Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Rechtsbehelfe. Parallele Ausübung. Zusammenspiel. Verfahrensautonomie. Effektivität der in dieser Verordnung aufgestellten Schutzregeln. Gleichmäßige und einheitliche Anwendung dieser Regeln in der gesamten Europäischen Union
Normenkette
EUVO 679/2016 Art. 77-79; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság |
Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság |
Tenor
Art. 77 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
sind dahin auszulegen, dass
sie es erlauben, die in Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 einerseits und in Art. 79 Abs. 1 andererseits vorgesehenen Rechtsbehelfe nebeneinander und unabhängig voneinander auszuüben. Es obliegt den Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie die Modalitäten des Zusammenspiels dieser Rechtsbehelfe zu regeln, um die Wirksamkeit des Schutzes der durch diese Verordnung garantierten Rechte, die gleichmäßige und einheitliche Anwendung ihrer Bestimmungen sowie das in Art. 47 der Charta der Grundrechte niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht zu gewährleisten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 2. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2021, in dem Verfahren
BE
gegen
Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság,
Beteiligte:
Budapesti Elektromos Művek Zrt.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie des Vizepräsidenten L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von BE, vertreten durch I. Kulcsár, Ügyvéd,
- der Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, vertreten durch G. Barabás, Jogtanácsos, G. J. Dudás und Á. Hargita, Ügyvédek,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. De Bonis und M. F. Severi, Avvocati dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und J. Sawicka als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Kranenborg, Zs. Teleki und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 77 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BE und der Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság (Nationale Behörde für Datenschutz und Informationsfreiheit, Ungarn, im Folgenden: Aufsichtsbehörde) wegen der Ablehnung des Antrags von BE, ihm Auszüge aus der Tonaufzeichnung einer Aktionärshauptversammlung zu übermitteln, an der er teilgenommen hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 10, 11, 141 und 143 der Verordnung 2016/679 heißt es:
„(10) Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der [Europäischen] Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung dieser Daten in allen Mitgliedstaaten gleichwertig sein. Die Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sollten unionsweit gleichmäßig und einheitlich angewandt werden. …
(11) Ein unionsweiter wirksamer Schutz personenbezogener Daten erfordert die Stärkung und präzise Festlegung der Rechte der betroffenen Personen sowie eine Verschärfung der Verpflichtungen für diejenigen, die personenbezogene Daten verarbeiten und...