Bundesregierung will § 219a StGB komplett streichen

§ 219a StGB stellt die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe und schränkt Ärzte in ihren Informationsrechten gegenüber Patienten ein. Eine als missglückt erachtete Reform von 2019 griff weiter in die Berufsfreiheit ein. Nun soll die Norm endgültig aus dem StGB entfernt werden. Dennoch soll es auch künftig keine ungehemmte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche geben.


Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte dazu bereits kurz nach Bildung der Ampelkoalition auf Twitter an:

Wir werden Paragraf #219a StGB streichen. Sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch sollen nicht länger strafbar sein. Frauen, die einen Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen, befinden sich in einer schmerzhaften Lebenssituation. Sie wollen sich sachlich informieren und suchen Rat zu Methoden, zu Risiken und zu möglichen Komplikationen. Anpreisende und grob anstößige Werbung bleibt selbstverständlich verboten [...].


§ 219a StGB soll gestrichen werden

Nun hat das Kabinett die Umsetzung dieses Reformvorhabens beschlossen und einen entsprechenden Gesetzentwurf des Justizministeriums gebilligt. Danach soll die Vorschrift des § 219a, die jegliche Werbung für den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, aus dem StGB entfernt werden.

Eine Norm mit langer Geschichte

Die Vorschrift des § 219a StGB geht auf ein Gesetz von 1933 zurück. Sie sollte dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen und verhindern, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit verharmlost und kommerzialisiert wird. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch von 2019 wurde ein neuer Abs. 4 in die Vorschrift eingefügt, nach der es Ärzten und medizinischen Einrichtungen gestattet wurde, öffentlich darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1-3 StGB durchführen. Daneben durften sie auf die Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchG) hinweisen, bei der die betroffenen Frauen weitere Informationen erhalten konnten.

Unbefriedigende Reform mühsam erkämpft

Angestoßen wurde die Reform besonders durch die Ärztin Kristina Hänel. Sie erklärte auf ihrer Homepage, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt und verlinkte auf ein Dokument, in dem sie in deutscher, englischer und türkischer Sprache den Ablauf eines Abbruchs sowie die damit verbundenen Risiken erläuterte. Das brachte sie mehrfach vor Gericht und trug ihr öffentliche Anfeindungen ein. Im November 2017 war die Ärztin wegen der Informationen auf ihrer Internetseite wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6.000 EUR verurteilt worden. Ihre Berufung gegen dieses Urteil wurde vom LG Gießen verworfen (LG Gießen, Urteil v. 12.10.2018, 3 NS – 406 Js 150131/15).

OLG hob Verurteilung aufgrund der Reform auf

Die gegen die Verurteilung eingelegte Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LG. Begründung des OLG: Aufgrund der nach dem Urteil des LG eingetretenen Gesetzesänderung könne das landgerichtliche Urteil keinen Bestand mehr haben (OLG Frankfurt, Urteil v. 3.7.2019, 1 Ss 15/19).

LG verurteilte Ärztin widerwillig erneut und kritisierte Reform

Das LG Gießen hatte die Ärztin darauf erneut zu einer (milderen) Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt. Nach Auffassung des LG ist die Reform des § 219a StGB völlig misslungen (LG Gießen, Urteil v. 12.12.2019, 4 Ns 406 Js 15031715). 

Ausgerechnet Ärzte dürfen nicht informieren

Diese Kritik seitens der Justiz wird von der jetzigen Bundesregierung geteilt. Auch nach der Reform sei es für schwangere Frauen schwierig, Informationen über Methoden und Abläufe eines Schwangerschaftsabbruchs rechtzeitig innerhalb der Zwölf-Wochenfrist des § 218a StGB fundiert zu erhalten. Außerdem sei es absurd, ausgerechnet Ärzten, die aufgrund ihrer Ausbildung am besten zur Aufklärung über einen Schwangerschaftsabbruch beitragen könnten, die Bereitstellung von umfassenden Informationen zu verwehren.

§ 219a StGB wirkt wie eine Informationssperre

Die nach § 13 Abs. 3 SchKG inzwischen im Internet veröffentlichte Liste von Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, reiche nicht aus, um das Informationsdefizit der betroffenen Frauen zu beseitigen. Nach wie vor sei es aufgrund der Strafandrohung des § 219a StGB den Ärzten verwehrt, über die von ihnen angewandten Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. Sie seien auf die Angabe beschränkt, ob sie den Schwangerschaftsabbruch medikamentös oder operativ vornehmen. Weitere Informationen dürften sie öffentlich nicht erteilen.

Schutz für ungeborenes Leben bleibt

Diese unbefriedigende Situation will die Bundesregierung mit der Abschaffung des Informationsverbots beseitigen. Das Bundesjustizministerium weist ausdrücklich darauf hin, dass mit der Abschaffung des § 219a StGB nicht der grundrechtliche Schutz für das ungeborene Leben entfalle. Der nach der Rechtsprechung des BVerfG zu gewährende staatliche Schutz für das ungeborene Leben (BVerfG, Urteil v. 28.5.1993, 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92 u.a.) bedürfe nicht der Strafandrohung des § 219a StGB, sondern werde durch die Regelungen zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches selbst (§§ 218 ff. StGB) einschließlich der Tatbestandsausnahmen, Rechtfertigungs- und persönlichen Strafausschließungsgründe in hinreichender und angemessener Weise gewährleistet. Innerhalb des Beratungskonzepts, für das sich der Gesetzgeber nun entschieden habe, sei die Vorschrift des § 219a StGB entbehrlich.

Auch künftig keine unangemessene Werbung

Dennoch sieht auch die Bundesregierung die Notwendigkeit, eine missbräuchliche, abstoßende oder sogar irreführende Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern. Diesem Ziel dienen Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Dessen Anwendungsbereich wird in § 1 HWG auf medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche erweitert. Damit gelten auch für Schwangerschaftsabbrüche u.a. das Verbot einer irreführenden Werbung gemäß § 3 HWG. § 11 HWG enthält eine lange Liste weiterer Vorgaben der erlaubten Werbemittel (keine unangemessene missbräuchliche Werbung z.B. mit Empfehlungen bekannter Wissenschaftler, mit irreführenden bildlichen Darstellungen u.ä.).

Auch Berufsordnungen schränken Werbemöglichkeiten ein

Darüber hinaus gelten für Ärztinnen und Ärzte die von den Landesärztekammern erlassenen Berufsordnungen, die insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung untersagen.

Verurteilte Ärztinnen und Ärzte werden rehabilitiert

Eine erfreuliche Nachricht für Ärztinnen und Ärzte, die nach dem bisherigen § 219a StGB verurteilt wurden: Durch Einführung einer Sonderregelung im EGStGB werden strafgerichtliche Verurteilungen wegen Straftaten nach § 219a StGB sowie nach der bis zum 15.6.1993 geltenden alten Fassung der entsprechenden Vorschrift des § 219b StGB aufgehoben. Die damit rechtlich wieder anhängigen Verfahren sollen mithilfe der gesetzlichen Regelung automatisch nachträglich eingestellt werden. Damit werden verurteilte Ärztinnen und Ärzte von dem Makel einer das ärztliche Berufsethos verletzenden Straftat befreit.

Reformentwurf geht zur Beratung in den Bundestag

Der Gesetzentwurf wird nun zur Beratung zunächst dem Bundestag und anschließend dem Bundesrat zugeleitet. Die Annahme des Gesetzes gilt als wahrscheinlich.


Hintergrund

Das Werbeverbot des § 219a StGB existiert erst seit der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform im Jahr 1933. Damals ging es um die Erhaltung der Lebenskraft des deutschen Volkes. Ansonsten war in dieser Zeit menschliches Leben wenig wert.

Unterversorgung bei Information und Behandlungsmöglichkeiten

In den vergangenen Jahren habe, laut "Hannoversche Allgemeine" die Zahl der Praxen und Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, um 40 % abgenommen. Ganze Regionen seien mittlerweile ohne entsprechende Versorgung . Das widerspräche dem Sicherstellungsauftrag der Länder, der im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt sei.


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