Reisekosten des Wahlverteidigers aus einem Drittort: Erstattung?

Sind Reisekosten eines Wahlverteidigers mit Sitz an einem dritten Ort, also weder am Wohnsitz des Angeklagten noch am Sitz des Prozessgerichts, erstattungsfähig? Es kommt auf die Gesamtumstände des Verfahrens insbesondere zum Zeitpunkt der Mandatierung an.

Für die Erstattungsfähigkeit kann im Einzelfall ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant sprechen. Dagegen ist, sofern es sich nicht um ein Bagatelldelikt oder ein ganz gewöhnliches Strafverfahren ohne rechtliche Schwierigkeit handelt, die Höhe des zu erwartenden Strafmaßes nicht entscheidend, für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltsreisekosten.

In dem konkreten Fall hielt das Amtsgericht Lemgo sämtliche angemeldeten Kosten für tatsächlich entstanden und erstattungsfähig.

Von Bad Salzuflen bis Lemgo gefahren und Aktenversendungspauschale geltend gemacht

Die Verteidigerin hatte in Vertretung des Mandanten wegen gefährlicher Körperverletzung Kosten in Höhe von 895,12 EUR angemeldet. Auch der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme die angemeldeten Gebühren als erstattungsfähig anerkannt.

  • Er hatte aber die angemeldeten Reisekosten der Verteidigerin vom Kanzleiort in Bad Salzuflen bis zum Gerichtsort in Lemgo in Höhe von 45,20 EUR
  • sowie die Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 EUR als nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig bestritten.

Kein besonderes Vertrauensverhältnis vorgetragen

Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidigerin, das die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten rechtfertigen könnte, sei nicht vorgetragen worden und nach herrschender Meinung auch wohl ohne Bedeutung. Die Verteidigerin hat daraufhin in ihrer Replik ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Mandanten und dessen Familie vorgetragen.

Komplexer Sachverhalt, schwierige Rechtslage

Die Verteidigerin hat ferner hervorgehoben, dass der Sachverhalt komplex gewesen sei, insgesamt sechs Zeugen vernommen worden seien und es sich daher und aufgrund der schwierigen rechtlichen Bewertung der einzelnen Tatbeiträge und der Tatsache, dass mehrere Angeklagte beteiligt gewesen wären, nicht um ein einfaches, durchschnittliches Strafverfahren gehandelt habe.

Kein Vertrauen zum Rechtsanwalt aus Lemgo?

Vielmehr habe das Vertrauensverhältnis zur Verteidigerin eine besondere Rolle gespielt. Und dieses Vertrauen habe der Angeklagte eben zu ihr als einer Verteidigerin in Bad Salzuflen gehabt und nicht zu einem Rechtsanwalt in Lemgo. Die Verteidigerin wies zudem auf die geringe Entfernung zwischen dem Wohnsitz ihres Mandanten bzw. dem Sitz des Gerichts in Lemgo und Bad Salzuflen hin. Die angemeldeten Rechtsanwaltsreisekosten und die Aktenversendungspauschale seien daher zu erstatten.

Beurteilungsspielraum des Gerichts hinsichtlich der Reisekostenfestsetzung

Das sah das Gericht genauso: Die geltend gemachten Gebühren seien unstreitig und auch aus der Sicht des Gerichts angemessen im Sinne des § 14 RVG.  Hintergrund: Der Gesetzgeber sieht für die Festsetzung der angemeldeten Auslagen im Rahmen von Strafprozessen in der Strafprozessordnung gem. § 464 b StPO in Satz 3 nur den Verweis auf die ZPO vor.

In § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO macht er die Erstattungsfähigkeit zunächst bei Auslagen allgemein von der Notwendigkeit der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung abhängig. In Abs. 1 S. 2 betont er im Hinblick auf Reisekosten die Notwendigkeit der Reisen bzw. der Wahrnehmung der Termine durch die Partei. In Abs. 2 S. 1 des § 91 ZPO erklärt er Reisekosten eines Prozessbevollmächtigten nur für erstattungsfähig, als die „Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war".

Grammatikalische Auslegung

Aus den Formulierungen des Gesetzgebers ist zu erkennen, dass a) als Voraussetzung für eine Erstattungsfähigkeit die genannten Auslagen jeweils „rechtsnotwendig" sein sollen, b) Fahrt- bzw. Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann erstattungsfähig sein sollen, wenn auch die Zuziehung des Verteidigers zur „zweckentsprechenden Rechtsverfolgung" notwendig war und c) weitere Voraussetzungen - außer dem tatsächlichen Entstehen der Auslagen – nicht genannt sind und dem Sachbearbeiter so ein Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung der Auslagen und insbesondere Reisekosten vom Gesetzgeber gegeben wird, den er im konkreten Fall ausloten muss.

Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung wiegt schwer

Im vorliegenden Fall gab das Gericht der Rechtsanwältin nach Aktenlage Recht, dass das Verfahren komplex und schwierig war. Der Vorhalt des Bezirksrevisors, dass die Verteidigerin selbst nur jeweils die Mittelgebühr bei der Kostenrechnung angesetzt habe und das Verfahren deshalb so überdurchschnittlich schwierig und bedeutend nicht sein könne, treffe nicht, da z. B. auch der Gesamtumfang der Akte nur 90 Seiten hat und die objektive Bedeutung des Tatvorwurfs der gefährlichen Körperverletzung auch nach allgemeiner Rechtsmeinung nur mittelschwer wiegt.

  • Demgegenüber stehen laut Gerichtsbeschluss für die Bedeutung des Verfahrens eine Termindauer von 3 1/2 Stunden und die Anhörung von insgesamt 6 Zeugen bei drei Angeklagten als werterhöhende Kriterien.
  • „Außerdem kann eine mögliche Bescheidenheit bei der Geltendmachung der Vergütung nicht objektives Kriterium dafür sein, welche Bedeutung und Schwierigkeit das Verfahren für den Betreffenden hatte und wie sehr er auf eine anwaltliche Hilfe angewiesen war, die sein Vertrauen genoss“, betonte das Gericht.

Grundsätzlich sei jeder Mensch, der wie hier mit dem wenn auch unberechtigten Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung in einem Strafverfahren konfrontiert ist, darauf angewiesen, einen Verteidiger seines Vertrauens zu bestellen, der ihn einerseits versteht und dem er andererseits zutraut, den Sachverhalt juristisch zu durchdringen. „Der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mag im Verhältnis zu noch schwereren Straftaten von geringerer Bedeutung sein. Andererseits haben natürlich ein solcher Strafvorwurf und eine Anklage für den Betroffenen erhebliches Gewicht. Es liegt auf der Hand, dass bei der Entscheidung, wem das Mandat gegeben wird, kleinere Entfernungen zwischen Wohnsitz des Betroffenen und Verteidiger keine Rolle spielen und auch nicht spielen können“, so das Amtsgericht Lemgo weiter.

Maßgebliche Zeitpunkt

Der Angeklagte kannte zur Zeit der Anklageerhebung nach dem unwidersprochenen Vortrag eine Rechtsanwältin in Bad Salzuflen, die sein Vertrauen hatte. Es erscheint im Hinblick auf das Ende des Prozesses (Freispruch) und den Erfolg der Verteidigung weder vorher sachgerecht, das Risiko einer anderen Mandatierung in Lemgo einzugehen, noch im Nachhinein gerecht, dass der Betroffene trotz des besonderen Vertrauensverhältnisses zu seiner in Bad Salzuflen ansässigen Verteidigerin selbst die Fahrtkosten seiner Rechtsanwältin mit dem Hinweis zu bezahlen hat, er hätte sich in der damaligen Situation einen Verteidiger am Prozessort suchen müssen.

Vergleich mit Reisekosten des Pflichtverteidigers

Als Nebenaspekt erwähnte das Gericht noch, dass in den Fällen der Pflichtverteidiger-Bestellung generell die Fahrtkosten der Pflichtverteidiger auch von weiter entfernten Orten erstattet werden, weil oftmals keine Verteidiger am Gerichtsort gefunden bzw. als für den Fall geeignet angesehen werden. So wie die Wahl des Gerichts bei der Bestellung des möglichst ortsnahen Pflichtverteidigers schwer fällt und kostenmäßig später in Form der Erstattung der so notwendig gewordenen Auslagen Berücksichtigung findet, müssen auch bei der Wahlverteidigerbestellung besondere Belange der Privatpersonen erwogen werden.

(AG Lemgo, Beschluss v. 11.2.2014, 24 Ds-44 Js 120/13-67/13).

 

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