Leitsatz (amtlich)

Eine schwierige und höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage (hier: Beginn der Frist nach § 1605 Abs. 2 BGB) darf im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren nicht zum Nachteil des um Verfahrenskostenhilfe Nachsuchenden entschieden werden.

 

Verfahrensgang

AG Völklingen (Beschluss vom 20.05.2011; Aktenzeichen 8 F 77/11 VKH1)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des AG - Familiengericht - in Völklingen vom 20.5.2011 - 8 F 77/11 VKH1 - abgeändert und den Antragstellerinnen ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt, bewilligt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen - der der am Beschwerdeverfahren beteiligte Antragsgegner nichts entgegengesetzt hat - hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verfahrenskostenhilfebewilligung.

Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben; denn die Verweigerung der nachgesuchten Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der von den Antragstellerinnen beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO) überspannt die Anforderungen, die an sie zu stellen sind.

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Verfahrenskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahrenskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dies bedeutet zugleich, dass Verfahrenskostenhilfe nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Gerichte überspannen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht daher, wenn sie eine schwierige und höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage im summarischen Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren zum Nachteil des um Verfahrenskostenhilfe Nachsuchenden entscheiden. Danach muss Verfahrenskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ist dies hingegen nicht der Fall, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Verfahrenskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich dem Unbemittelten - wie dem Gegner - ungleich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung eines eigenen Rechtsstandpunktes. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren wird nicht selten Anlass bieten, die Rechtsmeinung, die sich das Gericht zunächst bildet, zu überdenken (vgl. zum Ganzen BVerfGE 81, 347; BVerfG NJW 2010, 3083; FamRZ 2009, 1654; 2007, 273; 2005, 1893; OLG Saarbrücken vom 21.2.2011 - 6 WF 140/10 -, NJW 2011, 1460 m.w.N.).

Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben, die auf die Auslegung von § 114 S. 1 ZPO ausstrahlen, hält die Versagung von Verfahrenskostenhilfe hier nicht stand.

Das Familiengericht hat im angefochtenen Beschluss seine Annahme fehlender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung darauf gegründet, dass das Verfahren wegen § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO bereits aufgrund einer unter dem Aktenzeichen 8 F 219/09 UK parallel beim selben Gericht rechtshängigen Stufenklage auf Unterhalt unzulässig sei. In der Nichtabhilfe vom 30.6.2011 hat sich das Familiengericht ergänzend darauf gestützt, dass dem vorliegend geltend gemachten erneuten Auskunftsbegehren § 1605 Abs. 2 BGB entgegenstehe, da in jenem Verfahren durch Teilversäumnisurteil vom 22.8.2009 auf den dort geltend gemachten Auskunftsantrag erkannt worden sei.

Diese Erwägungen verfangen - jedenfalls nach dem sich dem Senat im Beschwerdeverfahren darbietenden Sachstand - nicht.

Bezüglich ersterer Überlegung des Familiengerichts kann dahinstehen, wie es vor dem Hintergrund der für eine anderweitige Rechtshängigkeit erforderlichen Streitgegenstandsidentität zu beurteilen ist, dass der im Verfahren 8 F 219/09 UK der gesetzlichen Vertreterin der Antragstellerinnen zuerkannte Auskunftsanspruch den Zeitraum bis einschließlich ...

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