VVG § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 § 9 § 152
Leitsatz
a) Zur ordnungsgemäßen Belehrung im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG für den Fall, dass der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt, gehört neben dem Hinweis auf die Rückgewähr empfangener Leistungen auch der Hinweis auf die herauszugebenden gezogenen Nutzungen.
b) Im Rahmen der Rückabwicklung nach § 152 Abs. 2 i.V.m. § 169 VVG ist der Rückkaufswert nach dem ungezillmerten Deckungskapital ohne Verrechnung der Abschluss- und Vertriebskosten zu bestimmen.
BGH, Urt. v. 11.10.2023 – IV ZR 40/22
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages. Unter dem 27.10.2009 beantragte der Kl. bei der Bekl. den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages. Die Bekl. nahm den Antrag an und übersandte dem Kl. den Versicherungsschein. Auf der zweiten Seite des Policenbegleitschreibens hieß es:
"Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt am Tag, nach welchem Ihnen"
– der Versicherungsschein einschließlich der Belehrung über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs,
– die Vertragsbestimmungen einschließlich unserer Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und
– die nach der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV) vorgeschriebenen Informationen, die Sie in diesen “Versicherungsinformationen‘, den Vertragsbestimmungen sowie bei Verbrauchern im Produktinformationsblatt finden,
zugegangen sind. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:
Im Falle eines wirksamen Widerrufs erstatten wir Ihnen den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfällt.
Den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, behalten wir ein, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Wir erstatten Ihnen aber einen ggf. vorhandenen Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG. Haben Sie die Zustimmung nicht erteilt oder beginnt der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist, sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren.
Unsere Erstattungspflicht erfüllen wir unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs.“
Im Juni 2017 wurde der Vertrag auf Wunsch des Kl. beitragsfrei gestellt. Mit Schreiben vom 20.5.2019 erklärte der Kl. den so bezeichneten "Widerspruch", den die Bekl. zurückwies.
Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kl. mit seiner Klage die Zahlung von 54.805,56 EUR nebst Zinsen verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kl. den Zahlungsantrag zuletzt auf 34.992,26 EUR reduziert. Das OLG die Bekl. unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an den Kl. 31.226,26 EUR nebst Zinsen zu zahlen …
2 Aus den Gründen:
[9] 1. Zu Recht ist das BG davon ausgegangen, dass der Kl. seine Vertragserklärung mit Schreiben vom 20.5.2019 wirksam widerrufen hat.
[10] a) Die Widerrufsfrist begann gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht zu laufen, weil die Bekl. ihn nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen eines Widerrufs belehrt hatte.
[11] aa) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG setzt der Beginn der Widerrufsfrist den Zugang einer deutlich gestalteten Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem VN seine Rechte deutlich machen, voraus. Es muss klargestellt werden, in welcher Konstellation welche gegenseitigen Ansprüche bestehen (Senat BGHZ 200, 293 Rn 38). Erforderlich, aber auch ausreichend ist dabei die abstrakt-generelle Darstellung des vorzunehmenden Ausgleichs (…).
[12] bb) Auf dieser Grundlage hat das BG im Ergebnis zu Recht eine ordnungsgemäße Belehrung des Kl. verneint, weil die Bekl. diesen nicht über einen möglichen Nutzungsherausgabeanspruch belehrt hat.
[13] (1) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG ist der VN auch über die Rechtsfolgen eines Widerrufs zu belehren.
[14] Damit ihm klar ist, in welcher Konstellation welche gegenseitigen Ansprüche bestehen und somit welche wirtschaftlichen Folgen der Widerruf für ihn hat, muss er zumindest über seine wesentlichen Rechte informiert werden. Zu diesen zählt bei einer möglichen Geltung der allgemeinen Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt (§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. §§ 346 ff. BGB) nicht nur, dass der VR gemäß § 346 Abs. 1 Fall 1 BGB gezahlte Prämien zurückzuzahlen hat, sondern auch, dass er gegebenenfalls gezogene Nutzungen nach § 346 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB herausgeben muss (vgl. BGHZ 172, 58 Rn 16 zu §§ 312, 355 BGB a.F.; OLG Karlsruhe VersR 2019, 865; Heinig/Makowsky in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 8 Rn 50; Schneider, VW 2008, 1168, 1171). Bestätigt wird dies durch die zum 11.6.2010 erfolgte Aufnahme eines Hinweises auf diesen Anspruch in die Musterwiderrufsbelehrung nach der Anlage zu § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. Das Muster über die Widerrufsbelehrung kann auch schon für die Zeit ...