Leitsatz (amtlich)
Bei der Verteidigerbestellung tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis zurück. Deshalb steht die Ortsferne des Kanzleisitzes nur dann der Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet würden. Im Bestellungsverfahren bedarf es auch keiner weiteren Darlegungen zum Vertrauensverhältnis. In die Gesamtabwägung der Verteidigerbestellung sind die Nähe des Gerichtsbezirks eines ortsfremden Verteidigers und die Schwere des Schuldvorwurfs einzubeziehen.
1.
Zeigt ein Beschuldigter dem Gericht an, dass er durch einen Wahlverteidiger vertreten wird, sind auch bei einem Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO die Voraussetzung für eine Bestellung zunächst entfallen.
2.
Ortsferne des Kanzleisitzes steht nur dann der Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet würden. Im Bestellungsverfahren tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis zurück. Anders als im Fall der Beendigung der Pflichtverteidigung aus wichtigem Grund bedarf es im Bestellungsverfahren keiner weiteren Darlegungen zum Vertrauensverhältnis.
3.
In die Gesamtabwägung nach § 142 Abs. 1 StPO sind die Nähe des Gerichtbezirks eines ortsfremden Verteidigers und die Schwere des Schuldvorwurfs einzubeziehen.
Normenkette
StPO § 141 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2, § 142 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
LG Meiningen (Entscheidung vom 01.09.2008; Aktenzeichen 3 AR 30/08) |
Tenor
1.
Der Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 1.9.2008 wird aufgehoben.
2.
Die Bestellung von Rechtsanwalt G zum Verteidiger des Beschuldigten wird zurückgenommen.
3.
Rechtsanwalt Peter K, wird zum Verteidiger des Beschuldigten bestellt.
4.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesen Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte wurde in dieser Sache am 28.07.2008 vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Sonneberg vom 29.07.2008 wegen des Verdachts des versuchten Totschlags in zwei Fällen in Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 05.08.2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Meiningen, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger gem. § 140 Nrn. 1, 2 und 6 StPO zu bestellen.
Mit Verfügung vom 11.08.2008 ordnete das Landgericht Meiningen die schriftliche Anhörung des Beschuldigten zur beabsichtigten Pflichtverteidigerbestellung an. Mit Schreiben vom 23.08.2008 teilte der Beschuldigte dem Landgericht mit, er habe bereits einen Verteidiger bestellt, es handele sich dabei um Rechtsanwalt K aus G.
Mit Beschluss vom 01.09.2008 bestellte der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Meiningen sodann Rechtsanwalt G aus M zum Pflichtverteidiger und lehnte gleichzeitig die Bestellung von Rechtsanwalt K als Pflichtverteidiger ab. Insoweit ist im Beschluss vom 1.9.2008 ausgeführt: "Der vom Beschuldigten benannte Rechtsanwalt K aus G kann nicht zum Pflichtverteidiger bestellt werden, weil er nicht im hiesigen Gerichtsbezirk seinen Kanzleisitz hat."
Mit Schriftsatz vom 15.09.2008 - ersichtlich vor Kenntnis des Beschlusses des Landgerichts Meinigen vom 01.09.2008 - beantragte Rechtsanwalt K unter Vorlage einer Vollmacht vom 10.09.2008 ihn als Pflichtverteidiger für den Beschuldigten zu bestellen. Mit weiterem Schriftsatz vom 01.10.2008 legte der Beschuldigte über seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt K gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 01.09.2008 das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Zur Begründung wird vorgetragen, das Landgericht sei verpflichtet gewesen, den Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen; der Kanzleisitz des Wahlverteidigers spiele insoweit keine Rolle.
Mit Beschluss vom 21.10.2008 half das Landgericht Meiningen der Beschwerde nicht ab.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlage der Sache an den Senat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen und den Antrag vom 15.09.2008 zurückzuweisen.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Beschwerde ist ausweislich des Verteidigerschriftsatzes vom 01.10.2008 nicht von Rechtsanwalt K im eigenen Namen eingelegt worden, sondern ausdrücklich "namens" des Beschuldigten, der durch die Ablehnung der Bestellung des von benannten Verteidigers allein beschwert ist.
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Bestellung des gewünschten Verteidigers Rechtsanwalt K.
1.
Die Bestellung von Rechtsanwalt G entsprach nicht dem Gesetz.
Der Beschuldigte hatte in seinem Schreiben vom 23.08.2008 dem Gericht mitgeteilt, dass er bereits einen Verteidiger bestellt habe, nämlich Rechtsanwalt K aus G. Diese Angabe steht nicht im Widerspruch zu der den 10.09.2008 datierten Vollmachtsurku...