Leitsatz (amtlich)
Die Nachsteuer auf Schachteleinnahmen wird gemäß § 9 Abs. 3 KStG auch dann erhoben, wenn die Steuerpflichtige gemäß § 6 Abs. 4 KStG mit ihrem Mindesteinkommen zur Steuer herangezogen wird.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 4, § 9 Abs. 1, 3
Tatbestand
Streitig ist, ob der Revisionsbeklagte (das FA) die Schachteleinnahmen der Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), die im Streitjahr 1959 der Besteuerung nach § 6 Abs. 4 KStG unterlag, zu Recht in vollem Umfang der Nachsteuer aus § 9 Abs. 3 KStG unterworfen hat.
Die Steuerpflichtige ist ein Versicherungsunternehmen, das das Lebensversicherungsgeschäft betreibt. In ihrem steuerpflichtigen Einkommen 1959 sind Schachteleinnahmen in Höhe von 63 000 DM enthalten. Gemäß § 6 Abs. 4 KStG hat das FA die Steuerpflichtige für das Streitjahr mit ihrem Mindesteinkommen zur Steuer herangezogen und daneben auf die (vollen) Schachteleinnahmen gemäß § 9 Abs. 3 KStG eine Nachsteuer festgesetzt. Die Steuerpflichtige hält die Nachsteuer nur auf 5 v. H. ihrer Schachteleinnahmen für begründet, weil die Steuervergünstigung des § 9 Abs. 1 KStG sich auch nur auf 5 v. H. dieser Einnahmen ausgewirkt habe. Andernfalls müsse es möglich sein, auf die Steuervergünstigung des § 9 Abs. 1 KStG zu verzichten.
Einspruch und Berufung der Steuerpflichtigen blieben ohne Erfolg. Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1967, 304, veröffentlicht ist, führte aus:
Die Anwendung der Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG, nach der die auf Schachtelbeteiligungen entfallenden Gewinnanteile jeder Art außer Ansatz bleiben, sei unverzichtbar. Das Erfordernis, die Beteiligung nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift als Schachtelbeteiligung nachzuweisen, vermöge die gegenteilige Ansicht nicht zu begründen; es habe vielmehr allein die Bedeutung einer Beweisregel. Die Vorschrift könne auch nicht entgegen ihrem Wortlaut im Sinne des Begehrens der Steuerpflichtigen angewendet werden. Zwar würde sich bei Annahme der Verzichtbarkeit wie auch bei Berücksichtigung von nur 5 v. H. der Schachteleinnahmen bei der Festsetzung der Nachsteuer für die Steuerpflichtige eine Besserstellung ergeben. Diese Besserstellung gelte jedoch nur in Ansehung der Besteuerung nach § 6 Abs. 4 KStG, die - gegenüber der Besteuerung nach § 6 Abs. 1 bis 3 KStG - den Sinn habe, bei Steuerpflichtigen, die das Lebensversicherungsgeschäft betreiben, die Abzugsfähigkeit des für die Versicherten bestimmten Anteils zu begrenzen. Tatsächlich blieben auch bei der Besteuerung nach § 6 Abs. 4 KStG die Schachteleinnahmen nicht nur mit 5 v. H., sondern in vollem Umfang außer Ansatz; dagegen würde der Abzug des für die Versicherten bestimmten Anteils auf einen Betrag von 95 v. H. des Gewinns der Steuerpflichtigen aus dem Lebensversicherungsgeschäft beschränkt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Steuerpflichtige mit ihrer Revision, zu deren Begründung sie vortragen läßt:
Die Auffassung des FG, daß die Schachteleinnahmen der Steuerpflichtigen auch im Falle ihrer Besteuerung nach § 6 Abs. 4 KStG in vollem Umfang außer Ansatz blieben, träfe nur dann zu, wenn sie von dem nach § 6 Abs. 4 KStG ermittelten Einkommen (als Besteuerungsgrundlage) anstatt von dem in die Besteuerungsgrundlage des § 6 Abs. 4 KStG nur mit 5 v. H. eingehenden Gewinn abgezogen würden. So zu verfahren habe der BFH jedoch im Urteil I 169/58 U vom 2. Mai 1961 (BFH 73, 433, BStBl III 1961, 424) über den Abzug steuerfreier Zinsen nach § 3a EStG abgelehnt. Seien die steuerfreien Zinsen in dem Gewinn enthalten, von dem der nach dem Lebensversicherungsgeschäft für die Versicherten bestimmte Anteil noch nicht abgezogen sei, würden sie kraft der Bestimmung des § 23 KStDV - 1953 - auch nur in Höhe von 5 v. H. Besteuerungsgrundlage und könnten somit auch nur in diesem Umfang von der Besteuerung ausgenommen werden. Was für die steuerfreien Zinsen gelte, müsse aber auch für die steuerfreien Schachteleinnahmen gelten. Nach dem BFH-Urteil I 276/61 S vom 3. Juli 1963 (BFH 77, 394, BStBl III 1963, 464) könne die Nachsteuer nur diejenigen Gewinnanteile erfassen, auf die die Vergünstigung des § 9 Abs. 1 KStG Anwendung gefunden habe.
Hinzu komme, daß die Nachsteuer grundsätzlich vermeidbar sei. Der Sinn der Erhebung einer Nachsteuer bestehe darin, sicherzustellen, daß die ausgeschütteten und bei der Untergesellschaft einem ermäßigten Steuersatz unterworfenen Beträge im Endergebnis ausgeschüttet blieben, d. h. auch von der empfangenden Obergesellschaft weiter ausgeschüttet würden, ohne daß diese für die Ausschüttung den ermäßigten Steuersatz in Anspruch nehme. Bei Anwendung der Vorschrift des § 6 Abs. 4 KStG könne aber eine Weiterausschüttung der empfangenen Schachteleinnahmen praktisch nicht stattfinden. Die Besteuerungsgrundlage bestehe aus 5 v. H. des auf gewöhnlichem Wege ermittelten Einkommens zuzüglich 5 v. H. der Rückstellung für Beitragsrückerstattung. Dabei werde § 6 Abs. 4 KStG nur angewendet, wenn 5 v. H. der Beitragsrückerstattung höher seien als 95 v. H. des eigentlichen Einkommens, d. h. wenn die Beitragsrückerstattung mehr als das Zwanzigfache des Gewinns der Gesellschaft selbst betrage. Derjenige Teil dieser Bemessungsgrundlage, der aus der Beitragsrückerstattung berechnet worden sei, sei aber Gewinnverteilungsbeschlüssen überhaupt nicht zugänglich und könne deswegen nicht berücksichtigungsfähig ausgeschüttet werden. Die Steuerpflichtige müßte somit, um die Nachsteuer zu vermeiden, aus anderen Mitteln einen so erheblichen Betrag ausschütten, wie er praktisch in keinem Falle zu beschaffen sei.
Abschließend werde nochmals auf den dem BFH-Urteil I 208/60 S vom 27. Februar 1962 (BFH 74, 662, BStBl III 1962, 244) zugrunde liegenden und im BFH-Urteil I 276/61 S (a. a. O.) nicht abgelehnten Grundsatz hingewiesen, daß sich aus der Anwendung des Schachtelprivilegs zusammen mit der Nachsteuer keine höhere Steuer ergeben könne, als wenn Schachtelprivileg und Nachsteuer nicht angewendet worden wären.
Hilfsweise werde erneut die Verzichtbarkeit der Anwendung der Steuervergünstigung des § 9 Abs. 1 KStG geltend gemacht.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die Vorschrift des § 6 Abs. 4 KStG begründet eine gewisse Einschränkung der Vorschriften des § 6 Abs. 2 KStG, mit denen zunächst die Beitragsrückerstattungen, die aus dem Lebensversicherungsgeschäft stammen, in vollem Umfang für abzugsfähig erklärt werden. Wenn es in § 6 Abs. 4 KStG heißt, zu versteuern seien mindestens 5 v. H. des nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelten Gewinns, von dem der bei dem Lebensversicherungsgeschäft für die Versicherten bestimmte Anteil noch nicht abgezogen ist, mithin mindestens 5 v. H. des nach den allgemein geltenden Vorschriften vor Abzug der Beitragsrückerstattungen ermittelten Gewinns, so ist das nur eine besondere rechtstechnische Form, in die diese Einschränkung des Abzugs der Beitragsrückerstattungen im Lebensversicherungsgeschäft gekleidet ist. Sie bringt zum Ausdruck, daß Beitragsrückerstattungen nicht in vollem Umfang abgezogen werden dürfen, jedenfalls nicht in einem solchen Umfang, daß nicht ein steuerpflichtiger Gewinn in Höhe von wenigstens 5 v. H. des Gewinns vor Abzug der Beitragsrückerstattungen verbleibt. Die Grenze der Abzugsfähigkeit bestimmter Ausgaben kann rechnerisch entweder in der Weise bestimmt werden, daß der Höchstbetrag der abzugsfähigen Ausgaben angegeben wird, oder aber in der Weise, daß ein Mindestbetrag des verbleibenden Gewinns festgesetzt wird. Die letztgenannte Methode bestimmt die Fassung der Vorschrift des § 6 Abs. 4 KStG.
2. Bei der Ermittlung des Gewinns, der hier in Höhe eines bestimmten Mindestbetrages die Besteuerungsgrundlage bildet, haben gemäß § 9 Abs. 1 KStG die vollen im Gewinn der Steuerpflichtigen enthaltenen Schachteleinnahmen außer Ansatz zu bleiben. Wie in der Entscheidung des Senats I 276/61 S (a. a. O.) dargelegt, handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift, nicht um eine Vergünstigung, über deren Inanspruchnahme die Steuerpflichtige in freier Entschließung entscheidet, so daß ein Verzicht auf ihre Anwendung ebensowenig möglich ist, wie ein Verzicht auf die Anwendung der Vorschrift des § 3a EStG über die Steuerbefreiung bestimmter Zinsen.
Andererseits ist der Steuerpflichtigen darin zuzustimmen, daß mit der Einschränkung der vollen Abzugsfähigkeit der Beitragsrückerstattungen und mit der durch sie bedingten gesetzlichen Bemessung der Besteuerungsgrundlage auf (mindestens) 5 v. H. des nach den allgemein geltenden Vorschriften vor Abzug der Beitragsrückerstattungen ermittelten Gewinns auch die Auswirkung der Steuerbefreiungsvorschrift des § 9 Abs. 1 KStG im Ergebnis eingeschränkt wird. Dieses Ergebnis entspricht indes dem Gesetz, das den Abzug der Schachteleinnahmen auch im Falle der Mindestbesteuerung vom Gewinn, nicht von der Besteuerungsgrundlage vorschreibt. Gleichwohl ist diese Einschränkung nicht mit der Einschränkung der Abzugsfähigkeit steuerfreier Zinsen vergleichbar, wie sie in der Entscheidung I 169/58 U (a. a. O.) ausgesprochen worden ist. Denn wie auch die Steuerpflichtige selbst nicht verkennt, bezweckt die Vorschrift des § 9 Abs. 3 KStG eine Steuersatzkorrektur. Sie greift insbesondere dann Platz, wenn die ausschüttende Untergesellschaft auf Grund ihrer als berücksichtigungsfähig angesehenen Ausschüttung den ermäßigten Steuersatz in Anspruch genommen hat, die Ausschüttung aber bei der Obergesellschaft, also im Konzern verbleibt. Dabei ist aber nach dem Wortlaut des Gesetzes die Erhebung der Nachsteuer nicht davon abhängig, daß die ausgeschütteten Gewinnanteile bei der Untergesellschaft im Ergebnis zu einer Steuerermäßigung geführt haben, sondern allein davon, daß sie bei der ausschüttenden Untergesellschaft berücksichtigungsfähige Ausschüttungen im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG sind. Die nach § 19 Abs. 2 Satz 2 KStG 1953 bestehende Koppelung zwischen den berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen und den bei ihrer Ermittlung auszuscheidenden schachtelbegünstigten Gewinnanteilen ist durch die Änderung der Vorschrift im Steuerneuordnungsgesetz vom 16. Dezember 1954 entfallen. Die Vorschrift des § 9 Abs. 3 KStG 1955/1958 sieht eine Ermäßigung der Nachsteuer lediglich insoweit vor, als bei der Obergesellschaft die schachtelbegünstigten Gewinnanteile um den Betrag zu kürzen sind, in dessen Höhe deren eigene berücksichtigungsfähige Ausschüttungen nicht zu einer Ermäßigung der Körperschaftsteuer nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 oder 2, Abs. 2 Nr. 1 KStG führen.
Wollte man der Auffassung der Steuerpflichtigen folgen, so würde dies im übrigen zu einem höchst unbefriedigenden Ergebnis führen. Es müßte dann in allen Fällen, in denen eine Mindestbesteuerung nicht in Betracht kommt, die volle Nachsteuer erhoben werden; wenn aber die Mindeststeuer die Steuer aus § 6 Abs. 2 KStG auch nur um einen geringen Betrag übersteigt, würde die Nachsteuer nur in Höhe von 5 v. H. zu erheben sein und damit für die Steuerpflichtige zu einem durch nichts gerechtfertigten Steuervorteil führen.
Der von der Steuerpflichtigen aus der Entscheidung I 208/60 S (a. a. O.) zitierte Satz, daß von den beschränkt steuerpflichtigen Gebietskörperschaften durch Steuerabzug keine höhere Nachsteuer zu erheben sei, als ohne Gewährung des Schachtelprivilegs im Steuerabzugsverfahren einbehalten worden wäre, rechtfertigt nicht die von der Steuerpflichtigen aus ihm gezogene Schlußfolgerung, daß grundsätzlich sich bei allen Steuerpflichtigen aus der Anwendung des Schachtelprivilegs zusammen mit der Nachsteuer keine höhere Steuer ergeben könne, als wenn Schachtelprivileg und Nachsteuer nicht angewendet worden wären. Dem dort entschiedenen Rechtsstreit lag die Frage zugrunde, ob auch ein nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegender Betrieb einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts das Schachtelprivileg in Anspruch nehmen dürfe, obwohl dieses gerade der unbeschränkten Steuerpflicht des beteiligten Unternehmens Rechnung trägt. Bejaht man, wie geschehen, diese Frage, so ist es nicht angängig, den beschränkt steuerpflichtigen Betrieb einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts hinsichtlich der Erhebung der Nachsteuer schlechter zu stellen als die beschränkt steuerpflichtige Gebietskörperschaft selbst. Demgemäß führte der Senat in der zitierten Entscheidung aus: "Den sich daraus ergebenden Auslegungsschwierigkeiten, daß der Gesetzgeber den beschränkt Steuerpflichtigen das Schachtelprivileg wahrscheinlich nicht geben wollte und deshalb bei der Regelung der Nachsteuer von dieser Nichtgewährung ausging, kann nur in der Weise Rechnung getragen werden, daß von den Betrieben jedenfalls keine höhere Nachsteuer erhoben wird, als der Steuerabzug bei Versagung des Schachtelprivilegs nach § 4 Abs. 2 KStG betragen würde."
Da die Nachsteuer im Regelfall grundsätzlich zu erheben ist, wenn die den Ausschüttungsbetrag empfangende Obergesellschaft ihn bei steuerbefreiter Vereinnahmung nicht weiter ausschüttet, kommt es für ihre Erhebung angesichts des Wortlauts des Gesetzes nicht auf die Gründe an, die die Obergesellschaft zu ihrem Handeln veranlassen. Die Nachsteuer ist deshalb auch dann zu erheben, wenn die Befreiungsvorschrift des § 9 Abs. 1 KStG im Ergebnis nicht zu einem steuerlichen Vorteil bei der Obergesellschaft führt (BFH-Urteil I 276/61 S, a. a. O.). Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Obergesellschaft die Mittel fehlen, um der Nachsteuer durch Ausschüttung auszuweichen, oder ob sie infolge ihrer Heranziehung mit dem Mindesteinkommen nicht in den Genuß der vollen Auswirkung der Befreiungsvorschrift des § 9 Abs. 1 KStG kommt.
3. Dem Hilfsantrag der Steuerpflichtigen, die Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG als eine antragsgebundene Steuervergünstigungsvorschrift zu behandeln, konnte ebenfalls nicht entsprochen werden. Die Vorschrift ist, wie bereits ausgeführt, eine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift; sie ist systembedingt und stellt deshalb keine Steuervergünstigung im eigentlichen Sinne dar (vgl. auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 3 zu § 9 KStG).
Fundstellen
Haufe-Index 68621 |
BStBl II 1969, 596 |
BFHE 1969, 159 |