Bußgeldrechtliche Haftung für Kartellverstöße

Unternehmen haften für Kartellverstöße ihrer Handelsvertreter, wenn diese als „Hilfsorgane“ in das Unternehmen eingegliedert sind. Das ist der Fall, wenn ein Handelsvertreter keine finanziellen Risiken der von ihm vermittelten Verträge trägt und neben der Handelsvertretertätigkeit nicht noch eine erhebliche eigene Geschäftstätigkeit als unabhängiger Eigenhändler entfaltet. Kenntnis vom kartellrechtswidrigen Verhalten des Handelsvertreters ist nicht erforderlich.

Vorgeschichte

Die Europäische Kommission ahndete 2010 ein Kartell, in dem Stahllieferanten ab den 80er/90er Jahren bis 2002 sowohl auf europäischer als auch auf nationaler und regionaler Ebene Quoten vereinbart, Kunden aufgeteilt, Preise festgesetzt und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Liefermengen und Kunden ausgetauscht hatten. Die Kommission verhängte u.a. gegen die Klägerinnen, den österreichischen Stahlkonzern Voestalpine und seine Tochtergesellschaft Voestalpine Austria Draht, heute Voestalpine Wire Rod Austria (Austria Draht), gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 22 Mio. Euro. Zwar gab es keine Beweise dafür, dass Voestalpine oder Austria Draht an den Kartellabsprachen selbst beteiligt waren. Allerdings nahm der für Italien beauftragte Handelsvertreter der Austria Draht ohne Wissen der Klägerinnen an den regelmäßig am Rande von Verbandstagungen stattfindenden Kartelltreffen teil. Dessen kartellrechtswidriges Verhalten rechnete die Kommission den Klägerinnen zu. Mit ihrer Klage begehrten sie im Wesentlichen eine Herabsetzung der Geldbuße durch das Europäische Gericht.

Gerichts der Europäischen Union (EuG), Urteil v. 15.7.2015, T-418/10

Das EuG stellte fest, dass die Kommission nicht die unmittelbare Beteiligung der Klägerinnen an den Kartellabsprachen auf europäischer Ebene und damit den wesentlichen Aspekten des Kartells nachgewiesen hatte und setzte die Geldbuße auf 7,5 Mio. Euro herab. Zugleich bestätigte es aber die Haftung der Austria Draht wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot an nationalen Kartellabsprachen durch das wettbewerbswidrige Verhalten ihres italienischen Handelsvertreters. Ausgehend von dem kartellbußgeldrechtlichen Unternehmensbegriff sei das wettbewerbswidrige Verhalten des Handelsvertreters Austria Draht zuzurechnen, da das Unternehmen mit seinem Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilde. Dafür komme es nicht auf die gesellschaftsrechtlich zu beurteilende Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeiten der Gesellschaften an, sondern darauf, ob sich die beiden Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten. Zwischen einer Gesellschaft als Geschäftsherrn und ihrem Handelsvertreter bestehe dann eine wirtschaftliche Einheit, wenn dieser ein in das Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan ist. Dies sei der Fall, wenn der Handelsvertreter nicht die finanziellen und kommerziellen Risiken trage (z.B. Nichterfüllung, mangelhafte Erfüllung, Zahlungsunfähigkeit der Kunden) und neben der Handelsvertretertätigkeit keine eigene Geschäftstätigkeit als unabhängiger Händler auf dem Markt entfalten könne. Diese Voraussetzungen sah das Gericht vorliegend als erfüllt an. Bilde der Handelsvertreter mit dem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit, sei sein kartellrechtswidriges Verhalten im Rahmen dieser Tätigkeiten dem Geschäftsherrn ebenso zugerechenbar wie die von dessen Arbeitnehmern begangenen rechtswidrigen Handlungen. Auf die Kenntnis des Geschäftsherrn von dem kartellrechtswidrigen Verhalten des Handelsvertreters komme es für die Haftung nicht an. Soweit der Handelsvertreter im Rahmen seines auf Italien begrenzten Auftrags handelte, sei er daher als zum Unternehmen gehörend anzusehen. Dagegen könne Austria Draht nicht für das wettbewerbswidrige Verhalten ihres Handelsvertreters außerhalb des italienischen Markts verantwortlich gemacht werden.

Anmerkung

Mit dem Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ wird nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens einem anderen zugerechnet. Beide können dann gesamtschuldnerisch mit einem Bußgeld belegt werden. So haftet eine Muttergesellschaft grundsätzlich gesamtschuldnerisch für kartellrechtliche Verstöße ihrer Tochtergesellschaft, wenn diese zusammen eine wirtschaftliche Einheit bilden und dadurch ein bestimmender Einfluss seitens der Muttergesellschaft ausgeübt wird. Im vorliegenden Fall ging es jedoch nicht um die gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit von Konzerngesellschaften, sondern um die Haftung eines Unternehmens für ein konzernfremdes, als Handelsvertreter betrautes Unternehmen. Mit seiner Entscheidung setzt das EuG die Rechtsprechung des EuGH zur Zurechenbarkeit von Kartellverstößen fort und weitet den Kreis der Personen, für deren Rechtsverstöße ein Unternehmen potentiell haftet, weiter aus.

Praxistipp

Für Unternehmen, die im Vertrieb mit Handelsvertretern arbeiten, bedeutet das Urteil ein erhöhtes Haftungsrisiko. Dies gilt umso mehr, als gerade der Vertrieb zu den von Compliance-Fragen besonders betroffenen Unternehmensbereichen zählt. Es empfiehlt sich daher, alle für ein Unternehmen tätige Dritte wie Handelsvertreter, Makler, Berater, Auftragnehmer und Lieferanten etc. durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen in das Compliance-Programm einzubeziehen und regelmäßig zu kontrollieren. Zwar kann die Einbindung in ein Compliance-Programm gerade als Indiz für eine fehlende Unabhängigkeit des Handelsvertreters gewertet werden. Gut funktionierende Compliance-Strukturen können kartellrechtswidriges Verhalten der Partner jedoch verhindern. Kommt es dennoch zu einem Verstoß, ermöglichen sie zumindest eine schnelle Aufklärung und ggf. eine Minderung oder den Verzicht auf ein Bußgeld.

Rechtsanwältinnen Dr. Barbara Mayer, Stephanie von Riegen, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg


Schlagworte zum Thema:  Kartellrecht, Bußgeld, Handelsvertreter