Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 07.02.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 7. Februar 2018
- im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist,
- im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten (Heimtücke-) Mordes verurteilt.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte am Tattag auf einer Gartenparty eines Bekannten eingeladen. Nachdem er dort bereits alkoholisiert erschienen war, er nach dem Genuss weiterer alkoholischer Getränke mit dem späteren Geschädigten P. in Streit geriet und sein Verhalten auch von anderen Partygästen zunehmend als unangemessen und distanzlos empfunden wurde, bat ihn der Gastgeber, die Gartenparty zu verlassen. Da der Angeklagte dieser Bitte nicht freiwillig nachkam, wurde er vom Gastgeber und anderen Partygästen gegen seinen Widerstand vom Grundstück verbracht und von der Gastgeberin nach Hause begleitet. Dort nahm er – erzürnt wegen des vorherigen Rauswurfs – zwei große Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 19 cm und 19,5 cm und kehrte mit diesen zu dem Garten zurück. Mit je einem Messer in beiden Händen und mit dem lauten Ruf „Ich bring euch alle um!” betrat der Angeklagte mit schnellen Schritten den Garten, in dem sich unter anderem der Geschädigte befand, der zu dieser Zeit auf einem Stuhl an einem Tisch in der Nähe des Garteneingangs saß und mit seinem Mobiltelefon beschäftigt war und sich keines Angriffs versah. Der Angeklagte ging sogleich auf den Geschädigten, der dessen Ruf nicht vernommen hatte, zu und stach mit einem der Messer wuchtig in Richtung des Oberkörpers auf den Geschädigten ein, um diesen tödlich zu verletzen. Da der Geschädigte wegen des Rufs eines anderen Anwesenden „Lauft weg, der kommt mit Messern” und des Anblicks des herannahenden Angeklagten im Aufstehen begriffen war, verfehlte das Messer den Oberkörper des Geschädigten und traf stattdessen dessen Oberschenkel, was zu einer Eröffnung der großen Beinarterie über 1,5 cm führte und innerhalb kurzer Zeit einen Blutverlust von mindestens 3 Litern zur Folge hatte. Der Angeklagte erkannte, dass er den Geschädigten so schwer verletzt hatte, dass dieser ohne sofortige Rettungsmaßnahmen aufgrund der starken Blutung alsbald versterben würde, und verließ – vom Gastgeber aus dem Garten geschoben – die Örtlichkeit. Der Geschädigte konnte nur durch sofortige Erste-Hilfe-Maßnahmen und eine Not-Operation gerettet werden.
Rz. 4
b) Das Landgericht hat sowohl einen Tötungsvorsatz des Angeklagten bei der Messerattacke als auch die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten P. in diesem Zeitpunkt angenommen. Weiter ist es vom Vorliegen des für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten ausgegangen.
Rz. 5
2. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht die subjektive Seite der Heimtücke nicht ausreichend belegt hat.
Rz. 6
In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes (§ 211 Abs. 2 StGB) nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (BGH, Urteil vom 24. September 2014 – 2 StR 160/14, NStZ 2015, 214, 215 und Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 StR 123/18 Rn. 6). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17 Rn. 10, NStZ-RR 2017, 278, 279 mwN und Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 StR 123/18 Rn. 6).
Rz. 7
Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710; Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47 und Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 StR 123/18 Rn. 7). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN und vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47 sowie Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 StR 123/18 Rn. 7). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47 und Beschluss vom 16. Mai 2018 – 1 StR 123/18 Rn. 7).
Rz. 8
An diesen Maßgaben gemessen sind die Feststellungen des Landgerichts nicht geeignet, die Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten zu tragen. Woraus sich vorliegend ein solches Ausnutzungsbewusstsein im Einzelnen ergeben sollte, hat das Landgericht nicht ausgeführt. Schon der objektive Geschehensablauf lässt nicht erkennen, dass der Angeklagte sich die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten P. für die Tatbegehung zunutze machen wollte. Der Annahme eines Bewusstseins des Angeklagten, die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten für die Tatbegehung auszunutzen, steht dabei bereits der laute Ruf des Angeklagten „Ich bring euch alle um!” bei Betreten des Gartens und der Umstand entgegen, dass er in jeder Hand ein langes Küchenmesser hielt. Denn der Angeklagte konnte und musste davon ausgehen, dass die Partygäste – auch der Geschädigte – seine offen getragenen Messer bemerkt sowie seinen lauten Ruf vernommen hatten und demzufolge mit einem unmittelbar bevorstehenden Angriff auf ihr Leben rechneten. Auch der Umstand, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen zur Tatzeit nicht unerheblich alkoholisiert und zudem wegen des vorangegangenen Geschehens erzürnt und affektiv beeinträchtigt war – zu seinen Gunsten hat das Landgericht eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zugrunde gelegt – spricht gegen das Vorliegen des für das Merkmal der Heimtücke erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten.
Rz. 9
3. Der Senat ändert entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch. Angesichts des Tatbildes schließt er aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, auf deren Grundlage eine Verurteilung wegen eines versuchten Mordes erfolgen kann. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Voraussetzungen eines versuchten Totschlags nach §§ 212, 22, 23 StGB sind rechtsfehlerfrei festgestellt; insbesondere kommt auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Totschlags in Betracht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 10
Die Änderung im Schuldspruch entzieht der ausgeurteilten Strafe die Grundlage, weshalb das Urteil im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Strafzumessung an das Landgericht zurückzuverweisen ist. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter kann neue Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Unterschriften
Raum, Bellay, Cirener, Hohoff, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 12098174 |
NStZ 2019, 142 |
Kriminalistik 2018, 733 |
StV 2020, 98 |
JM 2019, 303 |