Keine Ausbildungsbeihilfe für Kinder gut verdienender Eltern

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde einer ehemaligen Auszubildenden und Tochter gut verdienender Eltern wegen Verweigerung einer Beihilfe zur Ausbildung als Fotografin nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hatte in ihre Ausbildung mit 200 bzw. 260 Euro eine sehr geringe Ausbildungsvergütung erhalten.

Die Beschwerdeführerin hatte eine Ausbildung zur Fotografin absolviert. Dabei erhielt sie

  • im zweiten Lehrjahr eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 200 Euro
  • und im dritten Lehrjahr in Höhe von 260 Euro.

Ihren Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe wies die Bundesagentur für Arbeit zurück mit dem Hinweis, das Einkommen der Eltern von jährlich ca. 100.000 Euro sichere der Auszubildenden einen angemessenen Lebensunterhalt.

Auszubildende klagt trotz gut verdienender Eltern auf Berufsausbildungsbeihilfe

Die Auszubildende gab sich mit der Zurückweisung ihres Antrags nicht zufrieden. Vertreten durch ihren Vater - von Beruf Rechtsanwalt - stritt sie erfolglos durch die sozialgerichtlichen Instanzen bis zum BVerfG.


Subsidiarität der Berufsausbildungsbeihilfe

Rechtliche Grundlage der Streitigkeit war § 56 Abs. 1 SGB III. Hiernach haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung u.a. dann,

  1. wenn die Berufsausbildung förderungsfähig ist,
  2. der oder die Auszubildende zum förderungsfähigen Personenkreis gehört,
  3. und dem oder der Auszubildenden die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt nicht anderweitig zur Verfügung stehen.

Einkommen der Eltern war zu hoch für Berufsausbildungsbeihilfe

Nach Auffassung des BSG erfüllte die Klägerin die letzte Voraussetzung nicht.

  • Die Ausbildung zur Fotografin sei zwar ein nach der Handwerksordnung staatlich anerkannter Ausbildungsberuf und daher förderungsfähig,
  • allerdings habe die Klägerin ihren Bedarf für den Lebensunterhalt aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln decken können.
  • Das Maß  des Lebensbedarfs bestimme sich nach § 61 SGB III und umfasse den täglichen Bedarf, die Mietkosten, Nebenkosten, erforderliche Fahrtkosten und ähnliches.

Das LG errechnete daraus einen Gesamtbedarf der Auszubildenden von knapp über 1.000 Euro. Diesem stand nach Auffassung der Behörde eine Leistungsfähigkeit der Eltern in Höhe von ca. 1.440 Euro monatlich gegenüber. Mit diesen Mitteln habe die Klägerin ihren gesamten Bedarf decken können.

Klägerin moniert Diskrepanz zu zivilrechtlicher Unterhaltsberechnung

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hatte die Behörde die Leistungsfähigkeit der Eltern deutlich zu hoch angesetzt, da nach zivilrechtlichen Regeln ihr Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 BGB deutlich geringer ausfallen würde.

Im Sozialrecht gelten andere Rechnungsgrößen als im Zivilrecht

Die Instanzgerichte hielten der Auszubildenden entgegen, dass die für die Berufsausbildungsbeihilfe in Ansatz zu bringende Anrechnung des elterlichen Einkommens nicht auf den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch des Kindes beschränkt sei. Die Gerichte verwiesen unter anderem auf § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

  • Nach dieser Vorschrift sind bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen absichern können auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und des mit diesem in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen.
  • Dies hat unter anderem zur Folge, dass z.B. das Einkommen oder Vermögen eines Stiefelternteils anzurechnen ist,
  • obwohl dieser gegenüber dem Kind seines Partners oder seiner Partnerin nach den zivilrechtlichen Bestimmungen nicht zum Unterhalt verpflichtet ist.

Dies beruht nach der Wertung des BSG darauf, dass die Gewährung staatlicher Hilfe grundsätzlich anderen Kriterien als der zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff BGB folge (BSG, Urteil v. 14.3.2012 B 14 AS 17/11 R).

Kein Anspruch auf kongruente Berechnungsmethoden

Der Gesetzgeber gehe danach zu Recht davon aus, dass Eltern Unterhalt an ihr in der Berufsausbildung befindliches Kind in einer Höhe leisten wie es typisierend nach § 67 SGB III anzurechnen sei. Auf die Herstellung einer Kongruenz von zivilrechtlichem Unterhaltsanspruch und der Anrechnung von Elterneinkommen bei der Berechnung eines Anspruchs auf Berufsausbildungsbeihilfe bestehe nicht.

Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen

Die Klägerin sah durch diese Rechtsauffassung den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 verletzt und legte Verfassungsbeschwerde ein. Das  BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Mangelhafte Begründung der Verfassungsbeschwerde

Das BVerfG rügte,  die Verfassungsbeschwerde sei nicht ausreichend begründet, da die Beschwerdeführerin die einfachgesetzliche Lage nicht mit der erforderlichen Sorgfalt analysiert habe. In der Verfassungsbeschwerde sei insbesondere die Korrekturvorschrift des § 68 Abs. 1 SGB III nicht berücksichtigt. Danach kann Berufsausbildungsbeihilfe nach Anhörung der Eltern ohne Anrechnung des Unterhaltsbetrages geleistet werden

  • wenn der Auszubildende glaubhaft macht, dass seine Eltern den bei der Berechnung der Ausbildungsbeihilfe angerechneten Unterhaltsbetrag - der höher liegen könne als ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch - nicht leisten
  • und deshalb die Berufsausbildung gefährdet ist.
  • Die von der Beschwerdeführerin behauptete Ungleichbehandlung sei hiernach nur dann denkbar, wenn die Ausbildung trotz einer zu geringen Unterhaltsleistung der Eltern nicht gefährdet sei und deshalb die Voraussetzungen des § 68 SGB III für eine anrechnungsfreie Beihilfe nicht erfüllt seien.

Aspekt der Ungleichbehandlung

Das Kriterium der Gefährdung der Berufsausbildung spricht nach Auffassung der Verfassungsrichter aber auch dagegen, dass die betroffenen Personengruppen hier überhaupt im Sinne von Art. 3 GG vergleichbar  sind und stelle im übrigen einen eine mögliche Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund dar.

Damit sei eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in der Beschwerdeschrift nicht schlüssig dargetan und die Verfassungsbeschwerde deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen.

(BVerfG, Beschluss v. 13.11.2018, 1 BvR 1223/18).


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