Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzung der Sanktion des Grundsicherungsberechtigten bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres
Orientierungssatz
1. Das Übergehen eines Teils des Streitgegenstands durch das Sozialgericht in Form der bewussten Nichtentscheidung führt dazu, dass der Rechtstreit in vollem Umfang in der Rechtsmittelinstanz anfällt. In der Vorinstanz verbleibt kein Teil des Streitgegenstands. Für ein sog. Heraufholen von Prozessresten besteht keine Veranlassung.
2. Nach der Entscheidung des BVerfG 1 BvL 7/16 vom 5. 11. 2019 dürfen die Sanktionsregelungen des § 31 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB 2, soweit die Minderung des Arbeitslosengeldes 2 wegen einer ersten wiederholten und einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt, nicht mehr angewendet werden. Damit ist es dem Grundsicherungsträger versagt, Sanktionen zu verhängen, die über 30%-ige Minderungen hinausgehen.
3. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage setzt nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG zu ihrer Zulässigkeit u. a. ein bestehendes Rehabilitationsinteresse voraus. Daran fehlt es, wenn der Leistungsträger im Einzelfall ein ausdrückliches oder unmissverständliches Anerkenntnis der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung abgegeben und deren Folgen durch entsprechende Rückabwicklung beseitigt hat.
4. Härtefall und Wohlverhalten sind beim Sanktionierten auch bei einem nicht bestandskräftigen Sanktionsbescheid nicht zu prüfen, wenn der Sanktionszeitraum vor dem Entscheidungstermin des BVerfG vom 5. 11. 2019 abgelaufen ist.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungsführer (im Weiteren: Kläger) wendet sich im Berufungsverfahren gegen zwei vom Beklagten und Berufungsgegner (Beklagter) verhängte Sanktionen; zum einen geht es um eine Minderung um 10 % der Regelleistung im Zeitraum von Dezember 2013 bis Februar 2014 wegen unentschuldigtem Nichterscheinen zum Meldetermin und zum anderen um eine Kürzung der Regelleistung um 60 % wegen der wiederholten Verletzung von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung mittels Verwaltungsakt (EGVA) für denselben Zeitraum.
Der 1971 in W. geborene ledige Kläger ist vom Beruf Werkzeugmacher (sowie Vorrichter, Schweißer und CNF-Fachkraft). Er bezog ab Januar 2005 SGB II-Leistungen in Höhe der Regelleistung zuzüglich der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH). Zwischen 2007 und 2011 stand der Kläger mehrfach in Beschäftigungsverhältnissen (als Maschinenführer, Arbeiter und Betriebshandwerker). Nach einer erneuten Arbeitsaufnahme im Juli 2011 erkrankte er länger, bezog Krankengeld und absolvierte im Januar 2012 eine Reha-Maßnahme des Rentenversicherungsträgers. Seit Juni 2007 schloss der Beklagte regelmäßig mit dem Kläger Eingliederungsvereinbarungen ab. Erstmalig im März 2010 kam eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, weil der Kläger sich weigerte, den vom Beklagten vorgeschlagenen Vertragsentwurf zu unterschreiben. Daraufhin erließ der Beklagte am 12. April 2010 eine EGVA. Eine weitere EGVA folgte ab Juli 2012, abgelöst durch eine EGVA vom 6. November 2012.
Im Februar 2013 teilte der Kläger dem Beklagten mit, seine Anschrift habe sich "laut Namensänderung und Identitätsänderung" wie folgt geändert: U. R., FH zu ..., L. Straße ..., ... Z., bzw. abgekürzt "FH z ...". Seither schickte er Briefsendungen des Beklagten mit Angabe der bisherigen Personalien im Adressfenster, die er als unzutreffend adressiert ansah, an diesen zurück, indem der die Briefumschläge mit der handschriftlichen Aufschrift "Adresse unbekannt" und "neue Adresse: U. R. FH. z ..., Freistaat ..., ... Z. L. Straße ..." versah und in Briefkästen der Post einwarf. In der Jahresmeldebescheinigung zur Sozialversicherung ersetzte der Kläger die vorgedruckte Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Deutschland durch "Freistaat ..." und fügte handschriftlich im unteren Seitenbereich ein: "seit 14.11.2012 verfassungsgemäß Freibürger oder auch FH z ..., einen Staat "Bundesrepublik Deutschland" gibt es nicht, da es an einer Verfassung mangelt!! - BRD GmbH + GG".
Bei einer Vorsprache des Klägers am 8. Juli 2013, bei der eine Eingliederungsvereinbarung nicht abgeschlossen werden konnte, erließ der Beklagte einen Bescheid über die Festlegung der Eingliederungsaktivitäten gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II (Streitgegenstand im Verfahren L ...), der vom 8. Juli 2013 bis zum 7. Januar 2014 gelten sollte und den Kläger u.a. verpflichtete, mindestens zu einem Arbeitgeber monatlich Kontakt aufzunehmen, bzw. sich zu bewerben. Am 8. Juli 2013 händigte der Beklagte dem Kläger zudem eine Einladung zum Meldetermin am 2. Oktober 2013 mit Rechtsfolgenbelehrung aus. Den Termin nahm der Kläger nicht wahr.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2013 senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II gemäß § 31a SGB II für die Monate August bis Oktober 2013 um 30 % des Regelbeda...