Entwurf zum Kindergrundrecht - Symbolpolitik oder Rechtsänderung

Unterschrieben hat die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention schon lange, doch gegen die Aufnahme der Kindergrundrechte in das Grundgesetz gab es Widerstände. Nun hat das Bundeskabinett hat die formal überfällige Übernahme von Kinderrechten ins GG beschlossen. Teilen der Opposition geht die Reform nicht weit genug, andere halten sie für überflüssig. Die für die Reform notwendige Zweidrittelmehrheit steht daher noch nicht.

30 Jahre ist die UN-Kinderrechtskonvention inzwischen alt. Im Jahr 1992 hat Deutschland die Konvention ratifiziert und damit zu innerstaatlichem Recht erhoben. Bis heute haben die dort postulierten Kinderrechte in Deutschland keinen Verfassungsstatus. Dies soll sich nach dem Willen des Kabinetts mit einer Reform des Art. 6 GG nun ändern.

Gesetzentwurf folgt auf langjährige Diskussion

Dem Gesetzentwurf vorausgegangen war ein langer Diskussionsprozess, im Jahr 2019 auch bereits im Bundestag. Eine von Bund und Ländern installierte Arbeitsgruppe hat intensiv an der Formulierung gearbeitet und im Oktober 2019 einen Vorschlag vorgelegt, auf dessen Grundlage der jetzige Kabinettsbeschluss beruht.

Wichtig: Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass in Deutschland alle Personen bis zum Alter von 18 Jahren als Kinder einzustufen sind.

Was ist mit der Änderung des Art. 6 GG geplant?

Der Beschluss der Bundesregierung sieht die Einfügung eines neuen Art. 6 Abs. 2 ins GG vor mit folgendem Inhalt:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Vier Elemente sind prägend für die geplante Reform

Die Gesetzesänderung enthält im wesentlichen dies Einzelelemente:

  1. Erstes Element ist die Klarstellung, dass Kinder Träger von Grundrechten sind und ein Recht zur Entwicklung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit besitzen.
  2. Die Verpflichtung zur angemessenen Berücksichtigung des Kindeswohls stattet das in vielen Gesetzen verankerte Kindeswohlprinzip mit Verfassungsrang aus. Die Verpflichtung zur angemessenen Kindeswohlberücksichtigung enthält eine Relativierung insofern, als im Rahmen behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen widerstreitenden Interessen mit dem Kindeswohl unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzuwägen sind.
  3. Der Statuierung eines Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt besondere Bedeutung zu, da danach sowohl bei behördlichen als auch bei gerichtlichen Entscheidungen, die das Kindeswohl berühren, künftig die Verpflichtung bestehen würde, die konkreten Interessen des Kindes im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu ermitteln.
  4. Schließlich enthält der Entwurf die Klarstellung der Erstverantwortung der Eltern, d.h., das Wächteramt des Staates bei Gefährdung des Kindeswohls kommt immer erst sekundär bei einer Verletzung der elterlichen Verantwortung zum Zuge.

Gegenargument: Kinder sind auch ohne Verfassungsänderung Grundrechtsträger

Kritiker der geplanten Reform führen an, dass Kinder in Deutschland auch jetzt schon alle Grundrechte besitzen. Mit der geplanten Reform würde diese Selbstverständlichkeit lediglich klargestellt. Die Klarstellung einer Selbstverständlichkeit im GG sei aber überflüssiger Ballast der von den Vätern (!) des Grundgesetzes dankenswerterweise kurz und knackig formulierten Verfassung. Mit der geplanten Reform werde reine Symbolpolitik betrieben.

Reform berücksichtigt besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern

Die Befürworter der Reform führen für die Änderung die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder ins Feld. Aus dem GG gehe die Verpflichtung des Staates zu besonderem Schutz der Kinderrechte bisher nicht hervor. Mit der Ergänzung würde verdeutlicht, welch hohe Bedeutung Kinderrechten in unserer Gesellschaft zukommt. Das wohl austarierte Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat werde durch die Änderung nicht angetastet, sondern betont.

Andere Kritiker rügen die Reform als halbherzig

Einigen Oppositionspolitikern geht die Reform nicht weit genug. Sie monieren, der Entwurf bleibe hinter den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention zurück und fordern eine klarere Formulierung des Staatsziels der Schaffung kindgerechter Lebensbedingungen sowie konkrete Beteiligungsrechte des Kindes bei staatlichen Entscheidungen.

Verfassungsänderung geht nur mit Zweidrittelmehrheit

Zur Durchsetzung der Reform benötigt die Regierung gemäß Art. 79 Abs. 2 GG eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Angesichts der noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten ist eine solche qualifizierte Mehrheit zur Zeit noch nicht in Sicht.

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Hintergrund: Wächteramt des Staates

Wächteramt des Staates aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG bedeutet, dass die "staatliche Gemeinschaft" über die Ausübung elterlicher Pflichten wacht (BVerfG, 29.7.1968 –1 BvL 20/63) . Die Karlsruher Richter betonen jedoch, dass nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit den Staat berechtige oder verpflichte, den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu entziehen oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. "Vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen (BVerfG  Urteil v. 19.2.2013 – 1 BvL 1/11).

Die Hürden für staatliches Einschreiten sind vergleichsweise hoch: Nur wenn das Kindeswohl nachhaltig gefährdet ist, darf der Staat sein Wächteramt ausüben. Je nachdem, welche Regelung der Verfassungsgesetzgeber zu Kinderrechten trifft, könnte diese jedenfalls mittelbar Folgen für das Verhältnis von primärer Elternverantwortung und dem – bislang sehr engen – staatlichem Wächteramt haben.

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Schlagworte zum Thema:  Kind, Grundgesetz, Kindeswohl