Leitsatz (amtlich)
Für die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1965 ff. befindet sich noch in der Berufsausbildung, wer die Gesellenprüfung abgelegt hat, aber auch noch die Meisterprüfung ablegen will. Aus dem zu § 10a EStG ergangenen Urteil des Senats VI R 229/68 vom 4. Juni 1969 (BFH 96, 273, BStBl II 1969, 615) kann für die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1965 ff. nichts entnommen werden.
Normenkette
EStG 1965 ff. § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten sind Eheleute. Ihr am 5. Januar 1944 geborener Sohn war vom 1. Januar bis zum 31. März 1964 als Kraftfahrzeugschlosserlehrling und vom 1. April bis zum 30. Juni 1964 als Kraftfahrzeugschlossergeselle tätig. Vom 1. Juli 1964 bis zum 31. Dezember 1965 leistete er bei der Bundeswehr Wehrdienst. Nach Beendigung der Wehrdienstzeit nahm er seine frühere Tätigkeit wieder auf mit der Absicht, die Meisterprüfung abzulegen. Er suchte bei der Handwerkskammer M. um die Erlaubnis nach, die Meisterprüfung noch vor Erfüllung der vorgeschriebenen Gesellenjahre ablegen zu dürfen. Im Jahr 1964 hatte er Bruttobezüge in Höhe von 2 664,15 DM. Seine Einkünfte im Jahre 1965 - Bundeswehrbezüge und Aushilfslöhne - betrugen insgesamt 5 450 DM. Nach Angabe der Kläger, die durch eine Auskunft des Sohnes bestätigt wurde, hat dieser vor seiner Einberufung zum Wehrdienst im Jahre 1964 von den Klägern kostenlos Wohnung und Verpflegung erhalten. Größere Ausgaben seien im Hinblick auf den bevorstehenden Wehrdienst unterblieben.
Das FA lehnte die Gewährung eines Kinderfreibetrags für 1965 ab. Der Einspruch war erfolglos. Das FA begründete die Zurückweisung damit, die Kläger hätten vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung nicht überwiegend getragen. Außerdem sei die Berufsausbildung nicht durch den Wehrdienst unterbrochen, sondern mit der Ablegung der Gesellenprüfung beendet worden.
Das FG gab der Klage statt. Zur Begründung führte es aus, die Ausbildung des Sohnes sei nicht mit dem Bestehen der Gesellenprüfung beendet gewesen, sondern habe bei seiner Einberufung zum Wehrdienst noch angedauert. Sein Berufsziel sei die Ablegung der Meisterprüfung gewesen. Es sei deshalb davon auszugehen, daß vom Standpunkt der Eltern, die die Kosten der Ausbildung getragen hätten, erst die Meisterprüfung den Abschluß der Berufsausbildung eines Handwerksgesellen bedeute (Urteil des BFH VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961, BFH 74, 124, BStBl III 1962, 48). Werde aber die Berufsausbildung erst durch die Meisterprüfung abgeschlossen, so müßten auch die für die Zulassung zur Meisterprüfung vorgesehenen Gesellenjahre dann zur Berufsausbildung zählen, wenn die Ablegung der Meisterprüfung ernstlich angestrebt werde. Die Kläger hätten auch vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung des Sohnes zu mehr als 50 v. H. getragen. Zu Unrecht stelle das FA darauf ab, daß die Kläger zu den Kosten der Berufsausbildung keinen Beitrag geleistet hätten. Nennenswerte Kosten für Unterrichtsmittel seien nicht angefallen. Es sei auch unzutreffend, die Kosten der Berufsausbildung isoliert zu betrachten und zu prüfen, ob die Kläger mehr als die Hälfte von ihnen aufgebracht hätten. Entscheidend sei, daß die Kläger mehr als die Hälfte des Gesamtbetrages der Kosten des Lebensunterhalts und der Berufsausbildung getragen hätten.
Mit der Revision beantragt der Revisionskläger (FA), das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA ist der Ansicht, aufgrund der Entwicklung der Verhältnisse könne an der Rechtsauslegung des FG nicht festgehalten werden. Heute und auch in den letzten Jahren der Hochkonjunktur im Kraftfahrzeugbereich sei es nicht mehr die Regel, daß ein Kraftfahrzeugschlossergeselle seine Ausbildung mit der Meisterprüfung abschließe. Nur noch in Ausnahmefällen würden die Eltern während der Gesellenzeit die Unterhaltskosten tragen. Ein Indiz für diese Feststellung sei im vorliegenden Rechtsstreit auch der Umstand, daß für die Monate April bis Juni 1964 keine Berufsausbildungskosten angefallen seien, weil sich der Sohn eben nicht mehr in der Ausbildung befunden habe. Infolge der fortgeschrittenen Mechanisierung im Kraftfahrzeugbereich stelle auch der Geselle eine genauso vollwertige Arbeitskraft dar wie der Kraftfahrzeugmeister. Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils VI R 229/68 vom 4. Juni 1969 (BFH 96, 273, BStBl II 1969, 615) sei die Zeit der Ausbildung grundsätzlich mit dem Abschluß der Lehrlingstätigkeit beendet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könne aber nicht allein die nicht oder kaum nachprüfbare Absicht rechtfertigen, die Meisterprüfung ablegen zu wollen. Nach Ansicht des FA sei es im Falle des bezeichneten BFH-Urteils auch nicht entscheidungserheblich gewesen, ob der Steuerpflichtige seine Meisterprüfung habe ablegen wollen oder nicht.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Kinderfreibeträge werden auf Antrag gewährt u. a. für Kinder, die im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und während dieser Zeit Wehrdienst (Ersatzdienst) geleistet haben, wenn die Berufsausbildung durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen worden ist und der Steuerpflichtige vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung überwiegend getragen hat. Voraussetzung für die Gewährung des Kinderfreibetrags ist, daß die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung seines Unterhalts oder seiner Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, im Veranlagungszeitraum nicht mehr als 7 200 DM betragen haben (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1965).
In der Berufsausbildung befindet sich nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteile des Senats VI R 198/68 vom 26. Februar 1971, BFH 101, 533, BStBl II 1971, 422, mit weiteren Nachweisen, und VI R 309/70 vom 8. November 1972, (BStBl II 1973, 139). Worin das Berufsziel besteht, richtet sich weitgehend nach den Vorstellungen der Eltern und des Kindes. Das Berufsziel ist nicht ohne weiteres dann als erreicht anzusehen, wenn das Kind die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des von ihm gewählten Berufs erfüllt. Eine kontinuierlich durchgeführte Ausbildung ist auch dann Berufsausbildung im Sinne der angeführten Vorschrift, wenn sie sich in mehreren Stufen vollzieht, von denen zwar an sich jede einzelne schon zur Ausübung eines Berufs befähigt, das endgültige Berufsziel aber noch nicht erreicht ist (BFH-Urteil IV 329/64 vom 4. Dezember 1969, BFH 98, 244, BStBl II 1970, 450).
In Handwerksberufen schafft die Ablegung der Gesellenprüfung an sich die Voraussetzung für die Ausübung des gewählten Handwerksberufs. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß sie in jedem Fall den Abschluß der Berufsausbildung bildet. Wer sich als Berufsziel gesteckt hat, den gewählten Handwerksberuf als Meister auszuüben, kann sich auch nach der Ablegung der Gesellenprüfung noch in der Berufsausbildung befinden. Entgegen der Ansicht des FA kommt es nicht darauf an, wieweit es in dem in Betracht kommenden Beruf üblich ist, die Meisterprüfung abzulegen. Auch wenn es nicht mehr die Regel sein sollte, daß im Berufszweig des Kraftfahrzeugschlossers jemand seine Ausbildung mit der Meisterprüfung abschließt, spricht das nicht gegen die Möglichkeit, im Einzelfall die Zeit bis zur Ablegung der Meisterprüfung als Berufsausbildung anzusehen. Das ist zu bejahen, wenn sich jemand die Ablegung der Meisterprüfung als berufliches Ziel gesetzt hat. Das kann verschiedene Ursachen haben. Der Senat hat schon im Urteil VI 118/61 U (a. a. O.) darauf hingewiesen, daß Meister, wenn sie nicht selbständig tätig sind, eine wesentlich günstigere Stellung haben und einen höheren Lohn erhalten als Gesellen. Die größeren Kraftfahrzeugreparaturbetriebe haben auch dann, wenn der Inhaber selbst Kraftfahrzeugmeister ist, in der Regel einen oder mehrere Mitarbeiter, die die Meisterprüfung abgelegt haben. Auf die Ablegung der Meisterprüfung ist praktisch auch angewiesen, wer einen selbständigen Betrieb eröffnen oder übernehmen will. Alle diese Überlegungen sprechen dafür, die Annahme einer Berufsausbildung für die Zeit bis zur Ablegung der Meisterprüfung nicht auszuschließen. Der Senat verbleibt hiernach bei der im Urteil VI 118/61 U (a. a. O.) vertretenen Auffassung, daß Aufwendungen im Zusammenhang mit der Meisterprüfung Kosten der Berufsausbildung sind, wenn sie von den Eltern getragen werden. Die gleiche Auffassung wird in den BFH-Urteilen I 290/63 vom 10. Mai 1966 (BFH 86, 297, BStBl III 1966, 490) und IV 329/64 (a. a. O.) vertreten.
Das vom FG angeführte Urteil des Senats VI R 229/68 (a. a. O.) steht dem nicht entgegen. Es betraf die Anwendung des § 10a EStG. Hier hatte der Senat entschieden, die Berufsausbildung eines Handwerkers sei regelmäßig nicht erst mit der Meisterprüfung abgeschlossen. Für diese Entscheidung wurde die vom FA auch im vorliegenden Fall angeführte Entwicklung der Verhältnisse angeführt, die es mit sich gebracht habe, daß viele Schneidergesellen in der Konfektionsindustrie tätig seien, ohne eine Meisterprüfung abzulegen. Dem ist beizupflichten, wenn es um die Frage geht, durch welchen Ausbildungsstand eine Erwerbsgrundlage geschaffen wird, durch deren Verlust ein gewisser Besitzstand vorlorengegangen ist. Hierfür reicht in den Handwerksberufen sicherlich die Gesellenprüfung aus. Dem steht aber nicht entgegen, im einzelnen Fall für die Anwendung des § 32 EStG die Ablegung der Meisterprüfung als Berufsziel anzusehen und bis zur Erreichung dieses Ziels eine Berufsausbildung anzunehmen.
Weitere Voraussetzung für die Weitergewährung des Kinderfreibetrags während des Wehrdienstes ist, daß der Steuerpflichtige vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung überwiegend getragen hat. Ob das zutrifft, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung, die Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz ist. Der BFH ist an seine Feststellungen gebunden, da im Streitfall in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht wurden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 70271 |
BStBl II 1973, 138 |
BFHE 1973, 447 |