Was rechtfertigt eine günstige Sozialprognose eine Bewährung?

Die Erwartensklausel des § 56 StGB verlangt die begründete Erwartung, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Erwartung setzt nach einem Urteil des OLG Oldenburg keine sichere Gewähr für ein künftiges straffreies Leben voraus.

Wann öffnet die Erwartung eines nicht kriminellen Lebenswandels das Tor zur Freiheit eines Straftäters? Es muss nicht zu erwarten sein, dass er künftig mit blütenweiser Weste durch das Leben geht ...

Was heißt günstige Kriminalprognose bei der Bewährung?

Ausreichend sei, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten.

  • Es ist nach Ansicht der Richter nicht erforderlich, dass eine jeden Zweifel ausschließende Gewissheit,
  • eine sichere Gewähr
  • oder auch nur ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad straffreien Verhaltens vorliegt.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Amtsgericht Vechta einen Angeklagten wegen eines gemeinschaftlich begangenen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einem Jahr Freiheitsenzug ohne Bewährung verurteilt, was das zuständige Landgericht bestätigte und als Maßstab für die Strafaussetzung zur Bewährung eine „hinreichend sichere Erwartung“ künftigen straffreien Verhaltens verlangte. Diese Gesetzesauslegung hielt das Oberlandesgericht Oldenburg für rechtens.

Tatrichter hat extrem weiten Ermessensspielraum

Wie die Strafzumessung im Allgemeinen, ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, ein weiter Bewertungsspielraum zu.

Nur Ermessensfehler und Rechtsirrtümer bei Bewährung aufhebbar

Im Rahmen dieses Spielraums hat das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer – wie einen unzutreffenden Maßstab – überprüfen.

Die Entscheidung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich auf Grund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird. 

Was ist hinreichend sichere Erwartung?

Die von diesen Grundsätzen ausgehenden Grenzen hat das Landgericht nach Ansicht der Oldenburger Richter beachtet.

  • Die im Rahmen der Aussetzungsprüfung verwendete Formulierung „hinreichend sichere Erwartung“ könne offenkundig weder mit dem Begriff „sichere Gewähr“ gleichgestellt werden,
  • noch stelle sie eine zu hohe Anforderung an die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen straffreien Lebens.
  • Dies wäre möglicherweise denkbar, wenn die Kammer als Maßstab – anders als hier – allein eine „sichere Erwartung“ fordern würde.

Die Ergänzung der Worte „sichere Erwartung“ um den Begriff „hinreichend“ schränkt jedoch einen solchen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad entscheidend und in erheblichem Maße ein, betonten die Oldenburger Richter.

(OLG Oldenburg, Urteil vom 20.7.2015, 1 Ss 85/15).

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