MB/KT 2009 § 1 Abs. 3

Leitsatz

1. Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 1 MB/KT 2009 entfällt nicht, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben.

2. Arbeitsunfähigkeit eines Rechtsanwalts ist gegeben, wenn diesem die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung der übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten fehlt.

BGH, Urt. v. 3.4.2013 – IV ZR 239/11

Sachverhalt

Der Kl., von Beruf Rechtsanwalt, macht Leistungsansprüche aus einer bei der Bekl. unterhaltenen Krankentagegeldversicherung für die Zeit vom 8.6.2010 bis zum 3.6.2011 geltend. Aufgrund eines leichten Schlaganfalls mit der Folge einer Lesestörung (Dyslexie) war der Kl. jedenfalls ab dem 23.8.2006 arbeitsunfähig. Die Bekl. zahlte ihm daraufhin das vereinbarte Krankentagegeld, stellte die Zahlungen jedoch mit Ablauf des 22.7.2007 ein, weil sie der Auffassung war, dass das Versicherungsverhältnis durch den Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet sei. Auf die daraufhin erhobene Klage wurde die Bekl. rechtskräftig zur Zahlung von Krankentagegeld bis zum 27.2.2009 verurteilt. Sie nahm danach die Zahlungen wieder auf, kündigte aber mit Schreiben vom 1.3.2010 erneut die Einstellung der Zahlungen an, weil nunmehr Berufsunfähigkeit vorliege. Mit seiner Klage begehrt der Kl. die Zahlung von Krankentagegeld für den oben genannten Zeitraum.

2 Aus den Gründen:

[12] "… II. … Die Feststellungen des BG vermögen dessen Annahme einer teilweise gegebenen Arbeitsfähigkeit des Kl. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu tragen."

[13] 1. Im Ansatz zutreffend geht das BG allerdings davon aus, dass bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen. Diese setzt aber voraus, dass der VN in der Lage ist, dem ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mindestens teilweise nachzugehen (Senat VersR 1993, 297 unter II 1).

[14] 2. Hierfür genügt es entgegen der Auffassung des BG nicht, dass der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben. Dies schließt es aus, bei einem selbstständig tätigen Rechtsanwalt, der eigenständig Mandate bearbeitet, nur auf einen Ausschnitt der dabei anfallenden Aufgaben, wie zum Beispiel das Führen von Mandantengesprächen, abzustellen. Vielmehr stellt die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben des juristischen Berufs dar; für den Beruf des Rechtsanwalts ist eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit unabdingbar. Nur so ist für den Rechtsanwalt – mag auch eine Übernahme von Mandaten nur in reduziertem Umfang möglich sein – die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung dieser übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten gegeben.

[15] Nichts anderes ergibt sich aus dem vom BG für seine Auffassung herangezogenen Senatsurt. v. 18.7.2007 (VersR 2007, 1260). Zwar hat der Senat dort bei einem Architekten, der nachweislich an drei Tagen Akquisetätigkeit ausgeübt hatte, diese Tätigkeit für den Verlust des Tagegeldanspruchs ausreichen lassen, allerdings nur für jene drei Tage. Diese Rechtsfolge ergab sich allein aus dem Tatbestandsmerkmal “sie auch nicht ausübt' in § 1 Abs. 3 MB/KT. Dieses selbstständige Tatbestandsmerkmal knüpft an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit in Teilbereichen trotz insgesamt weiter vorliegender Arbeitsunfähigkeit an und sanktioniert eine solche Tätigkeit mit dem Verlust des Tagegeldanspruchs. Der Senat hat indes aus der Fähigkeit zur Akquise – obwohl er hierin eine teilweise Berufsausübung gesehen hat – gerade nicht generell auf eine teilweise Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geschlossen. Er hat das dortige Berufungsurteil vielmehr hinsichtlich des weiteren Tagegeldanspruchs (für die anderen als die drei betroffenen Tage) aufgehoben und die Sache insoweit an das BG zurückverwiesen (a.a.O. Rn 44).

[16] 3. Nicht zu folgen ist der Annahme des BG, der Kl. könne zumindest ein bis zwei Mandate pro Woche bearbeiten, wenn er sich auf Mandate für “einfache Kündigungsschutzklagen' und im Übrigen auf Rechtsgebiete beschränke, in denen eine Fortbildung durch Vorträge möglich sei, so dass sein Haftungsrisiko das gewöhnliche Maß nicht übersteige. Das BG hat die Anforderungen, die an einen Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nach gefestigter Rspr. zu stellen sind, in grundsätzlicher Weise verkannt, weshalb die getroffenen Feststellungen die Annahme einer teilweise wiederhergestellten Arbeitsfähigkeit nicht zu tragen vermögen.

[17] a) Einen Rechtsanwalt treffen bei der Bearbeitung jedes Mandats umfassende Sorgfaltspflichten.

[18] aa) Er ist insb. gehalten, die höchstrichterliche Rspr. anhand der amtlichen Sammlungen und der einschlägigen Fachzeitschriften zu verfolgen (BGH WM 2010, 2050 Rn 17 [für Steuerberater]; NJW 2001, 675 unter II 1). Wer wie der Kl. fünf Jahre lang nicht gearbeitet und sich deshalb nicht auf dem Lau...

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