Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Vertrieb eines Produkts mit dem Wirkstoff Curcumin als "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" bei Arthrose
Leitsatz (amtlich)
1. zum Vertrieb eines Produkts mit dem Wirkstoff Curcumin als "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" bei Arthrose
2. zur Zulässigkeit von Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für ein Lebensmittel, das Bestandteile der Pflanze Ashwagandha enthält, nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) unter Berücksichtigung der nach Art. 28 Abs. 5 und 6 dieser Verordnung für sog. Botanicals geltenden Übergangsvorschriften.
Normenkette
EGV 1924/2006 Art. 10 Abs. 1, 3, Art. 28 Abs. 5-6; EUV 609/2013 Art. 2 Abs. 2g; EUV 609/2013 Art. 9; EUV 1169/2011 Art. 7 Abs. 3; EUVO 128/2016; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 31.03.2020; Aktenzeichen 32 O 67/19) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 31. März 2020 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die erste Instanz - insoweit unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Landgerichts - für die Berufungsinstanz auf 8.000 EUR festzusetzen.
Gründe
A. Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, nimmt die Beklagte, die ein Reformhaus betreibt, in Bezug auf zwei von ihr in einer Zeitungsbeilage beworbene Produkte - das als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke angebotene "A. C. s. bei Arthrose" sowie "A. A. bei Stress" (Anlagenband Kläger, Anlage K 3) - auf Unterlassung in Anspruch.
Der Kläger hat gemeint, das Produkt "A. C. s. bei Arthrose" sei schon nach seinen angegebenen Wirkungen kein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (fortan: LbmZ) im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 (fortan: SpezialLMVO) und deshalb nicht als solches verkehrsfähig. Außerdem gebe es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu, dass die Einnahme von Curcumin bei unter Arthrose leidenden Patienten sinnvoll sei. Insoweit wären nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Placebo-kontrollierte Studien erforderlich (Bl. 39 d.A.). Nach dem unstreitigen Vorbringen des Klägers ist Curcumin schlecht bioverfügbar, sodass es besonderer Maßnahmen bedarf, um die Aufnahme zu verbessern; solche Maßnahmen sind bei dem Mittel nicht ergriffen worden (Bl. 37 d.A.). Darüber hinaus sind - unstreitig - zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel mit dem Wirkstoff Curcumin erhältlich (Anlage K 21), sodass ein etwaiger Nährstoffbedarf auch über diese gedeckt werden könnte (Bl. 35 d.A.).
Die beanstandeten Werbeaussagen
"bei Arthrose",
"zum Diätmanagement bei arthrotischen Gelenkschmerzen"
"Hat in einer Vergleichsstudie2 zu 1.200 mg Ibuprofen gezeigt, dass es ernährungsphysiologisch signifikant Gelenkschmerzen reduziert + Beweglichkeit verbessert. Aufgrund dieser Eigenschaften und Merkmale ist es zum Diätmanagement bei arthrotischen Beschwerden wie Gelenkschmerzen geeignet.
2Studie: Kaptniratsaikul et al. Clin Interv Aging. 2014; 9:451-8"
seien daher ebenfalls unzulässig. Darüber hinaus seien die Aussagen gesundheitsbezogen/krankheitsbezogen und daher auch für ein LbmZ unzulässig.
Die für das Produkt "A. A. bei Stress" verwendeten Werbeaussagen "bei Stress", "bei (...) Konzentrationsproblemen", "Abgeschlagenheit", "nervöser Unruhe", "Bei Dauer-Stress fühlt man sich häufig angespannt, überfordert, unkonzentriert, gereizt und schläft unruhig. A.* A. bei Stress trägt zu seelischem und körperlichem Wohlbefinden sowie emotionaler Balance bei", "Wirksamkeit durch klinische Studie bewiesen", "Erste Wirkung nach 30 Tagen" seien gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (fortan: HCVO) als gesundheitsbezogene Angaben unzulässig, weil sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß Art. 13 HCVO eingetragen seien und außerdem die behaupteten Wirkungen nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 a) HCVO anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise belegt seien. Insoweit bleibe auch unklar, ob sich die Aussagen auf die Zutat Ashwagandha oder die ebenfalls enthaltene Panthothensäure beziehen sollen. Auf die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie nicht vorgetragen habe, dass die Aussagen zur Aufnahme in die Liste angemeldet worden seien.
Die Beklagte hat gemeint, das Produkt "A. C. s. bei Arthrose" sei kein Arzneimittel, sondern ein LbmZ. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu LbmZ gelte unverändert fort; durch die SpezialLMVO und die delegierte Verordnung (EU) 2016/128 (fortan: LbmZ-VO) habe sich die Rechtslage insoweit nicht geändert. Der medizinisch bedingte Nährstoffbedarf ergebe sich aus der als Anlage BK 3 vorgelegten Doppelblindstudie (s.a. Zusammenfassung Bl. 115 d.A. und gutachterliche Stellungnahme einer Diplom-Ernährungswissen...