Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 5 S 189/97)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21. September 1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, daß die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO erfüllt sind.

1. Hat das vorinstanzliche Gericht seine Entscheidung mehrfach – tragend – begründet, muß die Beschwerde für jeden der Begründungsstränge der Entscheidung einen selbständigen Zulassungsgrund vortragen. Die Beschwerde ist in dieser Weise vorgegangen. Sie ist indes nur begründet, wenn ein Revisionszulassungsgrund bei jedem der Mehrfachgründe gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Das Berufungsgericht erachtet die Berufung hinsichtlich der angegriffenen Baugenehmigung vom 21. November 1958 sowohl als unzulässig als auch als unbegründet. Das Beschwerdegericht läßt unentschieden, ob die Beschwerde hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung begründet ist. Sie bleibt jedenfalls hinsichtlich der vom Berufungsgericht dargelegten Unbegründetheit ohne Erfolg.

2. Das Berufungsgericht verneint das für die erhobene Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger könne eine Nutzungsuntersagung aus Rechtsgründen nicht durchsetzen. Das dagegen gerichtete Vorbringen läßt einen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erkennen. Die Beschwerde bezeichnet keinen Zulassungsgrund und genügt damit bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

Auch sinngemäß läßt sich dem Vorbringen ein Zulassungsgrund nicht entnehmen. Die Beschwerde weist selbst darauf hin, daß die Regelung über Abbruch und Nutzungsuntersagung dem irrevisiblen Landesrecht angehört (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, 562 ZPO). Insoweit stellen sich keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Das gilt auch hinsichtlich des von der Beschwerde angeführten Art. 14 Abs. 1 GG. Diese Bestimmung gehört zwar dem revisiblen Recht an. Die Beschwerde gibt jedoch nicht an, in welcher Hinsicht gerade insoweit eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung bestehen könnte. Daß eine landesrechtliche Regelung über die Voraussetzungen eines behördlich angeordneten Abbruchs oder einer Nutzungsuntersagung zulässiger Gegenstand einer Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist, liegt auf der Hand und bedarf keiner bestätigenden Prüfung in einem Revisionsverfahren. Es ist zudem offensichtlich, daß eine behördliche Entscheidung dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen hat.

Das Beschwerdegericht hat wiederholt erörtert, daß ein Nachbar bei Verletzung seiner subjektiven Rechte einen baurechtmäßigen Zustand erreichen kann. Insoweit steht das jedenfalls materielle Bauplanungsrecht in seiner Beachtung und Durchsetzung grundsätzlich nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers. Dies gilt auch für die Frage, ob und gegebenenfalls in welchen Grenzen der zuständigen Behörde auch dann ein den Erlaß einer Abrißverfügung oder einer Nutzungsuntersagung betreffendes Entscheidungsermessen zusteht, wenn es sich um die Wahrung der nach Bundesrecht zu beurteilenden bauplanungsrechtlichen Zustände handelt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 17. April 1998 – BVerwG 4 B 144.97 – UPR 1998, 355 = BauR 1999, 735). Das schließt indes keineswegs aus, daß ein derartiges Recht – wenn das Verhalten des Nachbarn objektiv gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt – verwirkt sein kann (vgl. BVerwG, Beschluß vom 11. Februar 1997 – BVerwG 4 B 10.97 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 144 = NVwZ 1998, 174 = NJW 1998, 329; Beschluß vom 13. August 1996 – BVerwG 4 B 135.96 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 135 = BauR 1997, 281). Darin unterscheidet sich das materielle Baurecht nicht von anderen Rechtspositionen. Das Berufungsgericht hat eine Verwirkung unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil angenommen. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind, entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung. Eine inhaltliche Divergenz zu den von der Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, nämlich Beschluß vom 11. August 1992 – BVerwG 4 B 161.92 – (Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 40 = NVwZ 1993, 476 ≪477≫) und Beschluß vom 13. Juli 1994 – BVerwG 4 B 129.94 – (Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 48 = NVwZ 1995, 272), besteht nicht. Das Berufungsgericht hat nicht bezweifelt, daß ein Nachbar grundsätzlich gegenüber der Behörde bei Verletzung seiner subjektiven Rechte Maßnahmen auf Herstellung eines baurechtsgemäßen Zustandes durchsetzen kann.

3. Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht weiche hinsichtlich der Frage der prozessualen und der materiell-rechtlichen Verwirkung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 C 4.89 – (Buchholz 404.19 Nachbarschutz Nr. 102 = NVwZ 1991, 1182) ab. Das trifft nicht zu.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 = unter Hinweis auf BVerwG, Beschluß vom 21. Juni 1995 – BVerwG 8 B 61.95 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 18.). Das ist hier nicht der Fall. In der angeführten Entscheidung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, auch eine längere Untätigkeit des Nachbarn führe dann nicht zum Verlust des Abwehrrechts durch Verwirkung, wenn der Bauherr eine Baugenehmigung schon zuvor im wesentlichen Umfang sofort ausgenutzt hat, ohne dazu durch das Verhalten des Nachbarn veranlaßt worden zu sein. Damit hat das Gericht nur wiederholend bestätigt, daß nach allgemeinen ungeschriebenen Grundsätzen die bloße Untätigkeit als solche nicht genügend ist, um von einer Verwirkung ausgehen zu können. Vielmehr muß diese Untätigkeit den objektiven Eindruck erweckt haben, der Nachbar werde sein an sich bestehendes Abwehrrecht nicht geltend machen. Dafür ist die Länge des Zeitraums der Untätigkeit allerdings ein gewichtiger Hinweis. Diese Rechtsprechung hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es ist in Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles dabei zu einem anderen Ergebnis gelangt, als es die Beschwerde für richtig ansieht. Damit läßt sich indes eine Abweichung nicht dartun. Das Beschwerdegericht hat insoweit von den getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen (vgl. § 137 Abs 2 VwGO). Eine Verfahrensrüge, die auf eine Verletzung etwa der §§ 86, 108 Abs. 1 VwGO zielen würde, hat die Beschwerde nicht erhoben. Das von der Beschwerde angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 1974 – BVerwG 4 C 2.72 – (BVerwGE 44, 295) betrifft die Widerspruchsfrist. Darum geht es hier nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Berkemann, Heeren

 

Fundstellen

ZfBR 2001, 143

BRS 2000, 866

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