Bei Flugannullierung Anspruch auf Entschädigung in Geld
Der BGH hat entschieden, dass die Ansprüche von Fluggästen wegen der Annullierung von Flügen nach der EU-Fluggastrechte-VO grundsätzlich auf Zahlung in Geld gehen. Dies gilt auch für solche Flüge, die mittels eines Gutscheins bezahlt wurden.
Klage auf Entschädigung und auf Ausgleichszahlung
Dem vom BGH entschiedenen Fall lag die Klage eines Rechtsdienstleisters zu Grunde. Dieser hatte sich von 4 Kunden einer Fluggesellschaft die Ansprüche auf Erstattung der Flugkosten sowie auf Ausgleichszahlungen wegen Annullierung eines gebuchten Fluges abtreten lassen und die Fluggesellschaft verklagt.
Gutscheine während Insolvenz in Eigenverwaltung ausgestellt
Die 4 Passagiere hatten die gebuchten Flüge jeweils mit Gutscheinen bezahlt. Die Gutscheine hatten sie von der Fluggesellschaft für 4 annullierte Flüge im Mai und Juni 2020 erhalten. Die Annullierung dieser Flüge war coronabedingt erfolgt. Zum Zeitpunkt der damaligen Annullierung war über das Vermögen der Fluggesellschaft allerdings die Insolvenz eröffnet. Das Unternehmen wurde in Eigenverwaltung geführt.
Flugpreise mit Gutscheinen aus vorausgegangenen Flugannullierungen bezahlt
Kurz vor Abschluss des Insolvenzverfahrens mit einem Insolvenzplan buchte jeder der 4 Flugkunden bei dem in Eigenverwaltung geführten Flugunternehmen erneut eine Flugreise nach Griechenland. Sie bezahlten diese mit den Gutscheinen. Kurz vor Abflug wurde auch dieser Flug storniert.
Abtretung der Entschädigungsansprüche an Rechtsdienstleister
Die Kunden traten darauf ihre möglichen Ansprüche gegen das Flugunternehmen an einen Rechtsdienstleister ab. Dieser forderte vor Gericht
- Erstattung der vollständigen Flugkosten sowie
- eine Ausgleichszahlung nach der EU-Fluggastrechte-VO in Höhe von 400 Euro für jeden einzelnen Fluggast.
Der Rechtsstreit ging bis zum BGH.
Buchung während Eigenverwaltung begründet Masseverbindlichkeit
Die während der Eigenverwaltungsphase neu gebuchten Flüge nach Griechenland stufte der BGH gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeiten ein. Es handle sich um mit der eigenverwaltenden Schuldnerin geschlossene, von dem ursprünglich gebuchten und coronabedingt annullierten Flug unabhängige, eigenständige Beförderungsverträge. Die Beklagte habe den Zedenten demgemäß auch eine eigenständige Buchungsbestätigung nach Art. 3 Abs. 2a Fluggastrechte-VO übersandt.
Gutscheine an Erfüllungs statt entgegengenommen
Die Bezahlung des Flugs mit den für die ursprünglichen Flugannullierungen erhaltenen Gutscheinen ändert nach der Entscheidung des BGH an diesem Ergebnis nichts. Die Fluggesellschaft habe die Bezahlung mit den Gutscheinen akzeptiert und damit die Gutscheine gemäß § 364 BGB an Erfüllungs statt entgegengenommen.
Die Flüge waren nicht kostenlos
Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt nach Auffassung des Senats hier auch nicht der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der EU-Fluggastrechte-VO zur Anwendung. Hiernach besteht eine Ausnahme für die nach der Fluggastrechteverordnung zu zahlende Entschädigung u.a. dann, wenn der Fluggast kostenlos (z. B. für ein Kleinkind) gebucht hat. Eine solche Ausnahme sei nicht gegeben, da der Gutschein an Erfüllungs statt und damit als reguläre Entrichtung des vollen - und nicht etwa nur eines reduzierten - Flugpreises von der Beklagten entgegengenommen worden sei.
Gutschein folgt nicht Gutschein
Zur Entgegennahme weiterer Gutscheine – wie von der Beklagten angeboten - sind die Flugkunden nach der Entscheidung des BGH nicht verpflichtet. Soweit auf den zuvor ausgestellten Gutscheinen eine Klausel der Beklagten aufgedruckt war, wonach im Fall einer weiteren Annullierung wiederum ein Gutschein ausgestellt werde, sei dies unbeachtlich. Art. 8 Abs. 1a der Fluggastrechte-VO gewähre dem Fluggast im Falle der Annullierung eines Fluges Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten. Gemäß Art. 7 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung habe dies durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung oder durch Scheck zu erfolgen. Eine Zahlung in Form von Gutscheinen sehe die Vorschrift nicht vor. Die Gutscheinklausel verstoße gegen zwingendes EU-Recht und sei daher unwirksam.
Gutscheinentschädigung nur mit qualifizierter Zustimmung des Fluggastes
Eine Entschädigung mittels Gutscheins kommt nach der Entscheidung des BGH deshalb nur dann in Betracht, wenn der Fluggast schriftlich, ausdrücklich, endgültig und eindeutig erklärt, dass er mit der Entgegennahme eines Gutscheins einverstanden ist (EuGH, Urteil v. 21.3.2024, C-76/23). Eine formularmäßige Vorwegnahme einer solchen Einverständniserklärung mittels einer von der Fluggesellschaft verwendeten AGB sei mit der Fluggastrechteverordnung nicht vereinbar.
Preis der zuletzt gebuchten Reise bestimmt Höhe der Erstattung
Schließlich stellte der BGH klar, dass sich die Höhe des Erstattungsanspruchs nach dem Flugpreis der zuletzt gebuchten Reise richtet. Auch wenn der Ursprungsflug, für den ein Gutschein ausgestellt wurde, preiswerter gewesen sei, so bestehe nun ein Erstattungsanspruch für den zuletzt gebuchten Flug entsprechend dem dafür von der Fluggesellschaft aufgerufenen regulären Preis, denn diesen hätten die Passagiere mit den Gutscheinen bezahlt.
BGH bejaht auch Anspruch auf Ausgleichszahlungen
Schließlich gewährte der BGH auch die geforderten Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung in Höhe von jeweils 400 Euro für jeden einzelnen Flug. Dieser folge aus Art. 5 Abs. 1c, Art. 7 Abs. 1b der EU-Fluggastrechte-VO. Da die Zedenten Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung geltend machen können, stünden ihnen auch die nach dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsansprüche bei Flugannullierung zu.
(BGH, Urteil v. 16.1.2025, IX ZR 236/23).
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