Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigung von Krankentransportfahrern als Honorarkräfte
Leitsatz (amtlich)
1. Mängel der Informationsfunktion berühren die Wirksamkeit einer Anklage nicht. Gemäß § 203 StPO kommt es für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens allein darauf an, ob gegen den Angeschuldigten hinreichender Tatverdacht besteht. Solange daher die vorgeworfenen Taten tatsächlich und rechtlich hinreichend bestimmt sind, ist dem Gericht die erforderliche Prüfung möglich. Allein der Umstand, dass es sich bei der Anklage um eine weniger gut gelungene handelt, macht diese nicht unwirksam.
2. Beim Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage bereits dadurch gewahrt, dass die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten, nämlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht, bezeichnet werden. Schon die Darstellung, welche Einkünfte die einzelnen Arbeitnehmer hatten und nach welchem Berechnungssatz sich die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge richtet, ist zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage ohne Bedeutung.
3. Die Aufteilung von Aufgaben zwischen mehreren Geschäftsführern einer GmbH wirkt sich auf strafbewehrte Pflichten der gesamten Geschäftsführung nicht aus. Eine interne Zuständigkeitsverteilung kann allein hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes der einzelnen Geschäftsführer Auswirkung entfalten.
4. Beim Zusammentreffen von Merkmalen der Abhängigkeit und Selbständigkeit entscheidet über das Überwiegen das Gesamtbild der tatsächlichen Umstände. Krankentransportfahrer, die über keine eigene Betriebsstätte verfügen, in den Betriebsablauf einer GmbH eingebunden sind, von dieser gestellte Fahrzeuge und Kleidung nutzen, keinem unternehmerischen Risiko ausgesetzt sind, die Abrechnungen von der GmbH erstellen lassen und nur zu von der GmbH vorgegebenen Zeiten tätig werden können, sind abhängig Beschäftigte. Einflussnahmemöglichkeiten auf die Erstellung der Dienstpläne und die Entscheidung darüber, die Tätigkeit durchzuführen, stellen dem gegenüber keine so wesentlichen Faktoren dar, dass die Fahrer als selbständige Unternehmer zu qualifizieren sind.
5. Für den erforderlichen Eventualvorsatz bei § 266a StGB genügt, dass der Täter um sämtliche Umstände weiß, die die Arbeitnehmereigenschaft der eingesetzten Personen begründen und daher den wesentlichen Bedeutungsgehalt des Merkmals "Arbeitnehmer" und die daraus folgenden Pflichten erfasst. Die möglicherweise fehlerhafte Subsumtion unter den Begriff "Arbeitnehmer" führt daher nicht zu einem Tatbestandsirrtum, sondern stellt einen Subsumtionsirrtum dar, der allein bei Unvermeidbarkeit Auswirkungen auf die Vorwerfbarkeit haben könnte.
Normenkette
StGB § 266a; StPO §§ 200, 203
Tenor
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit nach Maßgabe von Ziffer 2. und 3. dieses Beschlusses die Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. Dezember 2010 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. Dezember 2010 wird mit der Maßgabe zugelassen, dass die Angeschuldigten angeklagt werden, in H.
a) der Angeschuldigte Dr. B. in der Zeit von Juli 2006 bis Januar 2008 in 88 Fällen (Ziffern 1 bis 19, 89, 90, 92, 118 bis 125, 148 bis 155, 183 bis 184, 196 bis 206, 223 bis 226, 237 bis 240, 260 bis 263, 287 bis 292, 326 bis 344 der Anklage)
aa) als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wurde, vorenthalten zu haben,
und durch dieselbe Handlung mit Ausnahme der Fälle 326 bis 344 der Anklage
bb) als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben,
b) und c)
die Angeschuldigten O. und H.
von Februar 2008 bis November 2009 in jeweils 241 Fällen (Ziffer 20 bis 56, 73 bis 81, 83 bis 86, 93 bis 117, 126 bis 147, 157 bis 182, 185 bis 195, 207 bis 222, 241 bis 249, 251 bis 259, 264 bis 285, 293 bis 305, 307, 308, 311, 313 bis 325, 345 bis 366 der Anklage)
aa) als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wurde, vorenthalten zu haben,
und durch dieselbe Handlung mit Ausnahme der Fälle 345 bis 366 der Anklage
bb) als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbe...