Eheaufhebungsinteresse?: Eheschließung trotz Demenzerkrankung

Ist eine Person zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht geschäftsfähig, fehlt grundsätzlich die erforderliche „Ehegeschäftsfähigkeit“. Der Lebensbund kann dann durch richterlichen Beschluss aufgehoben werden. Überwiegt aber das Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe gegenüber dem öffentlichen Ordnungsinteresse, besteht dafür kein Grund.

Wie in guten, so auch in schlechten Zeiten? Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob die Ehe eines an Demenz erkrankten Mannes und seiner ihn pflegenden Frau aufzuheben ist und hat die gemeinsame verbrachte Lebenszeit und die zwischenmenschliche Fürsorge honoriert.

Eheschließung nach Alzheimerdiagnose

Seit 1973 verband die beiden Antragsgegner eine enge partnerschaftliche Beziehung. Nachdem der Mann an Alzheimer erkrankte, wurde seine Lebensgefährtin zu seiner Betreuerin bestellt. Beide lebten damals in getrennten Wohnungen, so dass er zunächst in einem auf demenzkranke Patienten spezialisiertes Seniorenheim untergebracht wurde. Anfang 2004 bezogen dann beide erstmals gemeinsam ein Wohnhaus, in dem sich die Antragsgegnerin weiterhin um ihren Partner kümmerte und ihn pflegte. Wenige Monate später heirateten sie standesamtlich.

Fehlende „Ehegeschäftsfähigkeit“

Der Nichte des Mannes war nicht ganz wohl bei der Sache und sie beantragte die Aufhebung der Ehe. Ihr Onkel sei aufgrund der Demenz zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht geschäftsfähig gewesen. Nachdem zunächst das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Antrag stattgegeben hatte, wurde auch die Berufung der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Das OLG war der Auffassung, dass der Antragsgegner aufgrund seiner fortgeschrittenen Hirnerkrankung nicht mehr geschäftsfähig war und ihm dadurch auch die für eine Eheschließung erforderliche Ehegeschäftsfähigkeit fehlte (§ 1304 BGB). Er war nicht mehr in der Lage, das Wesen einer Ehe zu begreifen und eine freie Willensentscheidung zur Eingehung der Ehe zu treffen.

OLG lehnte Härtefall ab

Da aus der Verbindung der beiden keine Kinder hervorgingen, stelle die Aufhebung der Ehe nach Auffassung der OLG-Richter auch keine unzulässige Härte dar. Der Umstand, nicht mehr verheiratet zu sein, reiche hierfür allein nicht aus. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung der Versorgungslage der Antragsgegnerin nach Aufhebung der Ehe waren nicht ersichtlich. Ein Zusammenleben sei nach Aufhebung schließlich weiterhin möglich.

BGH: Eheerhaltungsinteresse überwiegt das staatliche Ordnungsinteresse

Der BGH sah dies jedoch anders und wies den Aufhebungsantrag ab. Zwar sahen es auch die Bundesrichter als erwiesen an, dass der Mann aufgrund seiner Demenzerkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht geschäftsfähig war und ihm dadurch die erforderliche Ehegeschäftsfähigkeit fehlte. Allerdings kamen die Bundesrichter bei der für die Prüfung des Härtefalls vorzunehmenden Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis. Die Aufhebung der Ehe sei vorliegend nicht geboten, da vom Standpunkt eines billig und gerecht denkenden Betrachters nicht von einem vorrangigen Ordnungsinteresse gegenüber dem Eheerhaltungsinteresse ausgegangen werden kann.

Ordnungsinteresse nicht verletzt

Das Ordnungsinteresse an der Aufhebung der Ehe mit einem Geschäftsunfähigen ist vorliegend nicht verletzt. Grundsätzlich ist das Ordnungsinteresse dann berührt, wenn die grundrechtlich geschützte Eheschließungsfreiheit verletzt ist, weil

  • die Ehe zu dem Zwecke eingegangen wird, staatliche Leistungen oder anderer öffentlich-rechtliche Vorteile zu erlangen
  • die Ehe zu dem Zwecke eingegangen wird, eherechtliche Ansprüche der Ehegatten untereinander zu begründen, von denen ausschließlich oder weit überwiegend der geschäftsfähige Ehepartner profitiert. 

§ 1304 BGB in Verbindung mit Art. 6 GG will aber den freien Zugang zur Ehe nicht einschränken, sondern gewährleistet ihn, indem es Personen, die an der freien Willensbildung gehindert sind, vor der Ehe „bewahrt“. Im vorliegenden Fall waren keine Anhaltspunkte ersichtlich, die dem Ordnungsinteresse entgegenstehen. Im Gegenteil: Die Aufrechterhaltung der Ehe war nach Auffassung der Richter vorliegend sogar ausnahmsweise geboten.

Typischer Ausdruck ehelicher Solidarität

Beide Antragsgegner leben seit fast 40 Jahre in einer beständigen partnerschaftlichen Verbundenheit miteinander und seit acht Jahren auch in einer ehelichen Gemeinschaft. Die langjährige Fürsorge und Pflege ist ein typischer Ausdruck gelebter ehelicher Solidarität. Durch eine Aufhebung der Ehe aber würde der langjährig gewachsenen Lebensgemeinschaft die rechtliche und gesellschaftliche Grundlage entzogen und dies eine unzulässige Härte darstellen. 

(BGH, Urteil v. 11.4.2012, XII ZR 99/10).