Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die in einem Strafverfahren oder Wirtschaftsstrafverfahren angeordnete Verpflichtung zur Abführung des Mehrerlöses kann der Steuerpflichtige in seiner Bilanz passiv abgrenzen.
Auch für die im Abführungsverfahren anfallenden Rechtsmittelkosten und Auslagen kann eine Rückstellung gebildet werden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, §§ 5, 12 Nr. 1
Tatbestand
Die Bg. sind Eheleute; der Ehemann betreibt mehrere Nachtlokale. Im Juli 1956 erging gegen ihn ein Bußgeldbescheid auf Grund der §§ 48,51 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl 1952 I S. 177 ff.) - abgekürzt OWiG - wegen Zuwiderhandlung gegen die Verordnung BdW 1/52 des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg über Preise für Bier vom 2. Juli 1952 (Amtsblatt Baden-Württemberg 1952 Nr. 1 S. 2) - Verkauf von Bier zu überpreisen - in Verbindung mit § 2 des Gesetzes zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 9. Juli 1954 (BGBl 1954 I S. 175) - abgekürzt WiStG -. Die Geldbuße wurde auf 1 000 DM festgesetzt. Gemäß §§ 8, 11 WiStG wurde zugleich die Abführung des Mehrerlöses von 49 000 DM an das Land angeordnet. Davon wurden durch Verfügung der Verwaltungsbehörde vom 17. Mai 1963 40 000 DM im Billigkeitswege erlassen. Für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde wurden gemäß § 71 OWiG eine Gebühr von 5 v. H. der Geldbuße ( = 50 DM) und von 5 v. H. des Mehrerlöses ( 2 450 DM) insgesamt also von 2 500 DM, und Auslagen von 10 DM erhoben. Gegen den Bußgeldbescheid stellte der Steuerpflichtige gemäß §§ 54 und 55 OWiG Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht hielt den Bußgeldbescheid aufrecht. Auch die gemäß § 56 OWiG zum Oberlandesgericht eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht stellte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 4/56 - 2 BvL 26/56 - 2 BvL 40/56 - 2 BvL 1/57 - 2 BvL 7/57 vom 12. November 1958 (BGBl 1959 I S. 48, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 8 S. 274) fest, die Verordnung BdW 1/52 (a. a. O.) stehe mit dem Grundgesetz (GG) im Einklang. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens von 7 500 DM legte es dem Steuerpflichtigen gemäß § 72 OWiG in Verbindung mit § 88 Abs. 2 und § 70 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf. Davon entfallen (15 v. H. von 1000 DM =) 150 DM auf das Bußgeldverfahren und ( 15 v. H. von 49 000 DM =) 7 350 DM auf das Einziehungsverfahren; darüberhinaus wandte der Steuerpflichtige 150 DM Anwaltskosten auf.
In der Bilanz zum 31. Dezember 1955 bildeten die Bg. wegen der auferlegten Abführung des Mehrerlöses eine Rückstellung von 49 000 DM. In der Schlußbilanz 1956 berücksichtigten sie die Kosten und Auslagen des Verwaltungsverfahrens von 2 510 DM gewinnmindernd. In der berichtigten Schlußbilanz zum 31. Dezember 1957 stellten sie dann auch die Gerichts- und Anwaltskosten von (7 500 DM plus 150 DM =) 7 650 DM, insgesamt also (49 000 DM plus 2 510 DM plus 7 650 DM =) 59 160 DM zurück.
Nach einer Betriebsprüfung erkannte das Finanzamt nur mehr die Rückstellung von 49 000 DM für die Abführung des Mehrerlöses an; den Rest von (59 160 DM abzüglich 49 000 DM =) 10 160 DM strich es und berichtigte die Veranlagung der Streitjahre 1956 und 1957 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO entsprechend. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzamt gab der Berufung statt und setzte neben den vom Finanzamt berücksichtigten 49 000 DM für 1956 noch 2 460 DM und für 1957 weitere 7 500 DM, insgesamt also 9 960 DM zusätzlich gewinnmindernd an. Es führte aus, der Bundesfinanzhof habe in dem Urteil I 135/58 vom 20. Januar 1959 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - , Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 298) entschieden, daß die Abführung des Mehrerlöses ein Betriebsvorgang sei. Das gelte nicht nur, wenn diese Maßnahme neben oder unabhängig von einem Strafverfahren getroffen werde, sondern auch, wenn die Verpflichtung zur Abführung des Mehrerlöses und die Ordnungsstrafe in einem Verfahren festgesetzt würden. Mindere die Abführung des Mehrerlöses den Gewinn des Unternehmens, so müsse das auch für die damit in Zusammenhang stehenden Verfahrenskosten gelten. Die auf die Geldbuße und die Abführung entfallenden Verfahrens- und Rechtsmittelkosten ließen sich unschwer trennen. Die Auslagen für den Erlaß des Bußgeldbescheides von 10 DM und die am 31. Dezember 1957 noch geschuldeten Rechtsanwaltskosten von 150 DM ließen sich zwar nicht eindeutig aufteilen, sie seien aber voll zum Abzug zuzulassen, weil es sich um Bagatellbeträge handele.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung der §§ 4 Abs. 4 und 5 EStG. Er beruft sich vor allem darauf, daß nach dem Urteil des Senats VI 165/62 S vom 8. April 1964 (BStBl 1964 III S. 331, Slg. Bd. 79 S. 274) die Kosten eines Strafverfahrens nicht aufgeteilt werden könnten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet. Geldstrafen können steuerlich nicht abgesetzt werden. Dasselbe gilt auch für die Kosten eines Strafverfahrens, das mit einer Verurteilung des Steuerpflichtigen endet ( Urteile des Bundesfinanzhofs VI 279/56 U vom 15. November 1957, BStBl 1958 III S. 105, Slg. Bd. 66 S. 267; IV 63/59 S vom 13. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 18, Slg. Bd. 72 S. 45, und VI 99/59 S vom 25. August 1961, BStBl 1961 III S. 482, Slg. Bd. 73 S. 591). Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 322/56 vom 10. September 1957 (BStBl 1957 III S. 415, Slg. Bd. 65 S. 471) fallen auch Geldbußen, die auf Grund des WiStG festgesetzt worden sind, unter das Abzugsverbot.
Diese Grundsätze können aber nicht für ein Abführungsverfahren und die dadurch entstehenden Kosten angewandt werden. Der Senat tritt dem Finanzgericht darin bei, daß diese Aufwendungen den Gewinn mindern. Die Abführung des Mehrerlöses ist - ähnlich wie die Einziehung oder Ersatzeinziehung von Gegenständen - keine unmittelbare Strafmaßnahme, sondern nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs (Urteile des Reichsgericht IV 180/12 vom 18. Juni 1912, Entscheidungen des Reichsgericht in Strafsachen - RGSt - Bd. 46 S. 131; I 377/16 vom 16. Mai 1917, RGSt Bd. 50 S. 386; IV 645/19 vom 11. Mai 1920, RGSt Bd. 55 S. 12; I 1418/32 vom 7. April 1933, RGSt Bd. 67 S. 215; Urteil des Bundesgerichtshof 6 StR 5/54 vom 31. März 1954, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bd. 6 S. 62) eine polizeiliche Sicherungs- oder Vorbeugungsmaßnahme, die in erster Linie eine Benachteiligung des redlichen Geschäftsverkehrs und der Verbraucher verhindern will. Darum läßt auch § 19 OWiG unter Umständen sogar die Einziehung fremden Eigentums zu. In § 10 WiStG ist bestimmt, daß die Abführung des Mehrerlöses auch ohne strafrechtliche Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person möglich ist. Weil die Abführung keine Strafmaßnahme ist, hat der Bundesfinanzhof in den Urteilen I 135/58 (a. a. O.) und IV 49/63 U vom 14. Januar 1965 (BStBl 1965 III S. 278) die Abführung des Mehrerlöses oder die Einziehung oder Ersatzeinziehung von Gegenständen des Betriebsvermögens - etwa von verfälschtem Wein - als Betriebsvorgang gewinnmindernd berücksichtigt. Der Senat tritt dieser Rechtsauffassung bei. Die Abführung des Mehrerlöses führt zur Rückgängigmachung eines ausgewiesenen Buchgewinns. Das Finanzgericht konnte darum also die 49 000 DM gewinnmindernd ansetzen. Der Umstand daß den Bg. im Jahre 1963 ein Teil der Abführungsschuld erlassen wurde, wirkt sich erst im Erlaßjahr 1963 aus.
Wie die Abführung des Mehrerlöses müssen auch die Kosten behandelt werden, die die Bg. aufgewendet haben, um die Abführung abzuwenden. Wenn ein Steuerpflichtiger in den Verdacht gerät, im Betrieb überpreise genommen zu haben, so ist die Einleitung des Verfahrens durch den Betrieb veranlaßt (ß 4 Abs. 4 EStG). Der Abzug als Betriebsausgaben kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob und in welchem Maß den Steuerpflichtigen eine Schuld trifft.
Dem Umstand, daß die Abführung des Mehrerlöses in einem Verwaltungsstrafverfahren angeordnet wurde, hat das Finanzgericht zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Steuerlich kommt es nicht darauf an, ab die Abführung in einem selbständigen Verfahren oder im Rahmen eines Strafverfahrens oder Wirtschaftsstrafverfahrens angeordnet wird.
Der Vorsteher des Finanzamts beruft sich auf das Urteil des Senats VI 165/62 S (a. a. O.) , wonach Strafverteidigungskosten eines zum Teil verurteilten und zum Teil freigesprochenen Steuerpflichtigen steuerlich nur zu berücksichtigen sind, wenn zwischen den Anklagepunkten, wegen derer der Steuerpflichtige verurteilt wurde, und den übrigen Anklagepunkten eindeutig kein Zusammenhang besteht. Er will diesen Grundsatz auf den Streitfall übertragen. Hier geht es jedoch nicht um einen Strafprozeß, sondern um eine Sicherungsmaßnahme. Die auf die Geldbuße und die Abführungsverpflichtung entfallenden Verfahrens- und Rechtsmittelkosten lassen sich einwandfrei trennen.
Der Senat hält es auch für vertretbar, daß das Finanzgericht die Auslagen von 10 DM und die Anwaltskosten von 150 DM als Bagatellbeträge zur Vereinfachung nicht auf das Bußgeldverfahren und das Abführungsverfahren aufgeteilt hat (vgl. das Urteil des Senats VI 207/62 S vom 30. April 1965, BStBl 1965 III S. 410).
Fundstellen
Haufe-Index 411728 |
BStBl III 1965, 585 |
BFHE 1966, 233 |
BFHE 83, 233 |
BB 1965, 1139 |
DB 1965, 1503 |
DStR 1965, 696 |