Anforderungen an das gemeinsame Sorgerecht unverheirateter Eltern

Die erstmalige Anordnung der gemeinsamen Sorge unverheirateter Eltern darf dem Kindeswohl nicht widersprechen. Im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Prognoseentscheidung kann es grundsätzlich gerechtfertigt sein, eine Erprobungsphase abzuwarten. Die Sorge muss jedoch allein bei der Mutter verbleiben, wenn aufgrund des hochstrittigen Elternverhaltens bereits eine Phase des Erprobens dem Kindeswohl schadet.

Die nicht verheirateten Eltern lebten zunächst zusammen mit Ihrem 2006 geborenen Sohn in Gelsenkirchen. Im Jahr 2013 trennte sich das Paar und die Kindesmutter zog mit dem Sohn ins Oldenburger Land. Während der Trennungsphase verständigten sich die Eltern zunächst auf ein dem Vater zustehendes 14-tägiges Umgangsrecht.

Vater beantragt gemeinsames Sorgerecht erst nach der Trennung

Knapp drei Monate nach der endgültigen räumlichen Trennung beantragte der Kindesvater beim Amtsgericht,

  • die elterliche Sorge auf beide Elternteile gemeinsam sowie
  • das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn auf ihn allein zu übertragen.

Nachdem der Vater mit seinen Anträgen beim Amtsgericht erfolglos blieb, lehnte nun auch das OLG Hamm die Beschwerde des Vaters ab.

Kindeswohl im Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 1626a BGB

Gem. § 1626a Abs. 3 BGB trägt bei unverheirateten Eltern grundsätzlich der Mutter die elterliche Sorge alleine. Das Familiengericht kann jedoch auf Antrag eines Elternteils beiden Eltern gemeinsam die elterliche Sorge übertragen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 BGB).

Voraussetzung für die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist, dass sie dem Kindeswohl nicht widerspricht. Dies wird ausdrücklich gesetzlich vermutet (§ 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB), wenn

  • weder der andere Elternteil entgegenstehenden Gründe vorträgt,
  • noch sonstige entgegenstehende Gründe ersichtlich sind.

Negative Kindeswohlprüfung

Im Rahmen dieser sog. negativen Kindeswohlprüfung ist es nach Auffassung des OLG erforderlich, dass zwischen den Eltern

  • eine hinreichend tragfähige soziale Beziehung,
  • ein Mindestmaß an Übereinstimmung und
  • die grundsätzliche Fähigkeit zum Konsens besteht.

Eigenständigen Prüfungsmaßstab bei erstmaliger Anordnung - Prognoseentscheidung

Im Gegensatz zu § 1671 BGB, der bei verheirateten Eltern für die Übertragung der elterlichen Sorge auf nur einen Elternteil die nachträgliche Feststellung des Scheiterns der gemeinsamen Sorge verlangt, ist im Rahmen des § 1626a BGB bei unverheirateten Eltern für die erstmalige Anordnung der gemeinsamen Sorge eine Prognoseentscheidung vom Gericht zu treffen.

Unterschiedliche Prüfungsansätze


Die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil bei bestehender gemeinsamer elterliche Sorge verheirateter Eltern setzt nach § 1671 BGB voraus,

  • dass eine Alleinsorge dem Kindeswohl am besten entspricht.

Die erstmalige Übertragung der elterlichen Sorge auf beide nicht verheirateten Eltern gemeinsam bei bestehender Alleinsorge der Mutter setzt nach § 1626a BGB setzt voraus,

  • dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht

Erprobungsphase grundsätzlich gerechtfertigt

Da nach § 1626a BGB grundsätzlich die Mutter die Alleinsorge trägt, hat eine gemeinsame Sorge bei unverheirateten Eltern bis zu ihrer erstmaligen Anordnung noch nicht bestanden und wurde, auch wenn die Eltern zeitweise mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben, faktisch noch nicht ausgeübt. Die Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung für das Kind müsse somit u.U. erst noch erlernt werden.

Aus diesem Grund dürfen nicht allzu strenge Maßstäbe für die erstmalige Anordnung gesetzt werden. Um herauszufinden, ob eine gemeinsame Sorge auch tatsächlich funktioniert, könne nach Auffassung des OLG grundsätzlich auch eine Erprobungsphase gerechtfertigt sein.

Alleinsorge der Mutter vorzuziehen

Dennoch könne und müsse auch bei Prognoseprüfung auf die von der Rechtsprechung entwickelten und anerkannten Sorgekriterien zurückgegriffen werden.

Darum muss es bei der Alleinsorge der Mutter bleiben, wenn eine gemeinsame elterliche Sorge prognostisch praktisch nicht funktionieren würde, z.B. wenn

  • gravierende Kommunikationsdefizite vorliegen bzw.
  • mit erheblicher Gewissheit zu erwarten ist, dass zwischen den Eltern auch zukünftig in den Kindesangelegenheiten keine Kooperation stattfindet,
  • insbesondere auch mit professioneller Hilfe voraussichtlich keine Aussicht auf Besserung besteht und
  • sich dieser Umstand erheblich belastend auf das Kindeswohl auswirkt.

Hochstrittiges Elternverhalten

Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme, für die u.a. auch ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde, kamen die Richter vorliegend zu dem Ergebnis, dass eine Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge  dem Wohl des Kindes widersprechen würde. Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie -bereitschaft der Kindeseltern sei erheblich und nachhaltig eingeschränkt. Das hochkonflikthafte Verhalten der Eltern sei für das Kind psychisch stark belastend und habe bereits jetzt einen erheblichen Loyalitätskonflikt ausgelöst. Danach blieb es bei dem alleinigen Sorgerecht der Mutter.

(OLG Hamm, Urteil v. 24.5.2016, 3 UF 139/15).


Hintergrundwissen

Europarechtlich erkämpfte Regelung zum Sorgerecht nicht verheirateter Eltern

Die Neuregelung zum Sorgerecht nichtverheirateter Eltern trat am 19.5.2013 in Kraft, um die Konventions- und Verfassungswidrigkeit beseitigt, die der EGMR mit Urteil v. 3.12.2009 und anschließend das BVerfG mit Beschluss v. 21.7.2010 festgestellt hatten, weil die frühere Fassungder Vorschrift das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes dadurch verletzt hat, dass er ohne gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit mangels Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen war.

Mindestanforderungen an ein gemeinsames Sorgerecht gem. § 1626a BGB

Das gemeinsame Sorgerecht erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung der Eltern in den wesentlichen Bereichen und ihre Kooperationswilligkeit und -fähigkeit, mithin eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern 

  • Die Übertragung widerspricht aber nicht schon deshalb dem Kindeswohl, weil ein Elternteil sie ablehnt. Vielmehr muss dieser Elternteil konkrete Anhaltspunkte dafür datun, dass die gemeinsame Sorge sich nachteilig auf das Kind auswirken würde (BTDrs 17/11048, 17).
  • Dies ist der Fall, wenn die Kommunikation der Eltern so schwerwiegend und nachhaltig gestört ist, dass ihnen eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich durch die aufgezwungene gemeinsame Sorge erheblich belastet würde (BTDrs 17/11048).
  • Dabei ist aber stets zu beachten, dass beide Elternteile verpflichtet sind, zum Wohl des Kindes konstruktiv und angemessen miteinander umzugehen und bereits manifeste Kommunikationsschwierigkeiten zu überwinden (BTDrs 17/11048, 17).

Leben die Eltern seit längerer Zeit zusammen, wird dies regelmäßig ein Indiz für eine gelingende Kooperation der Eltern sein und es wird des Vortrags gewichtiger Gründe bedürfen, warum eine gemeinsame Sorgetragung dennoch dem Kindeswohl widerspricht (BTDrs 17/11048, 18).


Vätervarianten

Es gibt viele Spielarten der Vaterschaft:

  • Leibliche oder biologischer Vater: Wer ein Kind zeugt, ist der leibliche Vater. Die biologische Vaterschaft ist aber nicht notwendig, um als rechtlicher Vater zu gelten.
  • Rechtlicher Vater: Nach dem BGB ist der Mann Vater eines Kindes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.
  • Stiefvater oder sozialer Vater: Ein neuer Partner der Mutter übernimmt für deren Kind u.U. eine soziale Vaterrolle, bleibt aber ohne rechtliche Beziehung zum Nachwuchs. Diese erreicht er ggfs. durch eine Stiefkindadoption.
  • Adoptivvater: Er ist juristisch dem rechtlichen Vater gleichgestellt, das Kind hat in der Adoptivfamilie die gleichen Rechte wie ein eheliches Kind. Die rechtlichen Verbindungen zwischen Adoptivkind und seinen leiblichen Eltern werden dagegen vollständig gekappt.
  • Pflegevater: Sie sind «Väter auf Zeit». Ein Pflegekind bleibt immer ein Mitglied seiner Herkunftsfamilie und behält deren Namen. Der Gesetzgeber versteht die Pflegschaft als vorübergehende Maßnahme, um das Kind zu versorgen und womöglich wieder zu seinen leiblichen Eltern zurückzubringen.
  • Scheinvater: Ihm wird in einer Ehe oder Partnerschaft ein Kind untergeschoben, etwa wenn er mangels Verdacht oder wider besseres Wissen die Vaterschaft anerkennt oder nicht anficht, aber nicht der biologische Vater ist.
Schlagworte zum Thema:  Sorgerecht, Kindeswohl