Leitsatz (amtlich)
Zur Ausfüllung von Gesetzeslücken durch die Steuergerichte.
Steuerpflichtige des Saarlandes, die im abgekürzten Veranlagungszeitraum 1959 wenigstens zwei Monate verheiratet waren, sind in die Steuerklasse II einzustufen.
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.), der im Saarland wohnt, hatte am 8. April 1959 geheiratet. Für den verkürzten Veranlagungszeitraum vom 1. Januar bis 5. Juli 1959 besteuerte ihn das Finanzamt (FA) nach der Steuerklasse I (Ledige).
Das Finanzgericht (FG) gab der Berufung statt und stufte den Stpfl. seinem Antrag entsprechend in die Steuerklasse II (Verheiratete) ein. Es hielt § 39 Abs. 2 EStG (Saar) vom 5. März 1958 (Amtsblatt des Saarlandes 1958 S. 257) für nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift fällt nämlich eine Person, die im Veranlagungszeitraum nicht mindestens vier Monate verheiratet war, in die Steuerklasse I. Das FG führte aus, bei der Eingliederung des Saarlandes im Juli 1959 hätten auch für das Steuerrecht die erforderlichen Folgerungen gezogen werden müssen. Im § 3 des saarländischen Steueränderungsgesetzes - StändG (Saar) - vom 3. Juli 1959 (Amtsblatt des Saarlandes 1959 S. 1065) sei ein verkürzter Veranlagungszeitraum gebildet worden. Dabei sei offensichtlich beabsichtigt gewesen, für die Einkommensteuer alle Vorschriften, die auf das Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum zugeschnitten waren, dem verkürzten Veranlagungszeitraum anzupassen. So seien z. B. in § 4 StändG (Saar) 1959 die für die Veranlagung wesentlichen Jahresbeträge auf den verkürzten Zeitraum von sechs Monaten umgestellt worden. Der Viermonatszeitraum des § 39 EStG (Saar) 1958 sei zwar nicht in dieser Weise an den verkürzten Veranlagungszeitraum angeglichen worden. Der Gesetzgeber habe aber die saarländischen Steuerpflichtigen bei der wirtschaftlichen Eingliederung in die Bundesrepublik wohl kaum zusätzlichen Steuerbelastungen unterwerfen oder allgemeine Vergünstigungen für sie einschränken wollen. Er habe es offenbar nur übersehen, den Viermonatszeitraum anzupassen, so daß eine Gesetzeslücke vorliege, die die Steuergerichte schließen müßten. Bei sinngerechter Anwendung der Vorschriften des EStG, die eine Familienvergünstigung für das ganze Jahr gewährten, wenn die Voraussetzungen während einer Zeit von vier Monaten, also während eines Drittels des Jahreszeitraums, bestanden hätten, sei es angebracht, in dem verkürzten Veranlagungszeitraum die Familienvergünstigungen zu gewähren, wenn die Voraussetzungen wenigstens während eines Drittels des verkürzten Veranlagungszeitraums bestanden hätten. Es genüge also, wenn im abgekürzten Veranlagungszeitraum 1959 die Voraussetzungen für die Familienvergünstigung zwei Monate bestanden habe.
Der Vorsteher des FA rügt die Verletzung geltenden Rechts und meint, zuverlässige Anhaltspunkte für ein Versehen des Gesetzgebers seien nicht festzustellen. Die Auffassung des FG, der Gesetzgeber habe alle übergangshärten vermeiden wollen, sei in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Für Stichtagsregelungen käme sie nicht in Betracht, wie § 4 Abs. 1 Satz 1 StändG (Saar) 1959 zeige, wonach bei der Bemessung der Freibeträge und Freigrenzen die Tage des Eingliederungsmonats vom 1. bis 5. Juli 1959 außer Betracht blieben. Die Anwendung des Gesetzes seinem Wortlaut nach führe auch nicht etwa zu einem offenbar sinnwidrigen Ergebnis; denn der Gesetzgeber habe offenbar aus Haushaltsgründen die übergangsmilderungen nicht zu weit ausdehnen wollen. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege in der Versagung der erstrebten Vergünstigung nicht, weil alle Saarländer bei gleichem Sachverhalt gleichbehandelt würden.
Entscheidungsgründe
Der Revision des Vorstehers des FA mußte der Erfolg versagt werden.
Der Senat tritt dem FG darin bei, daß der Stpfl. für den verkürzten Veranlagungszeitraum 1959 als Verheirateter in die Steuerklasse II des § 39 Abs. 3 EStG (Saar) 1958 einzustufen ist. Die Ausführungen des FG zu der Frage, ob eine Lücke im Gesetz vorliegt, sind rechtlich einwandfrei. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber, wenn er in normalen Veranlagungszeiträumen (Kalenderjahren) eine Familienvergünstigung schon dann gewährt, wenn die Voraussetzungen nur während eines Zeitraums von vier Monaten, also während eines Drittels des Veranlagungszeitraums, vorgelegen haben, während des abgekürzten Veranlagungszeitraums, der durch die Eingliederung des Saarlandes erforderlich geworden war, nicht eine entsprechende Abkürzung der Viermonatsfrist auf ein Drittel des verkürzten Veranlagungszeitraums getroffen haben sollte, wenn die Frage in seinen Gesichtskreis getreten wäre. Mit Recht weist das FG darauf hin, daß der Gesetzgeber kaum die Absicht gehabt haben kann, durch die Umstellung des Veranlagungszeitraums im Eingliederungsjahr 1959 die Steuerpflichtigen des Saarlandes zu benachteiligen.
Die überlegung des FA, der Gesetzgeber habe aus Haushaltsgründen den Viermonatszeitraum nicht abgekürzt, findet weder in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes noch in der Systematik des EStG eine objektive Stütze. Es handelt sich im übrigen um so geringe Beträge, daß eine ernsthafte Rückwirkung auf den Haushalt nicht eintreten kann. Zudem ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, der an die Grundrechte der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und des Schutzes und der Förderung von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) gebunden ist, ausgerechnet bei Familienvergünstigungen die Interessen des Haushalts vorangestellt haben sollte. Alle diese überlegungen sprechen für die Auffassung des FG, daß ein Versehen des Gesetzgebers, also eine Lücke im Gesetz, vorliegt.
Liegt aber eine Lücke im Gesetz vor, so ist sie von den Steuergerichten so auszufüllen, wie nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und dem sonst erkennbaren Willen des Gesetzgebers dieser wahrscheinlich die Frage geregelt hätte, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre (Urteil des Senats VI 115/60 S vom 17. März 1961, BStBl 1961 III S. 346, Slg. Bd. 73 S. 213). Die Lösung, die das FG für die Ausfüllung der Gesetzeslücke gefunden hat, entspricht diesem Rechtsgrundsatz.
Fundstellen
Haufe-Index 411963 |
BStBl III 1966, 222 |
BFHE 1966, 25 |
BFHE 85, 25 |