Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsausbildungsbeihilfeanspruch. auswärtige Unterbringung eines Minderjährigen. förderungsberechtigter Personenkreis. schwerwiegender sozialer Grund. Verweis auf die elterliche Wohnung. Ausnahmeregelung bei zerrütteten Eltern-Kind-Verhältnissen. oberflächlicher persönlicher Kontakt. Zumutbarkeit des Zusammenlebens in einer Zwei-Zimmer-Wohnung

 

Orientierungssatz

1. Durch die Formulierung "schwerwiegender sozialer Grund" in § 60 Abs 2 Nr 4 SGB 3 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass bei Minderjährigen nur ausnahmsweise, insbesondere bei zerrütteten Eltern-Kind-Verhältnissen eine auswärtige Unterbringung förderungsfähig ist.

2. Von einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses ist auch dann nicht auszugehen, wenn der Minderjährige niemals im Haushalt des Elternteils gelebt hat, nur hin und wieder telefonischer Kontakt besteht, eine persönliche Begegnung nur einmal im Jahr stattfindet und der Elternteil Unterhaltszahlungen von 50,00 Euro leistet.

3. Es ist nicht unzumutbar, die 47qm große Zwei-Raumwohnung vorübergehend gemeinsam zu bewohnen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.12.2022; Aktenzeichen B 11 AL 22/22 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 30. März 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für den Zeitraum vom 1. September 2015 bis zum 19. April 2017 hat; insbesondere streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung seines Vaters verwiesen werden kann (vgl. § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB III).

Der 1999 geborene Kläger begann am 1. September 2015 bei der Firma H. GmbH in A-Stadt eine zweijährige Ausbildung zum Fachlageristen, die er nach eigenen Angaben im April 2017 ohne Abschluss abbrach. Seine monatliche Ausbildungsvergütung betrug im ersten Ausbildungsjahr 500,00 €, danach 550,00 €. Die Berufsschule besuchte der Kläger in S. in sog. Blockform, wobei er dann im Berufsschulinternat untergebracht war. Im Schuljahr 2015/16 war der Kläger so insgesamt 13 Wochen und im Schuljahr 2016/17 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums (19. April 2017) weitere 11 Wochen internatsmäßig in Stralsund untergebracht.

Am 24. September 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von BAB und reichte seinen schriftlichen Antrag am 26. Oktober 2015 nach. In diesem gab er an, während der Ausbildung nicht im Haushalt seiner Eltern oder eines Elternteils zu wohnen. Die Frage, ob der Hin- und Rückweg von der Wohnung der Eltern zur Ausbildungsstätte insgesamt mehr als zwei Stunden dauere, beantworte der Kläger mit „nein“, ohne auf einem gesonderten Blatt zu begründen, weshalb er nicht bei seinen Eltern wohne. Die Eltern des Klägers, A. und R. A. sind nach Angaben des Klägers geschieden und lebten bereits bei Geburt des Klägers getrennt, sodass der Kläger bis zu seinem Auszug zum 1. Juli 2015 mit seinen Brüdern alleine im Haushalt und Haus der Mutter, unter der Anschrift A., gewohnt hat.

Zum 1. Juli 2015 zog der Kläger zusammen mit seinen Brüdern S. und D. aus dem Haus der Mutter aus in eine Mietwohnung in der B., A-Stadt. Für diese Mietwohnung (vier Zimmer, Küche, Bad, 74 qm) zahlten die drei Brüder zusammen monatlich 500,00 € Miete einschließlich Nebenkosten. Sein Vater bewohne eine 47 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung in A-Stadt, N..

Die Mutter des Klägers ist seit Jahren Erwerbsunfähigkeitsrentnerin und bezog 2013 eine monatliche Rente von 644,84 € brutto bzw. ab dem 1. Juli 2013 von 666,06 € brutto. Der Vater des Klägers war 2013 nichtselbständig beschäftigt und verdiente 18.975,30 € brutto. Der Kläger erhielt neben seiner Ausbildungsvergütung von seinem Vater monatlich 50,00 € als Unterhalt und bezog selbst das monatliche Kindergeld in Höhe von 190,00 €. Auf die Kosten seiner Unterkunft in der Wohngemeinschaft entfielen für ihn monatlich 166,66 € (350,00 € Miete und 150,00 € Heizkosten geteilt durch drei Mieter). Für den Berufsschulbesuch in Stralsund musste der Kläger Miete für den Wohnheimplatz dort in Höhe von 11,60 € pro genutztem Tag sowie Fahrkosten von ca. 40,00 € je Berufsschulwoche aufwenden.

Mit Bescheid vom 17. November 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf BAB ab, weil die persönlichen Voraussetzungen nach § 60 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nicht erfüllt seien. Der Antragsteller wohne zwar außerhalb des elterlichen Haushaltes, könne seine Ausbildungsstätte aber in angemessener Zeit von der Wohnung seiner Eltern aus erreichen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. November 2015 Widerspruch ein. Der Wohnort seiner Mutter in G. sei zwar an öffentliche Verkehrsmittel (nur Bus) angebunden, jedoch ermöglichten es ihm die wenigen vorhandenen werktäglichen Busverbindungen nicht, morgens pünktlich zur Ausbildung zu kommen und abends nach der Ausbildung auch wieder nach Hause zu kommen...

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