Neues zur Insolvenzanfechtung

In zwei neuen Entscheidungen (Urteil v. 12.2.2015, IX ZR 180/12 und Beschluss v. 16.4.2015, IX ZR 6/14) hat der BGH seine Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung weiter präzisiert. Zum einen geht es um sog. Bargeschäfte. Zum anderen rückt er davon ab, bei Geschäftspartnern, die der spätere Schuldner um eine Ratenzahlungsvereinbarung gebeten hatte, stets von der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auszugehen.

Hintergrund

Im ersten Fall belieferte die Beklagte die insolvente Gesellschaft, die Backwaren herstellte, mit Zutaten. In den zugrundeliegenden Liefer- und Zahlungsbedingungen der Beklagten war ein Eigentumsvorbehalt geregelt: Die Backwaren sollten erst in das Eigentum der insolventen Gesellschaft übergehen, wenn alle Forderungen der Beklagten befriedigt sind (sog. Kontokorrentvorbehalt). Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bezahlte die insolvente Gesellschaft die laufenden Lieferungen regelmäßig aus Ihren Veräußerungserlösen.

Im zweiten Fall hatte die Beklagte ein Zahlungstitel über rd. 20.000 EUR gegen die später insolvente Gesellschaft erstritten und auf deren Bitten hin zugestanden, dass diese Summe in vier Raten zu zahlen war.

In den Verfahren klagte der jeweilige Insolvenzverwalter. Gestützt auf die Vorsatzanfechtung gem. § 133 InsO verlangte er die Zahlungen zurück, die die insolvente Gesellschaft vor Insolvenzantragstellung an die Beklagten noch geleistet hatten. Wie regelmäßig in solchen Fällen kam es darauf an, ob die Zahlungen auf Seiten der insolventen Gesellschaften mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht erfolgt waren und die beklagten Zahlungsempfänger hiervon Kenntnis hatten.

BGH, Urteil v. 12.2.2015, IX ZR 180/12 (Bargeschäft)

Zunächst bekräftigt der BGH, seine neue Rechtsprechung, wonach eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht - die regelmäßig anzunehmen ist, wenn in Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit geleistet wird - ausnahmsweise nicht vorliegt, wenn die Leistung im Rahmen eines sog. Bargeschäfts, also im unmittelbaren Austausch gegen eine gleichwertige Gegenleistung erfolgt.

Dies präzisiert der BGH in zwei Punkten: Zum einen könne der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch die Gläubigerbenachteiligungsabsicht nur hinsichtlich der unmittelbaren Benachteiligung der Gläubiger durch die Leistung selbst entfallen lassen. Die Benachteiligungsabsicht bezüglich eines etwaigen mittelbaren Nachteils, der dadurch entsteht, dass die Geschäftsfortführung auch auf Bargeschäftsbasis insgesamt nicht kostendeckend ist sondern zu weiteren Verlusten führt, könne auch bei Bargeschäften vorliegen.

Zum anderen stellte der BGH fest, dass aufgrund des vereinbarten erweiterten (Kontokorrent)Eigentumsvorbehalts die Voraussetzungen eines unmittelbaren Leistungsaustausches nicht erfüllt waren. Denn mit Bezahlung der Lieferung erfolgte nicht der Eigentumserwerb, wenn noch weitere Kaufpreiszahlungen aus früheren Lieferungen ausstanden.

Der Beschluss des BGH v. 16.4.2015 (Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit bei Ratenzahlungsvereinbarung)

Anders als bisher entschied der BGH, dass die Bitte nach Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung beim Lieferanten noch kein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit oder für die Kenntnis des Lieferanten hiervon sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Schuldner die Bitte mit der Erklärung verbinde, seine fälligen Verbindlichkeiten anders nicht mehr erfüllen zu können. Denn solche Bitten seien auch sonst im Geschäftsverkehr üblich und könnten auf verschiedenen, mit Zahlungsschwierigkeiten nicht zusammenhängenden Gründen (z.B. dem Versuch, Zinsvorteile zu erreichen) beruhen.

Anmerkung

Beide Entscheidungen vertiefen eine kürzlich angestoßene Richtungsänderung in der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH zur Vorsatzanfechtung zugunsten von Lieferanten der späteren Insolvenzschuldner. Diese können nunmehr davon ausgehen, dass Zahlungen, mit denen unmittelbar gelieferte Waren bezahlt und damit die Voraussetzungen des Bargeschäfts erfüllt werden, regelmäßig nicht anfechtbar sind. Dabei ist darauf zu achten, dass die Waren im Falle der Kenntnis von Zahlungsschwierigkeiten (wobei die bloße Frage nach Ratenzahlungsvereinbarungen hierzu nicht mehr ausreichend ist), im Gegenzug zur Zahlung in das Eigentum des späteren Schuldners übergehen müssen. Im Einzelfall kann es daher sinnvoll sein, eigene Lieferbedingungen in diesen Fällen ganz oder hinsichtlich eines erweiterten Eigentumsvorbehalts nicht einzubeziehen.

Die Tendenzen der Rechtsprechung, bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch von der Vorsatzanfechtung auszunehmen und zugleich die indizielle Wirkung von Umständen wie dem Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung für die Kenntnis der Benachteiligungsabsicht zu begrenzen, ist auch in einem Referentenentwurf des Justizministeriums vom 16.03.2015 zur Novellierung des Insolvenzanfechtungsrechts erkennbar. Beide in den Entscheidungen hergeleiteten Einschränkungen der Anfechtungsbefugnis sind dort ausdrücklich als gesetzliche Ausnahmen vorgesehen.

Hinweis

Diese gesetzgeberische Initiative kam in Gang, nachdem die Anzahl der Gerichtsverfahren um Anfechtungen in Insolvenzverfahren sich seit 2007 mehr als verdoppelt hatte. Branchenverbände und Kreditversicherer sehen insbesondere in der Komplexität der Rechtsprechung zum Insolvenzanfechtungsrecht erhebliche Risiken. Zugleich besteht hierdurch die Gefahr, dass Lieferanten von Unternehmen in finanziellen Engpässen - aus Angst vor späterer Anfechtung - nicht mehr oder nur noch gegen Vorkassen liefern und hierdurch die Vermeidung der Insolvenz kaum mehr möglich ist. Die Reform stellt - wenn sie in der derzeit bekannten Fassung kommt - sicher eine Einschränkung der Anfechtungsbefugnisse zugunsten der Lieferanten dar. Einfacher oder vorhersehbarer wird das Insolvenzanfechtungsrecht dadurch aber wohl kaum.

Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel, Dr. Ingo Reinke, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg


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