Gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO sind vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Damit verfolgt der Gesetzgeber mehrere Zwecke: Zum einen soll das Vorverfahren eine Selbstkontrolle der Verwaltung durch die Widerspruchsbehörde ermöglichen. Zum anderen soll es einen effektiven individuellen Rechtsschutz gewährleisten, indem es für den Rechtsuchenden eine der gerichtlichen Kontrolle vorgelagerte und gegebenenfalls erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet. Das zeigt sich insbesondere im Rahmen der Überprüfung von Ermessensentscheidungen, bei denen die Widerspruchsbehörde grundsätzlich auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts beurteilt. Schließlich soll das Vorverfahren die Gerichte entlasten und auf diese Weise gerichtliche Ressourcen schonen ("Filterwirkung"). Da das Vorverfahren weder allein öffentlichen Interessen noch allein denen des Betroffenen dient, steht die Durchführung mit Blick auf die Zulässigkeit einer beabsichtigten Klage nicht zur Disposition der Beteiligten (BVerwGE 66, 342).
Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 12.8.2014 (1 C 2.14, NVwZ-RR 2014, 869 ff.) herausgestellt, dass wegen der Funktionentrias sowie aus Gründen der Rechtssicherheit der Grundsatz mangelnder Disponibilität der Beteiligten im Hinblick sowohl auf einen Verzicht als auch eine Wiederholung des Vorverfahrens gelte. Zwar regele § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO nur, dass es einer Nachprüfung in einem Vorverfahren nicht bedürfe, wenn der Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthalte; dazu zähle auch eine dem Widerspruchsführer nachteilige Kostenentscheidung (BT-Drucks. 13/5098 S. 23; ebenso Kastner in: Fehling/Kastner/Störmer, Hk-VerwR, 3. Aufl. 2013, § 68 VwGO Rn. 41; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 68 Rn. 146). Wolle man aus dieser Formulierung des Gesetzes den Schluss ziehen, der Betroffene könne erneut Widerspruch erheben, bestünde insbesondere in mehrpoligen Rechtsverhältnissen mit Drittbetroffenen die Gefahr einer "Endlosschleife" sich wiederholender Widerspruchsverfahren. Mit dem Erlass des Abhilfe- oder Widerspruchsbescheids sei das Verwaltungsverfahren jedoch abgeschlossen, und die oben genannten Funktionen des Vorverfahrens seien erfüllt (BVerwG NVwZ 2006, 1294). Wenn der Gesetzgeber nicht selbst explizit Wahlmöglichkeiten eröffne (vgl. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BayAGVwGO), streite zudem das Gebot der Rechtssicherheit für eine Auslegung des Prozessrechts, die zu klaren und eindeutigen Regelungen über den statthaften Rechtsbehelf führe.
Autor: VorsRiVG Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen
ZAP 1/2015, S. 533 – 548