Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Das Aussetzungsverfahren ist ein summarisches Verfahren. Sach- und Rechtsfragen dürfen in ihm nur soweit geprüft werden, bis feststeht, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.
Bestehen auf Grund eines neuen Sachvortrages ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, so darf das FG einen Aussetzungsantrag aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten nur ablehnen, wenn diese auf einer im wesentlichen unbestrittenen und zweifelsfreien Rechtsansicht beruhen. Es ist nicht Aufgabe des Aussetzungsverfahrens, zweifelhafte oder strittige Rechtsfragen abschließend zu entscheiden.
Normenkette
FGO § 69; LStR Abschn. 15/1
Tatbestand
In dem beim Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptverfahren ist streitig, ob das FA den Stpfl. zu Recht für nicht abgeführte Lohnsteuer und Kirchensteuer seiner Arbeitnehmer für die Jahre 1962 bis 1965 haftbar gemacht hat. Das FA hatte bei einer Lohnsteuerprüfung festgestellt, daß der Stpfl. den in seiner Bäckerei tätigen Gesellen Essenzuschüsse von 1,50 DM täglich bar ausgezahlt habe. Es sah in diesen Zahlungen zusätzlichen Arbeitslohn und machte den Stpfl. mit Bescheid vom 10. März 1966 für nicht einbehaltene Lohnsteuer und Kirchensteuer von 572,50 DM haftbar. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. über die Klage des Stpfl. hat das FG noch nicht entschieden.
In diesem Verfahren begehrt der Stpfl., die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids in Höhe von 572,50 DM auszusetzen. Das FG gab dem Antrag teilweise statt. Es führte aus, der Stpfl. habe glaubhaft dargetan, daß er die strittigen Beträge nicht seinen Gesellen gegeben, sondern der häuslichen Küchenkasse zugeführt habe, die dazu verwandt werde, den Gesellen täglich eine unentgeltliche Mahlzeit zu geben. Die Abgabe unentgeltlicher Mahlzeiten sei jedoch ein lohnsteuerpflichtiger Sachbezug im Sinne des § 8 EStG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 LStDV, für die die üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts anzusetzen seien. Lohnsteuerpflichtig sei mithin der Sachbezug des Mittagessens ab 1. Januar 1962 mit 1,20 DM, ab 1. Januar 1964 mit 1,29 DM und ab 1. Januar 1965 mit 1,53 DM. Auf Abschn. 15 LStR, nach dem Mahlzeiten im Wert von 1,50 DM steuerfrei zu lassen sind, könne sich der Stpfl. nicht berufen. Diese Anweisung sei vom Gericht nicht zu beachten, da für die Steuerbefreiung eine gesetzliche Ermächtigung fehle. Da hinsichtlich der Differenz zwischen den obigen Mittelpreisen des Verbrauchsorts und dem vom FA angesetzten Betrag von täglich 1,50 DM erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Besteuerung bestehen, sei es gerechtfertigt, die Vollziehung des Haftungsbescheids in Höhe von 100 DM auszusetzen.
Gegen diesen Beschluß hat der Stpfl. Beschwerde eingelegt. Er meint, Abschn. 15 LStR beruhe auf Schätzungen der Finanzverwaltung nach § 217 AO, die von den Steuergerichten schon aus Gründen der Gleichbehandlung beachtet werden sollen, solange sie nicht im Einzelfall offensichtlich zu falschen Ergebnissen führen.
Das FA hat auf Grund des Aussetzungsbeschlusses den Haftungsbescheid am 13. Dezember 1966 nach § 93 Abs. 2 AO geändert und den Stpfl. nur für die unentgeltliche Abgabe des Mittagessens in Höhe der üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts in Höhe von insgesamt 486,80 DM Lohnsteuer und Kirchensteuer haftbar gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Nach den Grundsatzentscheidungen des BFH III B 9/66 vom 10. Februar 1967 (BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182) und VI S 2/66 vom 15. Februar 1967 (BFH 87, 602, BStBl III 1967, 256) bestehen ernstliche Zweifel, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch wichtige gegen seine Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen. Wie der BFH in den oben genannten Entscheidungen und in dem Beschluß II S 23/66 vom 15. Juni 1966 (BFH 86, 316, BStBl III 1966, 467) betont hat, darf die Prüfung der Sach- und Rechtsfragen in diesem summarischen Verfahren nur soweit reichen, bis feststeht, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit wichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides bestehen. Die rechtlichen oder tatsächlichen Zweifel können und dürfen im Aussetzungsverfahren nicht abschließend geklärt werden. Das FG würde im Beschlußverfahren mit drei Richtern sonst der Entscheidung im Hauptverfahren vorgreifen, an der nicht nur drei Richter, sondern auch zwei ehrenamtliche Finanzrichter mitwirken müssen (§ 4 Abs. 3 FGO).
Der angefochtene Beschluß des FG war aufzuheben, da er diesen Grundsätzen widerspricht. Das FA hatte gegen den Stpfl. einen Haftungsbescheid erlassen, weil es der Ansicht war, der Stpfl. habe seinen Gesellen einen lohnsteuerpflichtigen Essenszuschuß von täglich 1,50 DM in bar ausgehändigt. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß gegen diesen vom FA angenommenen Sachverhalt ernsthafte Bedenken bestehen. Es konnte ohne Rechtsverstoß die schriftlichen Bestätigungen der Arbeitnehmer für glaubwürdig halten, nach denen der Stpfl. ihnen nicht 1,50 DM täglich bar ausgezahlt, sondern ein unentgeltliches Mittagessen gegeben hatte. Diese Umstände begründen jedoch so ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, daß das FG die Vollziehung dieses Bescheids in vollem Umfang hätte aussetzen müssen.
Das FG hat dem Aussetzungsantrag nur in Höhe von 100 DM stattgegeben, weil es meint, der Haftungsbescheid sei nach dem vom Stpfl. vorgetragenen Sachverhalt teilweise rechtmäßig, da ein steuerpflichtiger Sachbezug auch in der unentgeltlichen Abgabe von Mittagessen zu erblicken sei. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das FG bei der Errechnung des auszusetzenden Betrags nicht teilweise über das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) hinausgegangen ist, in dem es für das Jahr 1965 einen höheren Haftungsbetrag (1,53 DM täglich) als das FA (1,50 DM täglich) angesetzt hat. Die teilweise Ablehnung des Aussetzungsantrags war jedenfalls schon deshalb fehlerhaft, weil das FG ihm rechtliche Erwägungen zugrunde gelegt hat, die nicht ins Aussetzungs-, sondern ins Hauptverfahren gehören. Das FG war zwar berechtigt und verpflichtet, bei einem vom Stpfl. neu vorgetragenen Sachverhalt die Frage zu prüfen, ob nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten der angegriffene Haftungsbescheid doch rechtmäßig sein konnte. Die obigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids können durch solche überlegungen aber nur beseitigt werden, wenn diese auf einer im wesentlichen unbestrittenen und unzweifelhaften Rechtsansicht beruhen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das FG hat den Haftungsbescheid in Höhe der üblichen Mittelpreise bei unentgeltlich abgegebenen Mittagessen als rechtmäßig angesehen, weil es der Ansicht ist, es sei nicht an die Anweisung in Abschn. 15 Abs. 1 Satz 3 LStR 1960/65 gebunden, nach dem unentgeltliche Mahlzeiten an Arbeitnehmer von der Verwaltung "aus Vereinfachungsgründen" lohnsteuerfrei zu lassen sind, soweit der geldwerte Vorteil für den Arbeitnehmer arbeitstäglich 1,50 DM nicht übersteigt. Man kann zwar mit dem FG die Frage aufwerfen, ob diese sogenannte Vereinfachungsregelung auf einer ordnungsmäßigen Rechtsgrundlage beruht und deshalb von den Steuergerichten zu beachten ist. Der Senat hat hierauf bereits im Urteil VI 46/64 U vom 5. Februar 1965 (BFH 82, 155, BStBl III 1965, 302) hingewiesen, ohne zu diesen Fragen jedoch abschließend Stellung zu nehmen. über diese höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage durfte das FG nicht im Aussetzungsverfahren befinden. Die Entscheidung muß ebenso wie die endgültige Beweisaufnahme über die im Aussetzungsverfahren glaubhaft gemachten Tatsachen dem Hauptverfahren überlassen bleiben.
Dem Aussetzungsantrag war daher stattzugeben. Da das FA den Haftungsbescheid inzwischen berichtigt hat, war der auszusetzende Haftungsbetrag auf 486,80 DM zu begrenzen.
Fundstellen
Haufe-Index 412517 |
BStBl III 1967, 469 |
BFHE 1967, 537 |
BFHE 88, 537 |