Leitsatz (amtlich)

Bei einem allein für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einkommen der Witwe, das doppelt so hoch ist wie der Sozialhilferegelsatz für einen Haushaltsvorstand, ist ein Härtefall iS des RVO § 602 jedenfalls dann zu verneinen, wenn der Unterschied zwischen tatsächlichem und fiktivem Einkommen weniger als 1/4 beträgt, weil der Lebenszuschnitt dadurch nicht so eingeschränkt wird, daß anzunehmen ist, die Witwe sei durch die mittelbaren Unfallfolgen hart betroffen.

 

Verfahrensgang

SG Koblenz (Urteil vom 29.10.1975; Aktenzeichen 5 KnU 4/75)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagtem wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29. Oktober 1975 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe des am … 1903 geborenen und am … 1973 verstorbenen Versicherten F. W. Dieser hatte wegen der Folgen eines im Juli 1940 erlittenen Arbeitsunfalls Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 % empfangen; sein Tod war nicht unfallbedingt.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Ein-Familien-Hauses; der Mietwert der eigengenutzten Wohnung beträgt 210,– DM. Von der Bundesknappschaft erhält bzw. erhielt die Klägerin anschließend an die sogenannte Gnadenrente in Höhe von monatlich 804,70 DM Witwenrente in Höhe von monatlich 482,80 DM ab 1. Dezember 1973 und 536,90 DM ab 1. Juli 1974.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 1973 beantragte die Klägerin, ihr anstelle der ihr bewilligten einmaligen Witwenbeihilfe von 7.574,30 DM eine laufende Witwenbeihilfe nach § 602 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren. Die Beklagte ließ die fiktiven Rentenleistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung errechnen. Die Bundesknappschaft kam in ihren Auskünften vom 25. März und 16. Mai 1974 zu dem Ergebnis, der Klägerin stünde eine Witwenrente von 635,10 DM ab 1. Dezember 1973 und von 705,90 DM ab 1. Juli 1974 zu, wäre der Versicherte bis zum 50. Lebensjahr als Hauer und danach bis zum 60. Lebensjahr als sonstiger Untertagearbeiter tätig gewesen und hätte anschließend das vorgezogene Knappschaftsruhegeld bezogen.

Die Beklagte verneinte daraufhin in ihrer Mitteilung vom 1. Oktober 1974 die Voraussetzungen zur Zahlung einer laufenden Witwenbeihilfe, weil kein Härtefall vorliege. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1975 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben. Sie hat vorgetragen: Wäre der Tod auf die Verletzungsfolgen zurückzuführen, würde sie Renten von zusammen etwa 900,– DM erhalten, also etwa 400,– DM mehr, als die von der Bundesknappschaft gezahlte Witwenrente ausmache. Vor allem sei sie dadurch schlechter gestellt, daß ihr Ehemann aufgrund des Unfalls keine entsprechend hohe knappschaftliche Bemessungsgrundlage habe erreichen können. Der Mietwert ihrer Wohnung im eigenen Ein-Familien-Haus müsse außer Betracht bleiben.

Durch Urteil vom 29. Oktober 1975 hat das SG Koblenz den Bescheid vom 1. Oktober 1974 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine laufende Witwenbeihilfe zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt:

Die Härte bestehe darin, daß der Verletzte durch seinen bereits im Alter von 37 Jahren erlittenen Arbeitsunfall gehindert gewesen sei, weiterhin die Tätigkeit eines Kohlenhauers zu verrichten; denn dadurch habe er nicht die Voraussetzungen für ein hohes Knappschaftsruhegeld und damit auch für eine ausreichende Versorgung der Klägerin schaffen können. Wesentliche Einnahmen, die die Annahme eines Härtefalls ausschließen könnten, stünden der Klägerin nicht zur Verfügung.

Gegen dieses nach der Schlußverfügung am 2. Dezember 1975 zur Post gegebene Urteil hat die Beklagte mit Eingang beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in Mainz am 17. Dezember 1975 Berufung eingelegt.

Sie trägt vor:

Die laufende Witwenbeihilfe sei eine in ihrem Ermessen stehende Leistung. Das Sozialgericht habe unzulässigerweise sein eigenes Ermessen ausgeübt. Sie selbst habe aber ihren Ermessensspielraum überhaupt nicht überschritten. Der Vergleich zwischen des Einkommen, das die Klägerin gehabt hätte, wäre der Verletzte bis zum Tode arbeitsfähig geblieben, und dem tatsächlichen Einkommen ergebe ein nicht so gravierendes Mindereinkommen, daß von einer Härte gesprochen worden könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 29. Oktober 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, gegenüber den Verhältnissen zu Lebzeiten ihres Mannes sei ihr Lebensstandard gewaltig gesunken; ihr Ein-Familien-Haus könne sie nur mit Hilfe ihrer Kinder halten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Unfallakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

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