Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage. Zahlungsklage auf Entgelterhöhung bei ausdrücklichem Präambelbezug auf "Individualvereinbarung"
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob der Abschluss und die Bekanntgabe einer (unwirksamen) Betriebsvereinbarung als Gesamtzusage auszulegen ist, ist aus der verobjektivierten Sicht eines typischen Erklärungsempfängers zu beurteilen, nicht nach den Regeln für die Auslegung von Rechtsnormen.
Ob die Präambel einer Betriebsvereinbarung nur (rechtlich unverbindliche) Zielvorstellungen oder für die Auslegung der gesamten Betriebsvereinbarung verbindliche allgemeine Regelungen enthält, ist eine Frage des Einzelfalls.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3 S. 1, § 87 Abs. 1; BGB §§ 133, 140, 151, 242, 611 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 2 S. 3, Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 28.06.2016; Aktenzeichen 9 Ca 9/16) |
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28.06.2016 (9 Ca 9/16) wird abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt,
a) an den Kläger € 414,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der EZB auf Beträgen von € 77,35 ab dem 01.09.2015 und jeweils weiteren € 77,35 ab dem jeweiligen 01. der Folgemonate bis zum 01.01.2016 zu zahlen
b) an den Kläger € 2.023,38 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.12.2015 zu zahlen
c) an den Kläger € 207,45 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB mit € 69,15 ab dem 01.03.2016 und jeweils weiteren € 69,15 ab dem 01.04. und 01.05.2016
d) an den Kläger € 125,85 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2016 zu zahlen
e) an den Kläger € 2.058,82 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über monatliche Entgelterhöhungen seit August 2015, das Weihnachtsgeld für das Jahr 2015 sowie das Urlaubsgeld 2016.
Der Kläger steht seit 1999 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Er ist als Lagerist tätig. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag besteht nicht. Der Kläger bezog zuletzt ein regelmäßiges Bruttomonatseinkommen in Höhe von € 3.168,26. Dieses bestand aus einem Grundgehalt von € 2.766,-, einer Zulage in Höhe von € 102,26 aufgrund einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1997 sowie einer weiteren Zulage in Höhe von € 300,-. Die Höhe des Grundgehalts entspricht der Tarifgruppe G2-6 des Hamburger Einzelhandelstarifvertrags in der bis Juli 2015 geltenden Fassung.
Die Betriebsvereinbarung vom 01.08.1997 (im Folgenden: BV 97) beinhaltet unter anderem auch Regelungen über Gehaltszahlungen und Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In der Präambel der Betriebsvereinbarung heißt es:
"Präambel:
Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines Gehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist.
Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlusszeiten des Einzelhandels in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden.
Als Grundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die Mindestforderungen des Einzelhandelstarifes in Hamburg soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitung findet mindestens zum Zeitpunkt gültiger Tarifverhandlung des Einzelhandels statt.
Die nachstehenden Paragraphen ergänzen die Regelungen des Arbeitsrechtes und gelten als Bestandteil des Arbeitsvertrages (Individualvereinbarung).
Jedem G. wird eine Ausfertigung der Vereinbarung bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Arbeitsvertrag übergeben.
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Inhaltsverzeichnis
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§ 9 Urlaubs- und Weihnachtsgeld
G. zahlt für jedes Beschäftigungsjahr ein Urlaubsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes. Zahlungstermin ist spätestens der 31. Mai eines jeden Jahres. ...
G. zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Weihnachtsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes. Zahlungstermin ist spätestens der 30. November eines jeden Jahres. ...
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§ 17 Gehaltstarif
Die G.-Gehälter garantieren eine Mindesthöhe über den jeweiligen Hamburger Tarifen
In den Tarifen G0, G1, G2 sind das DM 200,00
In den Tarif G3 sind das DM 300,00
In den Tarifen G4a G4b sind das DM 500,00
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Gehaltserhöhungen:
Zukünftige Tariferhöhungen führen mit Wirkung des neuen Tarifabschlusses zu einer entsprechenden Erhöhung des Garantiegehaltes.
In den Tarifen G0, G1, G2 sind das DM 200,00
In den Tarif G3 sind das DM 300,00
In den Tarifen G4a G4b sind das DM 500,00
Gehaltsgruppen:
Die Tätigkeitsbereiche der G. werden verschiedenen Gehaltsgruppen zugeordnet. Für die Eingruppierung des G.s kommt es auf die gemäß Arbeitsvertrag vereinbarte und zu verrichtende Tätigkeit an. ...
...
§ 22 Schlussbestimmung
Diese Betriebsvereinbarun...