Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 29.11.2012) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. November 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte nach einem Streit in einer Diskothek zusammen mit drei anderen den Geschädigten an. Dabei hielt er ein Messer in der Hand, um auf diesen einzustechen. Dass solche Stiche lebensgefährlich sein können und der Geschädigte deshalb auch zu Tode kommen könnte, nahm er billigend in Kauf. Zunächst versetzte er ihm einen vierzehn Zentimeter langen Schnitt vom Ohr bis zum Mundwinkel. Während seine Mittäter nun auf den Geschädigten einschlugen und -traten, lauerte der Angeklagte mit dem Messer, das er in der erhobenen Faust hielt, auf eine Gelegenheit, nochmals zuzustechen, was ihm erst gelang, als der Angegriffene sich seitlich wegdrehte, um zu entkommen. Mit heftigen bis über den Kopf geführten Ausholbewegungen stach der Angeklagte fünf Mal in Richtung des Oberkörpers des nur mit einem Muskelshirt bekleideten Geschädigten, auch noch, als dieser im Weglaufen strauchelte und zur Seite fiel. Er traf ihn zweimal und fügte ihm mittig im Rücken im Bereich der oberen Brustwirbel und linksseitig im vorderen Brustbereich jeweils zweieinhalb Zentimeter lange, nicht tiefgehende Hautdurchtrennungen zu, die nicht lebensgefährlich waren. Der vordere Stich hätte aber bei tieferem Stichkanal naheliegend das Herz, der hintere die Lunge treffen und zum Tode führen können. Nach dem letzten Stich war dem Angeklagten klar, dass er seinen Gegner, der „halb am Boden” lag, nun so verletzt hatte, dass er möglicherweise nicht überleben würde. Nun lief er davon.
Rz. 3
2. Die Überprüfung des Urteils deckt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf. Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:
Rz. 4
a) Die Beweiswürdigung, auf die das Landgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz zugestochen, gründet, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Rz. 5
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. etwa BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
Rz. 6
Überzeugt sich der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung vom Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, so hat dies das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Gleichermaßen ist es Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 20. September 2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77). Vielmehr ist die revisionsgerichtliche Überprüfung darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ-RR 2011, 73, 74).
Rz. 7
bb) Daran gemessen unterliegt die Beweiswürdigung keiner rechtlichen Beanstandung. Auch wenn die dem Geschädigten zugefügten Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren, hat die Strafkammer das Geschehen doch wegen der konkreten Angriffsweise rechtsfehlerfrei als objektiv gefährliche Gewalthandlung gewertet. Dabei hat sie berücksichtigt, dass der Angeklagte fünf Mal weit ausholend und zielgerichtet in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten gestochen und sein Opfer so getroffen hat, dass die Stiche bei tiefergehendem Eindringen dorsal einen Lungenflügel und brustseitig das Herz geöffnet hätten. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft, ob in der Alkoholisierung, psychischen Verfassung oder Persönlichkeit des Angeklagten Gründe zu finden sind, die gegen den sich indiziell aus dem objektiven Vorgehen ergebenden Tötungswillen sprechen, und dies rechtsfehlerfrei verneint. Insbesondere unterliegt auch die Begründung, weshalb die Strafkammer entgegen der Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen nicht von einem Affekt ausgegangen ist, rechtlich keiner Beanstandung.
Rz. 8
b) Auch die Feststellung, dass ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vorliegt, findet in der Beweiswürdigung noch eine ausreichende Stütze.
Rz. 9
aa) Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont). Bei einem Tötungsversuch liegt demnach ein beendeter Versuch vor, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich – namentlich nach besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (BGH, Urteile vom 22. September 2005 – 3 StR 256/05, NStZ-RR 2006, 6; vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209; vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14). Dagegen ist ein unbeendeter Versuch anzunehmen, wenn der Täter noch nicht mit dem Eintritt des Todes rechnet, seine Herbeiführung aber weiterhin für möglich hält (BGH, Beschluss vom 9. August 2011 – 4 StR 367/11, StV 2012, 15).
Rz. 10
bb) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung, dass der Geschädigte die Stiche möglicherweise nicht überleben würde. Dazu wird zwar nicht bei der Beweiswürdigung, aber bei der rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass bei „Einwirkungen der hier gegebenen Art, nämlich gezielten und wuchtigen Stichen in die Herz- und Lungenregion eines Menschen”, die Möglichkeit des Versterbens des Opfers auf der Hand liege. Damit lässt sich den Urteilsausführungen noch hinreichend entnehmen, auf welche Tatsachen und Schlussfolgerungen das Landgericht seine Überzeugung stützt. Dass der Angeklagte den Umstand, dass er dem Geschädigten eher oberflächliche, keinesfalls lebensgefährliche Stiche zugefügt hatte, alsbald erkannt und seinen Irrtum hinsichtlich eines möglichen Eintritts des Todes beim Weglaufen korrigiert hätte (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14), findet in den Feststellungen keine Stütze. Vielmehr liegt dies nach dem festgestellten Sachverhalt so fern, dass nähere – dies ausdrücklich ausschließende – Ausführungen hierzu im Urteil nicht veranlasst waren. Dies gilt umso mehr, als der stark blutende Geschädigte zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte den Tatort verließ, ins Straucheln geraten war und jedenfalls „halb am Boden” lag.
Unterschriften
Tolksdorf, Hubert, Schäfer, RiBGH Gericke ist im Spaniol Urlaub und daher gehindert zu unterzeichnen. Tolksdorf
Fundstellen