Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Akteneinsichtsrecht eines Geschädigten bei Kursbetrug durch Scalping

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff des Verletzten ist normspezifisch aus dem jeweiligen Funktionszusammenhang heraus zu bestimmen, nicht einheitlich für alle Normen.

2. Für das Akteneinsichtsrecht als Verletzter (§ 406e StPO) kommt es primär darauf an, ob dem Antragsteller Schadenersatzansprüche zustehen.

3. Auch ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB ist geeignet, die Stellung als Verletzter im Sinne von § 406e StPO zu begründen.

4. Bei Kursmanipulation durch Scalping steht einem Geschädigten jedenfalls dann ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB zu, wenn die zur Kursmanipulation gemachten irreführenden Angaben im Rahmen eines für den Geschädigten entgeltlichen Börseninformationsdienstes erfolgten.

5. Bei mehreren Taten ist dem Verletzten in der Regel Akteneinsicht in die Aktenbestandteile betreffend aller gleichartigen Taten zu gewähren, nicht nur der Tat, bei der er selbst Verletzter ist.

6. Die Verschwiegenheitspflicht aus § 8 Abs. 1 Satz 4 WpHG steht der Akteneinsicht an Verletzte in BaFin-Berichte nicht grundsätzlich entgegen.

7. Akteneinsicht an Verletzte ist nur möglich, soweit der Beschuldigte bereits Akteneinsicht hatte.

 

Normenkette

StPO §§ 406e, 403, 477 Abs. 5; WpHG § 38 Abs. 2, § 20a Abs. 1 Nr. 3, § 8 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, S. 4; BGB §§ 826, 823 Abs. 2; StGB § 73 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 02.06.2008; Aktenzeichen 2 BvR 1043/08)

 

Tenor

Den Antragstellern ist zu Händen einer Rechtsanwältin/eines Rechtsanwaltes Akteneinsicht in folgende Aktenbestandteile zu gewähren:

  • BaFin-Bericht vom 22. Februar 2005 Bl. 149–170 Bd. 4
  • BaFin-Bericht vom 15. August 2007 Bl. 126–148 Bd. 4
  • BaFin-Bericht vom 26. September 2007 Bl. 63–85 Bd. 5
  • Interpol-Anfrage vom 11. September 2007 Bl. 174–178 Bd. 4
  • Zeugenvernehmung Bl. 70–72 Sonderband 1 Finanzermittlungen
  • dinglicher Arrest, Beschluss AG Tiergarten vom 26. September 2007 Bl. 28–30 Sonderband 1 Finanzermittlungen
  • Erweiterung dinglicher Arrest, Beschluss AG Tiergarten vom 1. Oktober 2007 Bl. 76–78 Sonderband 1 Finanzermittlungen

Soweit in den vorgenannten Aktenbestandteilen Klarnamen (oder sonst die Identifizierung geeignete Angaben) der beteiligten Banken oder der Firmengruppe, die die vom Beschuldigten benutzten mauritischen Unternehmen vermittelt hat, vorhanden sind, sind diese vor der Gewährung von Akteneinsicht zu anonymisieren.

Die Kosten des Verfahrens über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die in diesem den Antragstellern entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

 

Tatbestand

I.

Die Staatsanwaltschaft führt seit Juni 2007 das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen Verstoßes gegen § 38 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 20a Abs. 1 Nr. 3 WpHG (Verbot der Marktmanipulation). Ausweislich der auf ihren Antrag ergangenen dinglichen Arreste der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Tiergarten legt sie dem Beschuldigten u.a. Folgendes zur Last:

Der Beschuldigte betreibe mehrere Börseninformationsdienste, insbesondere eine Email-Hotline, mit denen er sich einen erheblichen Bekanntheitsgrad verschafft habe. Von Oktober 2006 bis Juni 2007 habe er über die von ihm betriebenen Börsendienste die Börsenkurse mehrerer geringwertiger Aktien, die im unregulierten Freiverkehr an deutschen Börsenplätzen gelistet seien, durch Kaufempfehlungen mittels falscher bzw. irreführender Angaben nach oben getrieben. Aus einer Kursanalyse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ergebe sich eine tatsächliche Kurseinwirkung aufgrund seiner Empfehlungen. Aufgrund späterer Geschäftsberichte der betroffenen Gesellschaften seien die Kurse dann eingebrochen.

Der Beschuldigte habe als Bevollmächtigter eines in Mauritius ansässigen Unternehmens bei einer deutschen Privatbank vor und in der Zeit alsbald nach Beginn der jeweiligen Empfehlung Aktien der von seinen Börseninformationsdiensten empfohlenen Gesellschaften eingeliefert und diese vor dem Zusammenbruch der Kurse verkaufen lassen. Das mauritische Unternehmen sei ihm auf seinen Wunsch von der Privatbank vermittelt worden, nachdem er dieser im September 2006 die Einlieferung von Aktien avisierte, die nicht in sein privates Depot, sondern in ein Depot einer geeigneten Gesellschaft mit Sitz im Ausland gebucht werden sollten.

Das Bankhaus erstattete am 14. August 2007 eine Geldwäscheverdachtsanzeige beim örtlich zuständigen Landeskriminalamt.

Mit Beschluss des Amtsgericht Tiergarten vom 26. September 2007 wurde wegen der Empfehlung dreier Gesellschaften der dingliche Arrest in Höhe von rund 27,1 Mio. EUR in das Vermögen des mauritischen Unternehmens angeordnet, mit Beschluss vom 1. Oktober 2007 wurde wegen der Empfehlung von zehn weiteren Gesellschaften der dingliche Arrest um rund 18,4 Mio. EUR auf insgesamt rund 45,6 Mio. EUR erhöht. Die Beträge stellen die Verkaufserlöse dar (Bruttoprinzip). Die dinglichen Arreste ergingen zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz.

Aufgrund v...

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