Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 26.09.2019; Aktenzeichen 112 Js 23390/19 1 Ks) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. September 2019 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht tätige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte am 3. März 2019 gegen 23.00 Uhr trotz Hausverbots das Spielcasino „G.” in F., um aus Eifersucht seine ehemalige Freundin, die Nebenklägerin K., mit einem Messer zu töten. Er wollte aus ‚ungehemmter Eigensucht’ und in der Anmaßung eines ‚exklusiven Besitzanspruchs’ die Trennung nicht akzeptieren, obgleich die Beziehung nur rund zweieinhalb Monate bestanden hatte. K., die hinter dem Tresen stand, sah, wie der Angeklagte durch die Eingangstür auf sie zukam. Sie telefonierte gerade mit ihrem Mobiltelefon in einem Videochat mit ihrem neuen Freund und zwei Bekannten. Trotz der vorangegan genen Streitereien hatte K. bislang nicht mit einem Angriff auf ihr Leben gerechnet, fürchtete sich aber nunmehr vor dem Angeklagten und teilte ihren Chatpartnern mit, sie müsse die Polizei rufen; sie unterbrach die Unterhaltung, griff zum Hörer des Festnetztelefons und wählte die Polizeinotrufnummer mit Vorwahl, konnte jedoch nicht mehr die siebte Ziffer wählen. Denn der Angeklagte streckte seinen linken Arm über den Tresen und sprühte der Nebenklägerin Pfefferspray ins Gesicht, um sie abwehrunfähig zu machen. Er lief um den Tresen herum, packte die Nebenklägerin an den Haaren, drückte sie nach unten und schlug ihr mit der Faust gegen den Kopf. Dabei schrie er, sie habe es nicht verdient, zu leben, wenn er sie nicht haben könne.
Rz. 3
Die Nebenklägerin konnte sich entwinden, indem sie sich über den Boden wegdrückte, und flüchtete in die Herrentoilette. Dort stach ihr der ihr nacheilende Angeklagte siebenmal in den linksseitigen Ober- und Mittelbauch sowie in die linke Flanke bis zum linkslateralen Rücken. Dann brach die Klinge des vom Angeklagten eingesetzten Messers ab. Die Nebenklägerin konnte sich schließlich in einen Privatraum retten und die Tür so fest zudrücken, dass der Angeklagte vergeblich dagegen sprang. Der Angeklagte, der mit einem Notruf durch einen Gast rechnen musste, erkannte, dass sein Vorhaben, K. umzubringen, gescheitert war, und flüchtete aus dem Spielcasino.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
1. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 zweite Gruppe erstes Merkmal StGB) hält – anders als des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13 Rn. 5-7) – sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Nebenklägerin bereits vor dem Angriff mit dem Pfefferspray nicht mehr arglos war.
Rz. 5
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arg- und infolgedessen wehrlos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Heimtückisches Handeln erfordert kein „heimliches” Vorgehen. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig, mithin von vorne entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Mithin stehen Abwehrversuche, die der überraschte und in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkte Geschädigte erst im letzten Moment unternehmen kann, in solchen Konstellationen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (BGH, Urteile vom 3. September 2015 – 3 StR 242/15 Rn. 10; vom 19. Oktober 2011 – 1 StR 273/11 Rn. 23; vom 3. September 2002 – 5 StR 139/02 Rn. 6 f. und vom 16. Juni 1999 – 2 StR 68/99 Rn. 5; Beschlüsse vom 10. Juli 2018 – 3 StR 204/18 Rn. 4; vom 28. Juni 2016 – 3 StR 120/16 Rn. 11 f. und vom 24. Januar 2017 – 2 StR 459/16 Rn. 10 f.). Ein solcher Fall kann etwa dann gegeben sein, wenn der Täter dem Opfer auflauert (BGH, Urteil vom 22. August 1995 – 1 StR 393/95 Rn. 9 [insoweit in BGHSt 41, 222 nicht abgedruckt]) oder in einen Hinterhalt lockt (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 386 f.).
Rz. 6
b) An diesen Grundsätzen gemessen begegnet die Annahme einer heimtückischen Begehungsweise durchgreifenden Bedenken. Die Nebenklägerin hatte noch ausreichend Zeit, auf den Angriff wirkungsvoll zu reagieren. Denn wie der nachfolgende Geschehensablauf zeigt, hätte sich die Nebenklägerin – anstatt vergeblich einen Notruf abzusetzen – vom Tresen zur Flucht wenden können. Sie hatte mithin die Chance zum Entrinnen.
Rz. 7
2. Das Entfallen des Mordmerkmals der Heimtücke bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Der Rechtsfehler betrifft nicht die Feststellungen, die daher aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue vom nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht getroffene Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
Unterschriften
Raum, Jäger, RiBGH Dr. Bär ist erkrankt und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13857708 |
NStZ 2020, 7 |
NStZ-RR 2020, 6 |