Immer wieder gibt es Ärger um die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachten. Jetzt hat der BGH für Klarheit gesorgt. Die Erstattungsfähigkeit richtet sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Einholung zum Zeitpunkt der Beauftragung als sachdienlich ansehen durfte. Ob das Gutachten die Entscheidung des Gerichts beeinflusst, ist gleichgültig.

Gutachten war teurer als der Streitwert

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall ging es um einen Verkehrsunfall in Höhe von insgesamt  1.245,31 Euro. Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattung der Kosten eines von den Beklagten im Verlaufe des Rechtsstreits eingeholten Privatgutachtens nebst dessen Ergänzung in Höhe von insgesamt 3.932,60 Euro.

 

Schaden durch Unfallgegner oder Straßenlaterne?

Die Parteien hatte über die Frage gestritten, ob die Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers denjenigen am Fahrzeug des Beklagten entsprachen oder, wie letzterer behauptete, allein aus der Kollision mit einer Straßenlaterne resultierte.

Als der Gerichtssachverständige die Version des Beklagten verneinte, bestellte dieser einen privaten Sachverständigen, der den Gerichtssachverständigen widerlegte. Das Landgericht glaubte gleichwohl der Version des Gerichtssachverständigen und verurteilte den Beklagten.

 

Ergänzungsgutachten gab den Ausschlag

Erst in der Berufungsinstanz gewann der Beklagte, nachdem er noch einmal ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben hatte. Bei der Erstattung der Kosten wollte der Rechtspfleger dem Beklagten von den fast 4.000 Euro Sachverständigenkosten nur rund 1.000 Euro erstatten, weil diese Kosten außer Verhältnis zu dem niedrigen Streitwert gestanden habe.

 

Privatgutachten muss prozessbezogen sein

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur Zweck entsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dazu können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind.

Dies ist vorliegend der Fall, denn das Privatgutachten und seine Ergänzung sind von den Beklagten mit Rücksicht auf den laufenden Prozess in Auftrag gegeben worden.

 

Gutachten nur erstattungsfähig, wenn es den Prozess beeinflusst? 

Die Erstattungsfähigkeit im Verlaufe eines Prozesses eingeholter Privatsachverständigengutachten war in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Teilweise wurde verlangt, dass das im Rechtsstreit vorgelegte Gutachten den Verlauf des Rechtsstreits zugunsten der das Gutachten vorlegenden Partei beeinflusst hat. Der Gesetzeswortlaut des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gibt keine Anhaltspunkte für die von der Gegenmeinung geforderte zusätzliche Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens.

 

Ex ante Sicht maßgeblich

Vielmehr sind nach Ansicht des BGH auch diese Kosten der obsiegenden Partei zu erstatten, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Beurteilung dieser Frage hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte; dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen.

Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Kosten auslösende Maßnahme veranlasst wurde. „Bereits aus diesem Grund verbietet es sich, die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Privatgutachtens zusätzlich - wie von dem Beschwerdegericht für richtig gehalten - im Rahmen einer ex-post-Betrachtung davon abhängig zu machen, ob das Privatgutachten tatsächlich die Entscheidungsfindung des Gerichts beeinflusst hat“, schreiben die Karlsruher Richter.

 

Erfolgsaussichten gehören mit in die Abwägung

Der erkennende Senat hat die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte, insbesondere in Fällen bejaht, in denen die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war.

  • Hierzu gehören nach Ansicht des Gerichts auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.
  • Daneben können bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen wie etwa dessen voraussichtliche Eignung zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung und deren Erfolgsaussichten, insbesondere unter Berücksichtigung vorhandener Anknüpfungstatsachen,
  • sowie die Möglichkeit, den Prozesserfolg mit anderen Darlegungs- und Beweismitteln zu fördern.

 

Volle Wahrnehmung der eigenen Belange zulässig

Letztlich dürfen im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aus der ex-ante-Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei auch die Kosten des Privatgutachtens nicht völlig außer Betracht bleiben, wenn auch die Partei grundsätzlich die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen darf.

Das hat der BGH im hier entschiedenen Sachverhalt bejaht, den Fall aber gleichwohl zurückverwiesen, damit die Vorinstanz die zu erstattenden Sachverständigenkosten im Rahmen einer neuen Gesamtabwägung unter Zugrundelegung der Rechtsgrundsätze der Karlsruher Richter neu festsetzt. 

(BGH, Beschluss v. 20. 12. 2011, VI ZB 17/11).