Leitsatz (amtlich)
1. Einkünfte eines Arbeitnehmers, der für seinen in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Arbeitgeber auf einer Baustelle in der DDR tätig ist, sind auch dann nach § 3 Nr. 63 EStG 1975 steuerfrei, wenn der Arbeitslohn in der Bundesrepublik Deutschland ausbezahlt wird.
2. Die auf diesen Arbeitslohn entfallenden Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung können nicht nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1975 als Sonderausgaben abgezogen werden (Anschluß an das BFH-Urteil vom 18. Juli 1980 VI R 97/77, BFHE 131, 339, BStBl II 1981, 16).
Normenkette
EStG 1975 § 3 Nr. 63, § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1976 vom 1. März bis zum 22. August für seine in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ansässige Arbeitgeberin auf einer Baustelle in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) tätig. Die Arbeitgeberin zahlte seinen Arbeitslohn während dieser Zeit weiter in der Bundesrepublik aus und kürzte ihn um Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 2 406 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte den auf die Tätigkeit in der DDR entfallenden Lohn im Einspruchsverfahren gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid für 1976 gemäß § 3 Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 als steuerfrei, ließ jedoch die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge nicht zum Abzug als Sonderausgaben zu, da sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1975).
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte die Steuerfreiheit des für die Tätigkeit in der DDR bezogenen Lohnes und berücksichtigte die damit zusammenhängenden Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben. Es hielt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1975 nicht für gegeben. Es führte hierzu aus, daß nach dieser Vorschrift den Sonderausgabenabzug nur solche steuerfreien Einnahmen ausschlossen, die nach ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung der Leistung von Vorsorgeaufwendungen dienten (Hinweis auf das Urteil des V. Senats des FG Münster vom 26. Januar 1977 V-VIII 2045/76 L, Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 261 - EFG 1977, 261 - sowie auf Abschn. 87a Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1975).
Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, das FG habe den Begriff des "unmittelbaren Zusammenhangs mit steuerfreien Einnahmen" in § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1975 verkannt. Diese Vorschrift müsse im Zusammenhang mit § 3c EStG 1975 gesehen werden. Wie dort, so müsse auch hier ein allgemeiner innerer Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen genügen, um die Abziehbarkeit der Aufwendungen auszuschließen. Hinzu komme, daß der Gesetzgeber Vorsorgeaufwendungen als Kosten der Lebenshaltung ohnedies nur ausnahmsweise und beschränkt als einkommensmindernd berücksichtigen wolle.
Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Das FG hat zutreffend den auf die Tätigkeit des Klägers in der DDR entfallenden Lohn als nach § 3 Nr. 63 EStG 1975 steuerfrei behandelt.
Für die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG 1975 kommt es ausschließlich darauf an, ob die betreffenden Einkünfte dann, wenn sie in der Bundesrepublik erzielt worden wären, bei einem hier beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG 1975 gehören würden (so z. B. Gérard/Söffing, Finanz-Rundschau 1974 S. 361, 365 - FR 1974, 361, 365 -; auch Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnrn. 58 und 59d; vgl. auch die Begründung zu Art. 1 § 6 Abs. 11 des Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes vom 9. Januar 1974, Bundestags-Drucksache 7/1470 S.243 sowie das Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BdF - vom 30. August 1977 IV B 4 - S 2300 - 34/77, Deutsches Steuerrecht 1977 S. 608 - DStR 1977, 608 -; auch Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 3 Anm. II 47). Diese Voraussetzungen hat das FG zu Recht bejaht. Denn der Kläger hat in der DDR eine nichtselbständige Arbeit ausgeübt und dafür Vergütungen erhalten, die bei einem beschränkt Steuerpflichtigen, wenn er in gleicher Weise in der Bundesrepublik tätig gewesen wäre, nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 erster Fall EStG 1975 zu dessen inländischen steuerpflichtigen Einkünften gehören würden.
Es ist für die Steuerfreiheit dieser Bezüge ohne Belang, daß sie in der Bundesrepublik ausbezahlt wurden. Denn die Formulierung in der DDR "bezogen" in § 3 Nr. 63 EStG 1975 begründet keinen besonderen Abgrenzungstatbestand. § 3 Nr. 63 EStG 1975 ist an die Stelle des § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 und früher (EStG a. F.) getreten und mit dieser Vorschrift - abgesehen von der, nicht mehr enthaltenen Gegenseitigkeitsklausel - inhaltsgleich (siehe Begründung zu Art. 1 § 6 Abs. 11 des Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes vom 9. Januar 1974, a. a. O., auch Gérard/Söffing, a. a. O.). § 3 Nr. 63 EStG 1975 wirkt - wie zuvor § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG a. F. - im Verhältnis zur DDR wie ein Doppelbesteuerungsabkommen (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juni 1976 I R 165/74, BFHE 119, 418, BStBl II 1976, 676 zu § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG a. F.; auch Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 3 EStG Anm. 375 und Gérard/Söffing, a. a. O.). Die Vorschrift ist daher auch nach den das Doppelbesteuerungsrecht beherrschenden Regeln auszulegen. Danach gilt für die Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich das sog. Arbeitsortprinzip. Entscheidend für die Besteuerung ist nur der Ort, an dem die Tätigkeit ausgeübt wird; auf den Ort, von dem aus etwa der Arbeitslohn gezahlt oder an den er überwiesen wird, kommt es nicht an (vgl. auch Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung, Kommentar, Bd. I, Systematik IV Anm. 271 ff. sowie Schieber, DStR 1976, 567, 569).
Das FG brauchte nicht festzustellen, ob die Einkünfte des Klägers schon in der DDR der Besteuerung unterlagen. Denn es wird vom Gesetz allgemein und ohne Berücksichtigung des Einzelfalles unterstellt, daß Einkünfte, für die in der Bundesrepublik eine beschränkte Steuerpflicht zu bejahen wäre, in der DDR einer entsprechenden Einkommensbesteuerung unterworfen worden sind (s. hierzu das Urteil des BFH vom 27. November 1975 IV R 200/71, BFHE 117, 541, 544 zu § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG a. F.; vgl. auch Abschn. 6 Nr. 20 EStR 1975).
2. Zu Unrecht hat das FG jedoch die auf den vorgenannten Lohn entfallenden Sozialversicherungsbeiträge des Klägers zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen. Diese Aufwendungen dürfen nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1975 steuerlich nicht berücksichtigt werden, da sie mit dem nach § 3 Nr. 63 EStG 1975 steuerbefreiten Arbeitslohn des Klägers in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.
Der Senat hat mit Urteil vom 18. Juli 1980 VI R 97/77 (BFHE 131, 339, BStBl II 1981, 16) entschieden, daß ein derartiger Zusammenhang dann zu bejahen ist, wenn Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung geleistet wurden, weil der betreffende Arbeitslohn der Sozialversicherungspflicht unterlag. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Er hat durch seine vorgenannte Entscheidung das vom FG zitierte Urteil des FG Münster in EFG 1977, 261 als nicht Rechtens aufgehoben. Neue Gesichtspunkte, die gegen die damalige Auffassung des Senats sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher insoweit auf das Urteil in BFHE 131, 339, BStBl II 1981, 16 Bezug genommen.
Im Streitfall war der vom Kläger für seine Tätigkeit in der DDR bezogene Lohn sozialversicherungspflichtig (§§ 165ff., 1227ff. der Reichsversicherungsordnung). Das Gebiet der DDR gehört nicht zum räumlichen Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung, sondern ist vielmehr wie ein fremdes Hoheitsgebiet zu behandeln (vgl. Art. 6 des Vertrags über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972, BGBl II 1973, 423, auch Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 25. Februar 1976 8 RU 16/75, Sozialrecht, Gruppe 2000, Sozialversicherung 2200 - RVO - § 625 Nr. 3). Doch besteht Sozialversicherungspflicht auch für solche Arbeitnehmer, die - wie im Streitfall der Kläger - für ihren in der Bundesrepublik ansässigen Arbeitgeber nur vorübergehend außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsordnung tätig werden (sog. Ausstrahlungstheorie; vgl. auch das Urteil des BSG vom 4. Juli 1962 3 RK 53/58, BSGE 17, 173 sowie Kaltenbach/Maier in Koch/Hartmann, die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, Bd. I, III-IV, § 4 SGB RdNr. 2; nunmehr § 4 des Vierten Sozialgesetzbuchs vom 23. Dezember 1976, BGBl I, 3845).
Fundstellen
Haufe-Index 413618 |
BStBl II 1981, 530 |
BFHE 1981, 64 |