Leitsatz (amtlich)

1. Ein nicht alle geforderten Angaben und Erklärungen enthaltendes Angebot ist nach § 25 Nr. 1 Abs. 2a VOL/A in Reduzierung des hiernach eingeräumten Entschließungsermessens der Vergabestelle auf Null regelmäßig jedenfalls dann zwingend auszuschließen, wenn die Erklärungsdefizite für die Position des Bieters im Wettbewerb von Belang sind.

2. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 19.6.2003 ("Hackermüller") kann dem Bieter eines unvollständigen Angebotes als Antragsteller im Nachprüfungsverfahren fehlende Antragsbefugnis (vgl. § 107 Abs. 2 GWB) für die Beanstandung anderer möglicher Vergabeverstöße des Auftraggebers entgegengehalten werden.

3. Ein zulässiger Nachprüfungsantrag kann ungeachtet von Mängeln in der Antragsbefugnis dann eröffnet sein, wenn kein Bieter ein wertungsfähiges Angebot abgegeben hat und die Vergabestelle am Beschaffungsvorgang festhält. Ob dies nur dann gilt, wenn das nicht wertbare Angebot des Antragstellers und die Angebote der Mitbewerber an dem gleichen zum Ausschluss führenden Fehler leiden, kann der Senat offen lassen.

4. Eine unzureichende Dokumentation des Vergabevorgangs führt nicht schon als solche zu dessen Rechtswidrigkeit.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Sachsen (Beschluss vom 29.02.2004; Aktenzeichen 1 SVK 157/03)

 

Tenor

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde vom 17.3.2004 gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 29.2.2004 - 1/SVK/157/03 - wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Antrag bleibt ohne Erfolg, weil nach dem Ergebnis der im Verfahren nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung die sofortige Beschwerde der Antragstellerin in der Hauptsache ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde kommt daher schon deshalb nicht in Betracht, ohne dass es darüber hinaus einer Interessenabwägung gem. § 118 Abs. 2 GWB bedarf.

Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 25 Nr. 1 Abs. 2a VOL/A von der Wertung ausgeschlossen. Der Senat hält diese Vergabeentscheidung nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluss für richtig; die von der Beschwerdeführerin hiergegen erhobenen Beanstandungen geben im Ergebnis keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung.

1. Dies gilt zunächst für den Einwand, das streitbefangene Angebot sei weder im Rechtssinne noch tatsächlich unvollständig gewesen. Gegenstand des Vergabeverfahrens, eines im Juli 2003 Europaweit ausgeschriebenen Verhandlungsverfahrens nach VOL/A, ist die Teilprivatisierung des Eigenbetriebs Stadtentwässerung der Antragsgegnerin, für den im Zuge der Umwandlung in eine GmbH ein privater Mitgesellschafter gesucht wird, der eine Minderheitsbeteiligung (49 %) an der künftigen Gesellschaft erwerben und als "strategischer Partner" der Antragsgegnerin an der unternehmerischen Umsetzung der Gesellschaftszwecke beteiligt werden soll. Bestandteil der vor diesem Hintergrund zu schließenden Gesamtvereinbarung soll ein Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander - über den parallel vorgesehenen Gesellschaftsvertrag hinaus - regelnder Konsortialvertrag sein; die Antragsgegnerin hat ihre Ausschlussentscheidung darauf gestützt, dass bei der Eröffnung des Angebots der Antragstellerin festgestellt worden sei, dass von dem beigefügten Entwurf des Konsortialvertrags 20 von 51 Seiten gefehlt hätten, das Angebot mithin "die geforderten Angaben und Erklärungen" entgegen § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A nicht enthalten habe. Der Senat teilt die Auffassung der Vergabekammer, dass dieser Sachverhalt durch die im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme festgestellt worden ist und im Ergebnis zum Wertungsausschluss des Angebots führen musste.

a) Der Konsortialvertrag war entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin in der vom Bieter vorgeschlagenen Fassung mit dem Angebot vollständig vorzulegen. Den Interessenten, die sich auf die Vergabebekanntmachung der Antragsgegnerin gemeldet hatten, hatte deren Projektsteuerer mit Schreiben vom 29.8.2003 "Entwürfe des relevanten Vertragswerks", darunter einen Vorschlag der Antragsgegnerin für den abzuschließenden Konsortialvertrag, nebst terminlicher Strukturierung der vorgesehenen Verhandlungen übersandt und für die Vorlage der verbindlichen Angebote eine ausdrücklich so bezeichnete Ausschlussfrist zum 20.11.2003, 12.00 Uhr, bestimmt; dabei war explizit darauf hingewiesen, dass "nur die Angebote weiter berücksichtigt werden, die fristgerecht ... und vollständig eingegangen sind". Hieran hielt - nach Durchführung einer ersten Verhandlungsrunde - ein weiterer "Verfahrensbrief" des Projektsteuerers vom 24.10.2003 fest. Ein daran nach ergänzenden Verhandlungen anschließendes Verfahrensschreiben vom 14.11.2003 stellte klar, nach der ggf. folgenden dritten Verhandlungsrunde und der unverändert für den 20.11.2003 terminierten Angebotsabgabe fänden "keine...

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