Leitsatz (amtlich)
1. Der Erlaß eines Berichtigungsbescheides zu Ungunsten des Berechtigten gemäß KBLG BR § 30 Abs 4 steht nicht im Ermessen der Verwaltungsbehörde; diese ist vielmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen zum Erlaß dieses Bescheides verpflichtet.
2. KBLG BR § 30 Abs 4 steht nicht im Widerspruch zum Grundgesetz; insbesondere verstoßt die Entziehung einer durch einen bindend gewordenen Bescheid zuerkannten, über lange Zeit gewährten, aber zweifellos ungerechtfertigten Leistung nicht gegen die im Grundgesetz verbürgten Grundsätze der Menschenwürde, der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Sozialstaatlichkeit.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; KBLG BR § 30 Abs. 4
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 20. Februar 1957 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 29. Juni 1955 als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin bezog wegen "Verlust des linken Auges und einer allgemeinen nervösen Störung ohne objektiven Befund" auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v. H. Er verstarb im Februar 1935 an einer Kehlkopf- und Zungentuberkulose; ein Zusammenhang dieses Leidens mit den anerkannten Schädigungsfolgen wurde verneint. Die Klägerin erhielt daher lediglich für die Dauer der Bedürftigkeit eine Witwenbeihilfe nach dem RVG. Sie bezog die Beihilfe bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Auf ihren im September 1945 gestellten Antrag wurden ihr diese Versorgungsbezüge rückwirkend vom 1. Juli 1945 an wieder gezahlt.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 1948 erkannte die Verwaltungsbehörde den Tod des Ehemannes als Leistungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 1 des Bremischen Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 28. Juni 1947 (GBl. der Freien Hansestadt Bremen S. 109) an und gewährte der Klägerin vom 1. Dezember 1948 an Witwenrente . Die Zahlung der Rente wurde mit Ablauf des Monats Juni 1951 eingestellt. Am 25. April 1952 erteilte das Versorgungsamt (VersorgA.) B der Klägerin einen Bescheid, durch den - gestützt auf § 30 Abs. 4 KBLG - der Bescheid vom 19. Oktober 1948 aufgehoben wurde: Dieser Bescheid sei unter offenbar unzutreffenden Voraussetzungen erteilt worden. Die Klägerin habe nach den früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften lediglich eine Witwenbeihilfe erhalten, weil ihr Ehemann an einem Leiden verstorben sei, das nicht mit dem anerkannten Körperschaden in Zusammenhang stehe. Nach dem KBLG könne aber eine Rente nur gezahlt werden, wenn der Tod in ursächlichem Zusammenhang mit dem als Leistungsgrund anerkannten Kriegsschaden stehe. Bei der Umstellung auf das KBLG habe man versehentlich angenommen, daß ein solcher Leistungsgrund im Sinne des KBLG vorliege. Im übrigen sähen weder das KBLG noch das Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Gewährung einer Witwenbeihilfe vor, so daß die Klägerin Leistungen weder nach dem KBLG noch künftig nach dem BVG erhalten könne.
Auf die inzwischen gemäß § 215 Abs. 2 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Bremen übergegangene Berufung der Klägerin hat dieses Gericht die Beklagte durch Urteil vom 29. Juni 1955 verurteilt, der Klägerin über den 30. Juni 1951 hinaus bis zum 30. Juni 1952 Rente zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, da der Zuungunstenbescheid für die Zeit nach dem 30. Juni 1952 zu Recht ergangen sei. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil beim Landessozialgericht (LSG.) Bremen Berufung eingelegt. Das LSG. hat, nachdem auf Antrag der Beklagten die Bundesrepublik Deutschland beigeladen worden war, mit Urteil vom 20. Februar 1957 das Urteil des SG. sowie den Bescheid des VersorgA. Bremen vom 25. April 1952 aufgehoben und den Bescheid vom 19. Oktober 1948 wiederhergestellt: Zwar seien die Voraussetzungen, unter denen nach § 30 Abs. 4 KBLG bzw. § 41 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) eine Berichtigung möglich sei, an sich gegeben. Die Voraussetzungen des Bescheides vom 19. Oktober 1948 hätten sich zweifelsfrei als unzutreffend erwiesen, da nach den vorliegenden Gutachten nicht daran gezweifelt werden könne, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den anerkannten Schädigungsfolgen des verstorbenen Ehemannes und dem zum Tode führenden Leiden nicht bestanden habe. Die besonderen Umstände des Falles erforderten aber die Prüfung, ob die Befugnisse aus § 30 Abs. 4 KBLG bzw. § 41 Abs. 1 VerwVG im Rahmen des Grundgesetzes (GG) soweit reichten, daß die Entziehung der Rente bei den besonderen Umständen des Falles verfassungsgerecht gewesen sei. Das Berufungsgericht habe diese Frage verneinen müssen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Befugnis zur Berichtigung eine bindende Verpflichtung oder eine Ermächtigung zum Handeln nach pflichtgemäßem Ermessen darstelle; denn der Bescheid vom 25. April 1952 sei aus rechtsstaatlichen Erwägungen verfassungswidrig. Die Klägerin erhalte seit etwa 2 Jahrzehnten Versorgungsbezüge. Die Bedürftigkeit, die im Jahre 1935 der Grund für die Gewährung einer Beihilfe gewesen sei, habe sich inzwischen durch das hohe Alter und die Auswirkungen des Krieges noch erhöht. Die nunmehr 73jährige Klägerin sei außerstande, sich ihren Lebensunterhalt auch nur teilweise selbst zu beschaffen. Zudem habe die Klägerin die verschiedensten Auswirkungen, die die Wehrdienstbeschädigung (WDB) des Ehemannes in der Familie ausgelöst habe, mittragen müssen. Dieses Mittragenmüssen sei auch das entscheidende Motiv für die gesetzliche Möglichkeit unter der Herrschaft des RVG gewesen, für Kriegerwitwen in der Lage der Klägerin Witwenbeihilfe zu gewähren. Würde man der Klägerin nunmehr im 73. Lebensjahr die Versorgungsbezüge entziehen, so würde man sie für die Zukunft einer wirtschaftlichen und sozialen Notlage aussetzen, die weder mit der Achtung vor der Würde eines alten Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) noch mit dem Grundrecht der persönlichen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zu vereinbaren sei. Dem stehe nur eine ganz geringe oder gar keine Einsparung an öffentlichen Mitteln gegenüber. Eine sozialgerechte Auslegung der erwähnten Grundrechte müsse daher über die Verbürgung der persönlichen Freiheit vor staatlichen Eingriffen hinaus zu positiven Leistungen des Staates führen; denn die an den Ausgangspunkt der Grundrechte gestellte Würde des Menschen verlange gegebenenfalls auch ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit. Im übrigen seien die Leistungen unter Berücksichtigung der angeführten Verhältnisse nach 1945 sozialethisch gerechtfertigt gewesen, auch wenn die Klägerin zunächst auf Grund alliierter Anordnung und dann nach deutschem Versorgungsrecht Witwenbeihilfe nicht mehr habe erhalten können. Zu dem selben Ergebnis komme man auch aus sozialstaatlichen Erwägungen. Selbst wenn der Gesetzgeber Fälle wie den der Klägerin in die tatbestandsmäßige Regelung des BVG nicht wieder einbezogen habe, so habe er doch insbesondere durch die Härteregelung des § 89 BVG zum Ausdruck gebracht, welche Bedeutung er einer sozialgerechten Durchführung der Kriegsopferversorgung beimesse. Diese Erwägungen widersprächen schließlich nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, denn die Gleichstellung finde dort ein Ende, wo tatbestandsmäßig Unterschiede eine verschiedene Behandlung erforderten.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Beigeladene Revisionen eingelegt und beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben sowie die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 29. Juni 1955 als unbegründet abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 20. Februar 1957 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Bremen zurückzuverweisen.
Die Beklagte rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen Verstoß gegen die Vorschriften des GG angenommen. Das LSG. habe in den persönlichen Verhältnissen der Klägerin liegende Umstände berücksichtigt, die bei der Frage, ob sie einen Anspruch auf Witwenrente habe, außer Betracht zu bleiben hätten. Es sei zwar vorstellbar, daß gesetzliche Vorschriften, die grundsätzlich verfassungsmäßig seien, mittelbar zu Ergebnissen führten, die nicht im Einklang mit der Verfassung ständen. Bei der Klägerin sei das aber nicht der Fall. Im Gegenteil, würde man ihr die Versorgungsbezüge belassen, so sei unter Umständen der Gleichheitsgrundsatz gegenüber denjenigen Witwen verletzt, die bei vollkommen gleichen Voraussetzungen keine Rente bekämen. Im übrigen könne die Herstellung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes, die nicht in das Ermessen der Versorgungsverwaltung gestellt, sondern eine Verpflichtung sei, nicht gegen das GG verstoßen.
Die Beigeladene rügt eine Verletzung des geltenden Rechts, weil das LSG. § 41 VerwVG trotz Bejahung seiner Voraussetzungen nicht angewendet habe. In der Anwendung dieser Vorschrift habe die Verwaltung keinen Ermessensspielraum, sie sei vielmehr beim Vorliegen der Voraussetzungen zur Berichtigung verpflichtet. Das Bekenntnis des GG zum sozialen Rechtsstaat stelle eine Staatszielbestimmung dar, die nicht unmittelbar vollziehbar sei, sondern für Exekutive und Rechtsprechung lediglich Ermessensrichtlinien gebe. § 41 VerwVG, der lediglich bezwecke, gesetzwidrig ergangene Verwaltungsakte aufzuheben, stehe dem Bekenntnis zum Sozialstaat nicht entgegen - auch nicht unter den besonderen Umständen dieses Falles.
Die Klägerin beantragt,
die Revisionen der Beklagten und Beigeladenen zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und seine Begründung für zutreffend. Die Versorgungsverwaltung habe bei der Anwendung des § 41 VerwVG einen Ermessensspielraum. Sie habe aber bei der Ausübung ihres Ermessens gegen die Wertideen des GG verstoßen, insbesondere gegen das Bekenntnis des GG zum sozialen Rechtsstaat, die über die Auffassung des LSG. hinaus nicht nur programmatische Bedeutung, sondern unmittelbare Rechtswirkung hätten.
Die durch Zulassung statthaften Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie sind daher zulässig.
Die Revisionen sind auch begründet.
Das LSG. hat dahingestellt gelassen, ob der Berichtigungsbescheid nach § 30 Abs. 4 KBLG oder § 41 VerwVG nachzuprüfen ist. Zu der Zeit, als der Bescheid erlassen wurde, galt § 30 Abs. 4 KBLG. Diese Vorschrift ist zwar vor der Verkündung des angefochtenen Urteils durch § 41 VerwVG ersetzt worden; das LSG. mußte trotzdem - ebenso wie jetzt das Revisionsgericht - bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides das alte Recht (§ 30 Abs. 4 KBLG) anwenden. Denn § 41 VerwVG gilt nach seinem zeitlichen Geltungswillen nicht für noch nicht abgeschlossene Streitfälle, da er - im Gegensatz zu § 47 VerwVG - den Grundgedanken einer bis dahin bestehenden gesetzlichen Regelung übernimmt. Im übrigen kommt den nach § 30 Abs. 4 KBLG ergangenen Bescheiden auch keine Dauerwirkung zu, so daß sie ihrem Wesen nach durch spätere Ereignisse nicht mehr berührt werden und somit auch durch eine Änderung der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften nicht ohne weiteres mehr betroffen werden (vgl. BSG. 6 S. 288).
Nach § 30 Abs. 4 KBLG konnte ein rechtskräftiger Bescheid zugunsten des Berechtigten jederzeit aufgehoben werden, zuungunsten nur, wenn die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend - d. h. nach der Rechtsprechung des BSG. als offenbar und ohne Zweifel unrichtig (vgl. BSG. 1 S. 56) - erwiesen hatten. Die Voraussetzungen der hier allein in Frage kommenden zweiten Möglichkeit sind vorliegend erfüllt; denn der Bescheid vom 19. Oktober 1948, durch den der Tod des Ehemannes der Klägerin als Schädigungsfolge anerkannt und Witwenrente nach dem KBLG gewährt worden ist, war ohne Zweifel schon im Zeitpunkt seiner Erteilung unrichtig. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht gebunden ist, steht der Tod des Ehemannes in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem geleisteten Wehrdienst oder den anerkannten Schädigungsfolgen. Eine Rente stand daher der Klägerin nach dem KBLG, das eine Witwenbeihilfe nicht mehr vorsah, nicht zu.
Die Durchführung der Berichtigung stand auch nicht - wie die Klägerin meint - im Ermessen der Verwaltung; diese war vielmehr zur Berichtigung verpflichtet. Die Frage, ob § 30 Abs. 4 KBLG die Verwaltung bei Vorliegen der Voraussetzungen zum Handeln verpflichtet oder aber ihr lediglich ein Ermessen einräumt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (für eine Verpflichtung: z. B. zu § 41, der entsprechenden Vorschrift des VerwVG, Hennig in SGb. 1958 S. 182; Sander ebenda S. 116; Schönleiter-Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, Vorbemerkung zu § 41; Thannheiser-Wende-Zech, Erläuterung zu § 41 VerwVG. A. M.: zu § 41 VerwVG Haueisen in DOK 1956 S. 189; Wagner in SGb. 1957 S. 297; Schieren-Grömig, Erläuterung 3 zu § 41 VerwVG; Sauerwein, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung und seine Anwendung, § 41 Anm. 3; Bayer. LSG. in Breithaupt 1957 S. 8 und LSG. Berlin ebenda S. 1131). Eine Pflicht zum Handeln beim Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen, nämlich zum Erlaß des neuen Bescheides, besteht nach Auffassung des Senats aus folgenden Gründen: Jede Verwaltung hat die aus ihrer öffentlichen Aufgabe und Funktion entspringende Pflicht, in ihrem Bereich für einen dem Gesetz entsprechenden Zustand zu sorgen und gesetzwidrige Zustände zu vermeiden oder zu beseitigen; dabei ist gleichgültig, ob dies sich zugunsten oder zuungunsten des Berechtigten auswirkt (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., S. 239 ff.). Daraus ergibt sich für die Versorgungsverwaltung auch die Verpflichtung, nach dem Gesetz ungerechtfertigte Leistungen zu unterbinden (vgl. Hennig a. a. O.). Diese grundsätzliche Verpflichtung wird auch nicht etwa in § 30 Abs. 4 KBLG durch das Wort "kann" eingeschränkt. Denn das Wort "kann" sagt in diesem Zusammenhang nichts darüber aus, ob die Versorgungsverwaltung berichtigen muß oder nur nach ihrem Ermessen berichtigen kann. Bei seiner Auslegung muß von der bindenden Wirkung des zu ändernden Bescheides ausgegangen werden. Die Versorgungsverwaltung wäre gehindert, der oben aufgezeigten Pflicht zur Beseitigung gesetzwidriger Zustände nachzukommen, wenn die erforderlichen Maßnahmen, nämlich der Entzug einer Leistung, an rechtlichen Schranken, wie der bindenden Wirkung eines Bescheides, scheitern müßten. Für diese Fälle mußte daher der Versorgungsverwaltung die rechtliche Möglichkeit gegeben werden, den Grundsatz der Unantastbarkeit verbindlich gewordener Bescheide zu durchbrechen. Das hat der Gesetzgeber für das KBLG mit § 30 Abs. 4 KBLG getan. Das Wort "kann" bedeutet daher nur, daß die Versorgungsverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen jederzeit die Möglichkeit hat, die rechtlichen Schranken zu durchbrechen, die sie sonst hindern würden, der sich aus ihrem Aufgabenkreis ergebenden Pflicht zur Berichtigung nachzukommen (vgl. hierzu auch BVerfGE. 7 S. 129 (154), wo das Gericht den Art. 14 a Abs. 1 letzter Satz des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts vom 5.8.1955 (BGBl. I S. 497) "die Einleitungsbehörde kann jederzeit zur Vermeidung besonderer Härten die Einbehaltung der Bezüge anderweitig regeln" dahin ausgelegt hat, diese Formulierung solle nur klarstellen, daß die Behörde ihre Anordnung jederzeit erlassen könne, die Behörde sei aber zur anderweitigen Anordnung verpflichtet, wenn sonst eine besondere Härte eintrete). Diese Auslegung wird auch nicht durch die Materialien zu den §§ 40, 41, den entsprechenden Vorschriften des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, widerlegt. Insbesondere bietet auch die Neufassung und Aufteilung in zwei verschiedenen Paragraphen im VerwVG keinen Anlaß zu einer anderen Annahme. Die Verwaltungsbehörde war hiernach verpflichtet, einen Berichtigungsbescheid zu erlassen.
Der Senat hatte nunmehr die Frage zu prüfen, ob der Berichtigungsbescheid entweder deswegen rechtswidrig ist, weil § 30 Abs. 4 KBLG grundsätzlich im Widerspruch zum GG steht, oder deshalb, weil die Anwendung unter den besonderen Umständen des zu entscheidenden Falles gegen eine Verfassungsnorm verstößt, oder ob er etwa aus sonstigen Gründen unzulässig ist. Ein Gesetz ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig, wenn es dazu führt, daß eine unzweifelhaft ungerechtfertigte, aber durch einen bindend gewordenen Bescheid zuerkannte Leistung entzogen wird. Ein Entziehungsbescheid durchbricht das Prinzip der Rechtskraft, die der "Bindung eines Verwaltungsaktes gleichsteht". Das Institut der Rechtskraft soll der Rechtssicherheit dienen. Neben diesem Rechtsgut besteht das Rechtsgut der - erstrebten - materiellen Gerechtigkeit. Stoßen beide zusammen - das ist der Fall, wenn eine materiell ungerechtfertigte Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist -, dann hat eine Güterabwägung stattzufinden, die der Gesetzgeber grundsätzlich zugunsten der Rechtskraft entschieden hat, indem er nur in Ausnahmefällen eine Durchbrechung der Rechtskraft zuläßt. Dies ist ihm aber unbestritten gestattet (vgl. z. B. die Vorschriften über die Wiederaufnahme eines Verfahrens). Eine solche Durchbrechung des Prinzips der Rechtskraft ist auch dann gerechtfertigt, wenn eine zweifellos unrichtige Entscheidung zu dauernden Leistungen der Öffentlichkeit an einen Empfänger führen würde, der dem materiellen Recht nach mit Sicherheit keinen Anspruch auf diese Leistungen hat. Denn dies wäre für die Allgemeinheit ein Zustand, der sich im Interesse der Rechtssicherheit nicht halten läßt. Auch im sozialen Rechtsstaat muß - dies hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen (BVerfGE. 7 S. 129 (152)) - der Gedanke lebendig bleiben, daß eine formale Rechtsstellung, die dem einzelnen sachlich nicht gerechtfertigte Ansprüche auf Leistungen aus öffentlichen Mitteln gewährt, nicht zum Nachteil der anderen und des Ganzen durch die Rechtsordnung geschützt oder aufrechterhalten werden darf. Dieser Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die anläßlich einer Entscheidung über die Frage ausgesprochen wurde, ob ergänzende gesetzliche Regelungen, die Irrtümer des Gesetzgebers mit Rückwirkung beseitigen und Lücken schließen sollen, mit dem GG auch dann vereinbar sind, wenn sie in Rechtsstellungen eingreifen, die durch das ergänzte Gesetz gewährt werden, ist beizupflichten. Sie ist der Entscheidung über die oben aufgeworfene Frage zugrunde zu legen. Die Berichtigungsvorschrift des § 30 Abs. 4 KBLG war aber auch deshalb grundsätzlich nicht nur zulässig, sondern sogar notwendig, um dem Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz Geltung zu verschaffen, das regelmäßig denen gegenüber verletzt wäre, denen bei gleichem Sachverhalt Leistungen nach dem Gesetz nicht gewährt werden.
Ist somit § 30 Abs. 4 KBLG nicht schlechthin verfassungswidrig, so hatte der Senat weiter zu prüfen, ob die Durchführung der Berichtigung unter den besonderen Umständen dieses Falles gegen die Prinzipien des GG verstößt oder aus sonstigen Rechtsgründen unzulässig ist. Auch das ist zu verneinen, Ob die in dem angefochtenen Urteil angeführten Vorschriften des GG unmittelbar geltendes Recht oder lediglich Staatszielbestimmungen und Leitbilder darstellen, kann hier dahingestellt bleiben, denn in jedem Falle binden sie die Verwaltung bei ihrem Handeln. Die Durchführung der Berichtigung konnte aber nur dann ausnahmsweise unzulässig sein, wenn der Klägerin durch die Entziehung ein über den Wegfall der Rente selbst hinausgehender Nachteil erwachsen würde, dessen Schwere für die Klägerin unzumutbar wäre und in keinem Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse stünde.
Bei der somit durchzuführenden Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und dem berechtigten Interesse der Klägerin ist zunächst davon auszugehen, daß der Status einer Fürsorgeempfängerin, in den die Klägerin unter Umständen bei der Entziehung der Versorgungsrente verwiesen würde, an sich noch nicht verfassungswidrig ist, insbesondere weder im Prinzip der Rechts- und Sozialstaatlichkeit noch dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder der Menschenwürde widerspricht. Die Verweisung auf - im Rechtswege durchzusetzende - Leistungen, die der Staat nicht zuletzt und gerade aus Gründen der Sozialstaatlichkeit und der Menschenwürde gewährt, kann nicht aus den gleichen Gründen unzumutbar sein. Die Auffassung, daß der Empfang von Fürsorgeunterstützung regelmäßig ein Verdrängen aus der gesellschaftlichen Stellung und damit einen sozialen Abstieg bedeutet, entspringt einer gesellschaftlichen Denkweise, die als überholt gelten muß. Im übrigen haben diejenigen Kriegerwitwen, die nach den früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften eine Witwenbeihilfe bezogen, nach den neuen Gesetzen dagegen keine Leistungen mehr bekommen, diese Veränderung - sofern nicht sonstiges Vermögen oder sonstige Einkünfte vorhanden waren - ebenfalls hinnehmen müssen. Die nachteilige Folge ist also bei der Klägerin lediglich hinausgezögert worden, wobei auch nicht übersehen werden darf, daß die Klägerin - in der Zwischenzeit - hierdurch erhebliche finanzielle Vorteile gehabt hat. Es soll nicht verkannt werden, daß eine derartige Umstellung für den Betroffenen mit zunehmendem Alter subjektiv schwerer wiegt, zumal bei einem Menschen, den - wie das angefochtene Urteil ausführlich aufzeigt - Schicksalsschläge mannigfaltiger Art getroffen haben. Dies ist jedoch nicht so erheblich, daß es dem Interesse des Ganzen gegenüber entscheidend ins Gewicht fallen könnte. Im übrigen ist stets zu bedenken, daß es sich um den Verzicht auf eine Stellung handelt, die dem Gesetz nach weder zustand noch zusteht. Eine formale, dem Gesetz nach ungerechtfertigte Rechtsstellung aufzugeben, verstößt aber weder gegen die Würde des Menschen überhaupt noch - wie das angefochtene Urteil meint - gegen die Würde eines alten Menschen.
Die Klägerin wird durch den Entzug der Rente schließlich auch nicht in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt. Dieses in Art. 2 Abs. 1 GG festgelegte Grundrecht gewährt kein Recht auf positive Leistungen, sondern schützt die Handlungsfreiheit des Menschen vor Eingriffen des Staates. Dieser Sinn wird aus der ursprünglichen Fassung des Grundrechts "jeder kann tun und lassen, was er will" klar, die später lediglich aus sprachlichen Gründen abgeändert worden ist (vgl. BVerfGE. 6 S. 32 (36 ff.)). Im übrigen kann die Frage, ob - wie das LSG. meint - eine sozialgerechte Auslegung der Grundrechte unter Umständen zu positiven Leistungen des Staates führen kann, dahingestellt bleiben; solche Leistungen können jedenfalls nicht auf Grund der Versorgungsgesetze gewährt werden, und nur darüber hatte der erkennende Senat zu entscheiden (vgl. BVerfGE. 1 S. 97 (103)).
Aus den oben angeführten Gründen folgt schließlich auch, daß die Entziehung der Rente nicht gegen Treu und Glauben verstößt.
Eine Entscheidung der Verwaltung über die eventuelle Gewährung von Versorgungsbezügen im Wege des Härteausgleichs liegt noch nicht vor. Der erkennende Senat konnte eine solche Entscheidung nicht selbst treffen, da es sich insoweit um eine Ermessensbefugnis der Verwaltung handelt und das Gericht nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen darf.
Da die Revisionen somit begründet sind, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen