daher nachfolgend noch einmal in ihren zentralen Aspekten kurz beleuchtet:
Staatsanwaltliche Verfolgungs- und Sanktionspflicht bei Verbandstaten
Die wohl bedeutsamste Änderung durch das geplante Verbandssanktionengesetz betrifft die dogmatische Verordnung des Sanktionsregimes. De lege lata liegt es im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden, inwiefern gegen ein Unternehmen eine Sanktion verhängt wird, so seine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht und dabei betriebsbezogene Pflichten verletzt beziehungsweise zugunsten des Unternehmens handelt.
Zukünftig soll für sogenannte Verbandstaten, also Straftaten der Unternehmensleitung oder Straftaten von Unternehmensmitarbeitern, die durch Compliance-Maßnahmen hätten verhindert werden können, das „Legalitätsprinzip“ gelten. Für die Staatsanwaltschaft soll folglich eine gesetzliche Verfolgungs- und Sanktionspflicht (auch) des Unternehmens gelten, sobald der Verdacht einer Verbandstat in Rede steht. Wird dies Gesetz, dürfte die Zahl der Sanktionsverfahren gegen Unternehmen erheblich zunehmen.
Sanktionen bis zu 10 Prozent des Jahreskonzernumsatzes
Festgehalten hat das BMJV auch an der geplanten dramatischen Anhebung des potenziellen finanziellen Sanktionsrahmens – eine Schonung der Wirtschaft ob der Covid-19-Pandemie ist nicht in Sicht. Für Unternehmen mit durchschnittlichem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro soll die Maximalsanktion zukünftig bis zu 10 Prozent des Jahreskonzernumsatzes betragen (§ 9 Abs. 2 VerSanG-E). Zusätzlich soll das Erlangte aus der Straftat abgeschöpft werden.
Vergünstigungen bei Nachweisen zum Compliance-Management
Darüber hinaus soll auch das Sanktionsportfolio eine größere Auffächerung erhalten. Bei nachweislicher Implementierung einer effektiven Compliance winken Vergünstigungen wie Sanktionszahlungen unter Vorbehalt (§§ 10 ff. VerSanG-E) – also „auf Bewährung“ – oder Verfahrenseinstellungen (§§ 36 ff. VerSanG-E). Im Falle einer Geldsanktion droht weiterhin deren Veröffentlichung in geeigneter Form (§ 14 VerSanG-E).
Formal bietet auch der aktuelle Gesetzentwurf im Bereich der Unternehmens-Compliance durchaus Revolutionäres. Erstmalig soll Compliance, sowohl vor als auch nach Aufdeckung der Verbandsstraftat, gesetzliche Honorierung erhalten und ausdrücklich sanktionsmildernd Berücksichtigung finden (vgl. zuvor, §§ 10 ff., 15 VerSanG-E). Dazu, welche Ausgestaltung eine Unternehmens-Compliance vorweisen muss, um in den Genuss der gesetzlich avisierten Vorteile zu kommen, schweigt der Entwurf sich trotz entsprechender Klarstellungsforderungen aus der Wirtschaft weiter aus. Diese Rechtsfortbildung soll offenbar Unternehmensverteidigern, Staatsanwaltschaften und Strafgerichten überlassen bleiben.
Regelungen zu unternehmensinternen Ermittlungen
Umfassende Regelungen finden sich hingegen zu den bereits angesprochenen „Internal Investigations“. Erkennbar lag dem Gesetzgeber der behördliche Zugriff auf die Unterlagen solcher Aufklärungsmaßnahmen in besonderem Maße am Herzen. Ein Unternehmen, das eine interne Untersuchung veranlasst, soll mit der Halbierung der gesetzlichen Maximalsanktion incentiviert werden.
In den Genuss der Vorzüge soll allerdings nur kommen, wer interne Untersuchungen nach einem definierten Regelungskorsett durchführt und Untersuchungsergebnisse mit der Staatsanwaltschaft teilt (§§ 16 ff. VerSanG-E). Die interne Untersuchung muss zudem personenverschieden zu dem Unternehmensverteidiger durchgeführt werden. Auf diese Weise meint sich der Gesetzgeber die Beschlagnahmefreiheit von internen Untersuchungen zu sichern, da solche (nur) im Verteidigungsverhältnis geschützt wären. Rechtssicherheit für das Unternehmen im Zeitpunkt der strategischen Entscheidung für oder gegen eine interne Untersuchung ist so kaum zu erlangen – dennoch wird die praktische Bedeutung solcher Untersuchungen dramatisch ansteigen.
Ausblick:
Das Bestreben der Bundesregierung, die Sanktionspraxis für Unternehmen auf dem beschrittenen Wege zu verschärfen, dürfte durch die kurzfristige Veröffentlichung des Regierungsentwurfs nach Eingang der umfassenden Verbandsstellungnahmen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden sein. Substanzielle Anpassungen im Gesetzgebungsverfahren sind nach alledem kaum ernstlich zu erwarten.
Vorgesehen ist derzeit, dass die neuen Regelungen zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes Anwendung finden. Der Regierungsentwurf sieht ausdrücklich vor, dass diese Zeitspanne den Unternehmen dazu dienen soll, hinreichende Compliance-Vorkehrungen zu implementieren oder zu optimieren. Es ist damit zu rechnen, dass diese Zwei-Jahres-Frist zeitnah zu laufen beginnt. Unternehmen und ihre wirtschaftsstrafrechtlichen Berater sollten die praktische Implementierung der Regelungen des Regierungsentwurfs dementsprechend zeitnah in den Blick nehmen!
Hintergrund:
Das deutsche Strafrecht gilt nur für natürliche Personen. Juristische Personen, die Straftaten begehen, können derzeit nur nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zur Verantwortung gezogen werden (§§ 30, 130 OWiG). Begeht ein Vorstand beispielsweise eine vorsätzliche Straftat, durch die die Unternehmenspflichten verletzt werden oder das Unternehmen dadurch bereichert wird, kann eine Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro verhängt werden. Das Unterlassen von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ist ebenfalls bußgeldbewährt. Die Höhe der möglichen Geldbußen wurde 2013 durch eine Gesetzesänderung verzehnfacht (Artikel 4 G. v. 26.06.2013, BGBl. I S. 1738, in Kraft seit 30.6.2013).
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