Rutschgefahr in Reha-Klinik

Für die Betreiber einer Reha-Klinik bestehen aufgrund der Zweckbestimmung grundsätzlich höhere Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht. Aber auch hier kann nicht jede Gefahr eines Schadenseintritts beseitigt werden. Ist nicht festzustellen, ob die Gefahrenquelle tatsächlich eine adäquate Folge einer Pflichtverletzung ist, haftet die Klinik nicht für Unfallfolgen.

Manchmal lauern selbst in einem auf die Genesung von Patienten spezialisierten Bereich Gefahrenquellen, die dann dieses Ziel zunichtemachen. Schuld ist aber nicht immer der Verkehrssicherungspflichtige. Das war geschehen:

Im Speisesaal ausgerutscht: Folgeoperation notwendig

Der 1942 geborene Kläger befand sich nach einer Oberschenkel-Operation, bei der ihm eine metallene Schiene eingesetzt wurde, zur Nachbehandlung in einer Reha-Klinik und war auf eine Gehhilfe angewiesen. Zur Mittagszeit rutschte er im Speisesaal der Klinik auf einer feuchten Stelle aus, wobei er sich stark auf sein verletztes Bein stützen musste, um nicht auf den Boden zu fallen. Dabei verbog sich die Metallschiene um ca. 8 Grad. Der Vorfall machte ein halbes Jahr später eine Folgeoperation notwendig, bei der der Oberschenkel durchgesägt und ein Nagel eingesetzt werden musste. Weitere Operationen und anhaltende Beschwerden können nicht ausgeschlossen werden.

Schmerzensgeldforderung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Der Patient verklagte daraufhin den Träger der Klinik auf Schmerzensgeld und Ersatz aller zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Die vorhandene Feuchtigkeit auf dem Boden hätte umgehend beseitigt werden müssen. Die Beklagte räumte daraufhin zwar ein, dass es am frühen Morgen aufgrund eines undichten Schlauchs am Handwaschbecken einen Wasserschaden in der Kaffeeküche neben dem Speisesaal gab. Das ausgetretene Wasser sei jedoch sofort entfernt und der Boden trocken gewischt worden. Zum Unfallzeitpunkt sei keine Restfeuchte mehr vorhanden gewesen. Neben dem Eingang zum Speisesaal haben sich dennoch gelbe Hinweisschilder mit der Aufschrift „Rutschgefahr“ befunden, um die Patienten grundsätzlich zur Vorsicht beim Gehen anzuhalten.

Landgericht: Warnschilder allein reichen nicht aus

Das Landgericht war der Auffassung, die Feuchtigkeit, auf der der Kläger ausgerutscht war, stammte tatsächlich von dem Wasserschaden aus der Küche, und verurteilte die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 5.000 EUR. Das Aufstellen der Warnschilder war nicht ausreichend, um der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten gerecht zu werden. Die Erwartungen an das Entfernen einer konkreten Gefahrenstelle in einer Reha-Klinik seien höher einzuschätzen, da hier gerade die körperlichen Einschränkungen von Patienten besonders berücksichtigt werden müssten.

OLG: Beweisaufnahme des LG war fehlerhaft

Gegen das Urteil legte die Klinik Berufung ein. Sie beanstandete die Beweiswürdigung des Landgerichts. Da der Vorsitzende die Zeugenbefragung nicht selbst durchführte, habe das LG gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, ein Protokollhinweis unterblieb. Die Tatsachenfeststellung, dass das Wasser aus der Küche stammt, sei daher fehlerhaft. Die Zeugin hatte klargestellt, der Wasserschaden aus der Küche könne weder zeitlich noch räumlich etwas mit dem Vorfall um die Mittagszeit zu tun haben. Diese Aussage habe das Landgericht nicht gewürdigt. Das OLG folgte im Berufungsverfahren den Ausführungen der Beklagte und bejahte einen Verstoß gegen § 279 Abs. 3 ZPO.

Verkehrssicherungspflichtverletzung war nicht nachzuweisen

Der Kläger konnte nach Ansicht der Oberlandesrichter somit nicht beweisen, dass die im Speisesaal zum Unfallzeitpunkt vorhandene Nässe eine adäquate Folge einer Pflichtverletzung des Beklagten war. Da die Ursache der Feuchtigkeit nicht geklärt werden konnte, fehle es bereits am Nachweis einer Verkehrssicherungspflichtverletzung. Das OLG verneinte im Gegensatz zur Vorinstanz daher sowohl einen vertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 240 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 253 Abs. 1 BGB i. V. m. dem dem Klinikaufenthalt zugrunde liegenden Behandlungsvertrag als auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB).

Grundsätzlich höhere Anforderungen in Reha-Klinik

Das OLG ließ jedoch nicht unerwähnt, dass eine Reha-Klinik wegen ihrer Zweckbestimmung grundsätzlich eine erhöhte Verkehrssicherungspflicht gegenüber ihren Patienten hat. Viele leiden unter Gehbehinderungen und sind oft auf Gehhilfen angewiesen. Gerade ältere Patienten sind im Umgang mit Gehhilfen häufig nicht geübt. Diesen besonderen Risiken muss der Betreiber einer Reha-Klinik vorbeugen. Wird der Speisesaal gereinigt, muss daher zurückgebliebene Feuchtigkeit bis zum Beginn der Essensausgabe sicher abtrocknen können.

Beseitigungspflicht nur bei zumutbarem Aufwand

Aber nicht jeder abstrakten Gefahr kann vorbeugend begegnet werden. Denn die Feuchtigkeit in einem Speisesaal könne vielfache Ursachen haben (Verschütten von Getränken oder mitgebrachten Flüssigkeiten). Das Auftreten einzelner feuchter Stellen im Speisesaal während der Essensausgabe ist nach Auffassung der Richter mit zumutbarem Aufwand aber nicht immer zu vermeiden.

(OLG Saarbrücken, Urteil v. 11.9.2012, 4 U 193/11-60)

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