Rz. 10
In der Praxis sind Deckungskonzepte verbreitet, in den der Versicherer auf sein Recht zur Anfechtung bzw. zum Rücktritt gegenüber den versicherten Personen verzichtet, die den Rücktritts- oder Anfechtungsgrund nicht herbeigeführt haben. Hat also etwa einer von drei Vorständen falsche Angaben getätigt und ficht daraufhin der Versicherer den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an, hat der betreffende Vorstand, der die Angaben fehlerhaft getätigt hat, keinen Versicherungsschutz, wohl aber die beiden anderen Vorstandsmitglieder. Solche Klauseln werden als Severability-Klauseln bezeichnet.. Die sog. einfachen Severability-Klauseln beschränken bzw. verhindern nur die Wissenszurechnung zwischen den Versicherten (siehe dazu bereits oben unter A-7 AVB D&O V 3). Die qualifizierten Severability-Klauseln haben zum Ziel die Leistungsfreiheit des Versicherers zu begrenzen und den Versicherungsschutz redlicher bzw. gutgläubiger Versicherter zu erhalten und zwar selbst dann, wenn eine Nichtigkeit des Versicherungsvertrags vorliegt.
Rz. 11
Beispiele aus der in der Praxis verwendeten AVB:
"Tritt der Versicherer wegen der Verletzung von Anzeigepflichten vom Versicherungsvertrag zurück oder erklärt er die Anfechtung seiner auf Vertragsabschluss oder -verlängerung gerichteten Willenserklärung und sind die Umstände, die den Versicherer zum Rücktritt oder zur Anfechtung berechtigen, einer versicherten Person nicht bekannt gewesen, so sind der Rücktritt und die Anfechtung dieser versicherten Person gegenüber unwirksam, wenn die versicherte Person in Anspruch genommen wird."
oder auch:
"Die Kenntnis, das Verhalten oder das Verschulden einer versicherten Person wird einer anderen versicherten Person nicht zugerechnet. Unvollständige und unrichtige Angaben zu den gefahrerheblichen Umständen berechtigen den Versicherer nicht zur Kündigung, Rücktritt und Anfechtung des Vertrages. Kein Versicherungsschutz besteht für diejenigen versicherten Personen, die die unvollständigen oder unrichtigen Angaben gemacht haben bzw. davon Kenntnis hatten."
Rz. 12
Auch eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die gerichtliche Geltendmachung ist anzutreffen:
"Tritt der Versicherer wegen der Verletzung von Anzeigepflichten vom Versicherungsvertrag zurück oder erklärt er die Anfechtung seiner auf Vertragsabschluss oder -verlängerung gerichteten Willenserklärung und sind die Umstände, die den Versicherer zum Rücktritt oder zur Anfechtung berechtigen, einer versicherten Person nicht bekannt, so sind der Rücktritt und die Anfechtung dieser versicherten Person gegenüber unwirksam, wenn die versicherte Person gerichtlich in Anspruch genommen wird."
Ebenso gibt es Klauseln, die nur eingeschränkt die Wissenszurechnung "kappen", z.B. nicht hinsichtlich Falschangaben zur finanziellen Situation:
"Fehlerhafte und unterlassene Anzeigen und Angaben im Antrag/Fragebogen werden nur jenen versicherten Personen zugerechnet, die den Antrag ausgefüllt und/oder unterzeichnet haben oder von der falschen Antragsdeklaration Kenntnis hatten (Verzicht auf Wissenszurechnung). Eine Wissenszurechnung für alle versicherten Personen findet hingegen statt, wenn die Fragen zur finanziellen Situation im Antrag/Fragebogen falsch deklariert wurden."
Rz. 13
Nach der hier vertretenen Auffassung (siehe die Ausführungen oben unter II. und unter A-8 AVB D&O unter II und III) findet ohnehin keine Zurechnung statt, so dass es der vorgenannten Klausel nicht bedarf. Die Klausel stützt aber die Auslegung, dass jede versicherte Person ihren eigenständigen Vertrag zu seinen Gunsten hat, der durch Anfechtung gegenüber der Versicherungsnehmerin nicht zerstört werden kann.
Rz. 14
Die drei ersten vorgenannten Klauseln verhindern sogar – anders als andere in der Praxis verwendeten Klauseln – eine Zurechnung der Umstände wie des arglistigen Verhaltens oder auch grob fahrlässiger Falschangaben, die zum Rücktritt berechtigen. Das heißt auch der Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG – nicht nur die Anfechtung – würde nicht von einer versicherten Person über die GmbH bzw. direkt von der GmbH, bei der ggf. auch eine nicht versicherte Person gehandelt haben könnte, einer anderen versicherten Person zugerechnet werden. Im vorgenannten Beispiel des Geschäftsführers, der die Antragsfrage falsch beantwortet hat, hätten die anderen Organpersonen Versicherungsschutz. Bei der vierten Klausel könnte diese so ausgelegt werden, dass diese nicht eine Zurechnung zur GmbH verhindert. Der Geschäftsführer, der die Falschangabe tätigte, ist ihr Repräsentant und sein Verhalten würde der GmbH zugerechnet, was dann zur Folge hätte, dass der Versicherer danach immer noch den Versicherungsvertrag anfechten oder vom Versicherungsvertrag zurücktreten könnte. Dies könnte der Versicherer dann auch dem Geschäftsführer entgegenhalten, der nicht arglistig, vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.
Rz. 15
Es ist allerdings problematisch, ob der Versicherer auf sein Recht zur Arglistanfechtung oder auf sein Recht zum Rücktrit...