Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Verletztenrente. Der Kläger erhält seit 1. Juli 1968 wegen der Folgen seines Unfalles am 8. März 1967 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente. Bei dem Unfall war es vor allem zu einer Quetschung mit Trümmerbruch des linken Daumens gekommen. Überlegungen der Beklagten, durch eine Resektion und Versteifung des Daumengrundgelenkes eine bessere Funktion der linken Hand zu erreichen, wurden zunächst nicht verwirklicht, weil der erforderliche Eingriff von Gutachtern als nicht duldungspflichtig angesehen wurde.
Nachdem ein weiterer Sachverständiger die in Erwägung gezogene Operation empfohlen hatte, teilte die Beklagte dies dem Kläger mit und wies ihn gleichzeitig darauf hin, daß sie im Falle der Ablehnung der Operation einen Bescheid über die Durchführung stationärer Heilbehandlung sowie über die Versagung der Verletztenrente erteilen werde. Der Kläger lehnte es ab, sich der empfohlenen Behandlung zu unterziehen. Durch Bescheid vom 26. Oktober 1978 gewährte die Beklagte ab 16. oder 20. November 1978 Heilbehandlung zur operativen Versteifung des Grundgelenkes des linken Daumens in einer Unfallklinik und entzog zugleich die Verletztenrente für den Fall, daß der Kläger der angeordneten Maßnahme der Heilbehandlung ohne triftigen Grund nicht nachkommen würde. Mit Bescheid vom 11. Dezember 1978 verlegte die Beklagte den Beginn der Heilbehandlung auf den 3. Januar 1979. Den weitergehenden Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1978 zurück. Nach ihr vorliegenden Gutachten, so heißt es in dem Widerspruchsbescheid u.a., sei eine Schädigung von Leben und Gesundheit durch die Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen; die Heilbehandlung sei nicht mit erheblichen Schmerzen verbunden und stelle keinen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Klägers dar; die Erfüllung seiner Mitwirkungsverpflichtung sei angemessen und zumutbar.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 20. März 1980 die Klage abgewiesen, nachdem ein in der mündlichen Verhandlung gehörter Gutachter u.a. erklärt hatte, die Operation werde zu einer Verbesserung der Greiffunktion der linken Hand führen und sei zumutbar. In den Urteilsgründen heißt es u.a., es sei eine Güterabwägung zwischen dem Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung seiner körperlichen Unversehrtheit und dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Senkung ihrer Belastungen durch zumutbare Operationen vorzunehmen. Der Kläger brauche sich zwar der Maßnahme nicht zu unterwerfen; er müsse jedoch die gesetzlich vorgesehenen Nachteile seiner Weigerung tragen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 25. März 1981 zurückgewiesen und u.a. ausgeführt, der Kläger sei gem. § 63 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) verpflichtet, sich der angebotenen Heilbehandlung zu unterziehen. Die Voraussetzungen, unter denen er nach § 65 Abs. 2 SGB 1 seine Mitwirkung ablehnen könne, lägen nicht vor. Durch die Operation würden die vorhandenen Beschwerden beseitigt und die Greiffähigkeit der linken Hand verbessert werden. Sollte die Operation entgegen aller ärztlicher Erfahrung nicht gelingen, könnte ohne Schaden ein zweiter Versuch unternommen werden. Die Befürchtungen des Klägers bezüglich Gefährlichkeit und Erfolg der Operation seien nicht ernsthaft begründet.
Auf die Beschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision gegen das Urteil des LSG durch Beschluß vom 26. Januar 1982 zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Dem Kläger sei die Erfüllung seiner Mitwirkungsverpflichtung nicht zumutbar (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1). Das LSG hätte entsprechend der Rechtsprechung des BSG (SozR 1200 § 63 Nr. 1) berücksichtigen müssen, wie der Kläger selbst den zu erwartenden Heilerfolg und den eintretenden Körperschaden bewerte. Diese Vorstellung sei dann allein maßgebend, wenn sie in sich verständlich sei und wenn es nach objektiven Gesichtspunkten nicht zweifelsfrei erscheine, daß der Heilerfolg den Körperschaden bei weitem überwiege. Dabei sei die subjektive Belastbarkeit des Klägers zu berücksichtigen. Es müsse im vorliegenden Falle auch feststehen, daß die Operation zum Wegfall einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) führen werde. Das LSG habe zudem seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) verletzt, weil es nicht geprüft habe, welche Auswirkungen die Operation auf den Kläger habe. -
Der Kläger beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. März 1981, das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 20. März 1980 und die Bescheide der Beklagten vom 26. Oktober 1978 und 11. Dezember 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1978 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Gründe des angefochtenen Urteils für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das LSG hat nicht alle Voraussetzungen geprüft, welche die Entziehung der Rente durch die Beklagte rechtfertigen würden.
Die in das Ermessen des Leistungsträgers gestellte Entziehung der Leistung setzt die Mitwirkungsverpflichtung des Klägers gem. § 63 i.V.m. § 65 SGB 1 und die begründete Annahme voraus, daß seine Erwerbsfähigkeit wahrscheinlich wegen der verweigerten Mitwirkung nicht verbessert worden ist (s. § 66 Abs. 2 SGB 1).
Nach § 63 SGB 1 soll sich u.a. derjenige, der wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, daß sie eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeiführen wird. Hierzu hat das LSG festgestellt, durch die Versteifung des Daumengrundgelenkes in günstiger Funktionsstellung, so wie sie beabsichtigt ist, würden die Beschwerden des Klägers beseitigt und die Greiffähigkeit der linken Hand verbessert. Diese Feststellungen rechtfertigen für sich allein noch nicht die Annahme der Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers. Mit Recht weist der Kläger auf die Entscheidung des 8/8a Senats des BSG vom 20. März 1981 (SozR a.a.O. = SGb 1982, 313 ff. mit Anmerkung von Zerndt) hin, wonach der durch die Heilbehandlung erzielten Besserung die Nachteile gegenüberzustellen sind, welche durch die Operation auf Dauer hervorgerufen werden. Das LSG hätte demnach nicht nur die für den Kläger günstigen Folgen der Operation betrachten dürfen, sondern darüber hinaus feststellen müssen, ob und ggfs. welche Funktionen und Möglichkeiten der Kläger - innerhalb und außerhalb des Berufslebens (BSG a.a.O.) - durch die Versteifung im linken Daumengrundgelenk einbüßt. Es hätte alsdann eine Gegenüberstellung und abschließende Wertung in dem dargelegten Sinne vornehmen müssen.
Das BSG (a.a.O.) hat weiterhin betont, daß die Besserung des Gesundheitszustandes nicht nur nach objektiven Maßstäben zu messen ist. Der erkennende Senat läßt offen, ob dies insoweit, wovon der 8. Senat des BSG (a.a.O.) ausgeht, die Mitwirkungsverpflichtung nach § 63 SGB 1 oder vielmehr den Wegfall der Mitwirkungsverpflichtung wegen Unzumutbarkeit gem. § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1 betrifft. Jedenfalls ist unter Berücksichtigung der im persönlichen Bereich des Betroffenen vorhandenen und objektivierbaren Vorstellungen die Vornahme der beabsichtigten Maßnahme dann im Ergebnis nicht als Besserung der Gesundheit anzusehen, wenn beispielsweise gerade die durch die Heilbehandlung ganz oder teilweise beseitigte Funktion eines Fingers für den Leistungsempfänger von - subjektiver - besonderer Bedeutung ist. Auch diesen Gesichtspunkt wird das LSG - worauf der Kläger zutreffend hinweist - zu beachten haben. Allerdings rechtfertigen nur allgemein geäußerte Befürchtungen, welche nicht objektiv nachvollzogen werden können, die Verneinung einer Besserung des Gesundheitszustandes nicht.
Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die darauf gestützte Beweiswürdigung tragen auch nicht eine abschließende Entscheidung darüber, ob nach § 65 SGB 1 eine Mitwirkungspflicht des Klägers nicht besteht.
Die besonderen Grenzen der Mitwirkung für den Fall des operativen Eingriffs hat der Gesetzgeber in § 65 Abs. 2 SGB 1 umschrieben (vgl. hierzu u.a. BT-Drucks. 7/868, S. 33; Brackmann, DOK 1976, 794, 796; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 624, § 65 SGB 1 Anm. 7 Buchst. f; Schroeter in Sozialgesetzbuch/Sozialversicherung-Gesamtkommentar § 65 SGB 1 Anm. 1). Danach können Behandlungen und Untersuchungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, abgelehnt werden. Das LSG hat unter Berücksichtigung von Art und Umfang der beabsichtigten Operation, so wie sie von den medizinischen Sachverständigen dargelegt und beurteilt worden sind, einen Schaden für Leben oder Gesundheit des Klägers mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sowie erhebliche Schmerzen und einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verneint. Es befindet sich dabei in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. zur operativen Behandlung eines Fingers insbesondere Rösener, Der Kompass, 1978, 154, 157 m.w.N.).
Das LSG hat jedoch zu Unrecht ausschließlich die Voraussetzungen des § 65 Abs. 2 SGB 1 geprüft. Auch bei den von dieser Vorschrift erfaßten Tatbeständen ist zu prüfen, ob die in § 65 Abs. 1 - hier Nrn. 1 und 2 - SGB 1 allgemein normierten Grundsätze für den Wegfall der Mitwirkungsverpflichtung im Einzelfall erfüllt sind (Brackmann a.a.O., ders. Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S. 80 f II, g I; Lauterbach a.a.O.; Freitag in Bochumer Kommentar zum SGB, Allg. Teil, § 65 Rd.Nr. 10; Hauck/Haines, SGB I, § 65 Rd.Nr. 11; v. Maydell in Im Dienst des Sozialrechts, Festschrift für Georg Wannagat, 1981, S. 271, 283; Schroeter a.a.O.; Rüfner, VSSR 1977, 347, 358; Benz, BG 1978, 242, 245). Das LSG wird demzufolge noch festzustellen und zu entscheiden haben, ob der angefochtene Bescheid dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB 1) entspricht und ob die verlangte Mitwirkung des Klägers ggfs. aus wichtigem Grund (s. hierzu u.a.: BSGE 20, 166 f.) nicht zugemutet werden kann. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Mitwirkung könnten vornehmlich Gründe aus dem privaten Bereich des Klägers in Betracht zu ziehen sein (s. BSGE 33, 16, 18; Hennig, Nachrichten der LVA Hessen 1976, 124, 126; Brackmann a.a.O. S. 797 und Handbuch a.a.O. S. 80 g I). Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre es z.B. nicht zu vereinbaren, wenn die Beklagte vom Kläger eine Operation verlangt, die, gemessen an der Rentenleistung für den Kläger, einen zu großen Eingriff bedeutete. Insofern kann hier aber bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit - möglicherweise anders bei der Gegenüberstellung von Heilerfolg und Körperschaden (BSG SozR a.a.O.) - auch eine Herabsetzung der MdE um 10 v.H. bedeutsam sein, weil sie im Falle des Klägers zum Wegfall des Rentenanspruchs führt. Der 8. Senat des BSG ist in seinem Urteil vom 20. März 1981 (SozR a.a.O.) ebenfalls im Ergebnis dieser Ansicht; denn er hat eine Rentenminderung oder einen Rentenwegfall aufgrund einer Behandlung nicht stets als ganz unbeachtlich angesehen, sondern dieser Folge wegen des erheblichen Eingriffs in dem von ihm entschiedenen Fall nur nicht das "entscheidende Gewicht" beigemessen.
Nach § 66 Abs. 2 SGB 1 ist, worauf der Kläger hinweist, die Rentenentziehung auch davon abhängig, daß die verlangte Mitwirkung des Klägers bei Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit seine Erwerbsfähigkeit verbessert haben würde. Auch hierzu wird das LSG die fehlenden Feststellungen nachholen. Die Vorschrift will in erster Linie verhindern, daß der Mitwirkungspflichtige "infolge pflichtwidrigen Verhaltens mehr Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann und muß, als bei pflichtgemäßem Verhalten zu erwarten gewesen wäre" (BT-Drucks 7/868 S. 34). Demzufolge ist Voraussetzung für die Entziehung der Rente, daß die beabsichtigte Operation des Klägers mit Wahrscheinlichkeit zu einer Herabsetzung - und damit im vorliegenden Fall zum Wegfall - der gewährten Leistung geführt haben würde (s. hierzu Maier, RV 1979, 61, 63, 64).
Angesichts der fehlenden Feststellungen konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der Bescheid vom 26. Oktober 1978 rechtmäßig ist. Das LSG wird die erforderlichen Feststellungen nachholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden.2 RU 17/82
Bundessozialgericht
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