Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage zur Beachtlichkeit des Kindeswillens
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Kindeswille in angemessenem Maße mit zu berücksichtigen. Allerdings kann der bekundeten Willensäußerung eines Kindes - auch im Alter von 14 Jahren - im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung nicht ohne weiteres allein ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, wenn auch bei zunehmenden Alter des Kindes dessen Willen, hier also der Aufenthalt im väterlichen oder mütterlichen Haushalt, bedacht werden muss. Allerdings ist auch bei der Berücksichtigung des Kindeswillens im Rahmen der Einzelfallwägung zu prüfen, ob die Befolgung des Kindeswillens dessen Wohl am besten entspricht. Der Kindeswille ist auf seine Beachtlichkeit hin zu prüfen.
Ergibt sich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, dass der geäußerte Wille zwar nachvollziehbar ist aber dem Wohl des Kindes unter keinen Umständen entspricht, ist die Sorgerechtsentscheidung auch gegen den Kindeswillen zu treffen.
Verfahrensgang
AG Bonn (Urteil vom 11.06.2003; Aktenzeichen 40 F 199/00) |
Tenor
Die befristete Beschwerde des Antragsgegners vom 16.7.2003 gegen die Sorgerechtsentscheidung im Urteil des AG - FamG - Bonn vom 11.6.2003 - 40 F 199/00 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
Die gem. § 621 e Abs. 1 ZPO i.V.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insb. entsprechend §§ 517, 520 Abs. 2 S. 1 ZPO fristgerecht eingelegte und begründete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen hat das AG das Sorgerecht für den Sohn X der Beteiligten zu 1) und 2) im Einklang mit den Stellungnahmen des Jugendamtes und den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dipl.-Psychologe Q. vom 30.1.2004 (Bl. 133-153 GA) auf die Antragstellerin übertragen und nicht dem teilweise gegenläufigen Antrag des Antragsgegners zum Aufenthaltsbestimmungsrecht entsprochen. Die Beschwerde, mit der der Antragsgegner nunmehr das alleinige Sorgerecht für sich beansprucht, ist daher unbegründet.
Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist einem Elternteil auf seinen Antrag die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Für die Beurteilung des danach ausschließlich maßgebenden Gesichtspunkts des Kindeswohls kommt es vor allem darauf an, bei welcher Lösung das Kind voraussichtlich die besseren Entwicklungsbedingungen erhalten kann (Förderungsprinzip), wo sein Interesse an kontinuierlicher Entwicklung besser gewährleistet ist (Kontinuitätsprinzip), zu welchem Elternteil das Kind die tragfähigere Bindung hat, welcher Elternteil die Bindung zum anderen besser zu erhalten und zu fördern bereit ist (Bindungstoleranz) und welche Entscheidung dem Willen und den Neigungen des Kindes am Besten entspricht (vgl. zusammenfassend Schwab/Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., Teil III, Nr. 117). Mit dem FamG ist der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme der Auffassung, dass es in Anbetracht der diesbezüglichen Uneinigkeit der Eltern unter dem Gesichtspunkt der am wenigstens schädlichen Alternative dem Wohl des Kindes am Besten entspricht, der Antragstellerin das alleinige Sorgerecht zu übertragen.
Hierbei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Jugendamt (vgl. hierzu u.a. Schreiben des Jugendamtes vom 30.3.2004, Bl. 166 GA) davon aus, dass es derzeit dringend erforderlich ist, dass X zur weiteren Stabilisierung seiner Lebenssituation noch über geraume Zeit weiter in der derzeitigen Vollpflegegruppe im Heim verbleibt. Dies ist aber nur gewährleistet, wenn die Antragstellerin das alleinige Sorgerecht ausübt. Grundlage für diese Beurteilung des Senates ist die Erwartung, dass die Antragstellerin auch zukünftig entsprechend der Auffassung des Jugendamtes und der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Q den Sohn X zur Behandlung seiner Verhaltensauffälligkeiten für die behandlungserforderliche Zeit - voraussichtlich etwa zwei Jahre - in der Vollpflegegruppe belässt. Sollte sie zwischenzeitlich bei unveränderter Sachlage gegen das Kindeswohl ihre Meinung über die notwendigen Erziehungshilfen ändern, müsste die Sachlage neu beurteilt werden.
Der sog. Kontinuitätsgedanke, der auf die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse abzielt, ist entsprechend der obigen Einschätzung des Senates ausschlaggebend dafür, der Antragstellerin die Befugnis zu übertragen, über diese allein entscheiden zu können, damit Xs Heimunterbringung gewährleistet bleibt.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht aufgrund der überzeugenden, ausführlichen, wissenschaftlich belegten und gegen keine Denkgesetze verstoßenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dipl. Psychologen Q in seinem Gutachten vom 30.1.2004 (Bl. 133-153 GA) für den Senat die Notwendigkeit der weit...