Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung. Arbeitsunfall. Wegeunfall

 

Leitsatz (amtlich)

Wegeunfälle sind nach Inkrafttreten des § 8 Abs. 2 Ziffer 1 SGB VII (juris: SGB F) am 1.1.1997 Arbeitsunfälle. Für durch sie bedingte Arbeitsunfähigkeit ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZGS (juris: EntgFG) volle, nicht auf 80 % gekürzte Entgeltfortzahlung zu leisten. Dies folgt aus der von § 550 RVO abweichenden, neuen gesetzlichen Systematik der §§ 7 bis 9 SGB VII (so auch Waltermann, NZA 1997, 179, Giesen, RdA 1997, 194; Preis, NJW 1996, 3375 entgegen Löwisch, NZA 1996, 1013).

 

Normenkette

SGB VII § 8; EFZG § 4 Abs. 1

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 741,60 DM brutto (i.W.: Siebenhunderteinundvierzig 60/100 Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 21.11.1997 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird auf 741,60 DM festgesetzt.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung.

Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten, die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung betreibt.

Am 25.06.1997 verunfallte der Kläger um 5.04 Uhr als Beifahrer eines Arbeitskollegen auf dem Weg von seinem Wohnort zum von der Beklagten vorgegebenen Arbeitseinsatzort in Rheda/Wiedenbrück.

Aufgrund des Unfalls war der Kläger vom 25.06.1997 bis zum 03.08.1997 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 v.H. des dem Kläger regelmäßig zustehenden Arbeitsentgelts. Der Differenzbetrag zu 100 % des regelmäßigen Arbeitsentgelts beträgt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit unstreitig 741,60 DM brutto. Zur Zahlung dieses Betrages forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.1997 erfolglos auf.

Der Kläger ist der Ansicht, Wegeunfälle seien Arbeitsunfälle im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Im übrigen könne sich die Beklagte gem. § 6 EFZG bei dem Verursacher des Unfalls schadlos halten, die hierzu erforderlichen Angaben habe der Kläger bereits gemacht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 741,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG in der Fassung ab dem 01.10.1996 begründe keine Pflicht zur Fortzahlung des vollen regelmäßigen Arbeitsentgeltes bei Wegeunfällen. Da der Wegeunfall dort nicht ausdrücklich genannt werde, könne er nicht in diese Ausnahmevorschrift mit einbezogen werden. Das Wegerisiko sei nicht Teil des Betriebsrisikos des Arbeitgebers, sondern gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat aus §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 741,60 DM brutto.

Der Kläger war, wie es § 3 Abs. 1 EFZG voraussetzt, durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft. Hieraus resultiert sein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 25.06. bis zum 03.08.1997.

Der Höhe nach ergibt sich der Anspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG. Danach bemißt sich die Höhe der Entgeltfortzahlung abweichend von Satz 1 nach dem Arbeitsentgelt, daß dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zusteht, wenn der Arbeitnehmer infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 des 7. Buches des Sozialgesetzbuches begründenden Tätigkeit einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit im Sinne des VII. Buchs des Sozialgesetzbuches erleidet.

Der Kläger ist als Beschäftigter gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Er ist Arbeitnehmer der Beklagten. Weiter erlitt er infolge seiner den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit einen Arbeitsunfall i.S.d. SGB VII. Gemäß § 8 SGB VII Abs. 1 sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist gem. § 8 Abs. 2 Ziffer 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der früher in § 550 Abs. 1 RVO geregelte Wegeunfall hat mit der gesetzgeberischen Neuregelung des Unfallversicherungsrechts mit der Inkraftsetzung des SGB VII seine Eigenständigkeit verloren und ist zum gewöhnlichen Arbeitsunfall geworden (Preis, NJW 1996 S. 3.369, 3.375). Auch Unfälle auf dem Hin- und Rückweg zum Arbeitsort sind Arbeitsunfälle, für die der volle regelmäßige Arbeitsverdienst fortzuzahlen ist (Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge EFZG 4. Aufl. 1997 § 4 Rdnr. 69; Giesen, RdA 1997 S. 193, 194 m.w.N. in Fußnote 9). Dem läßt sich nicht, wie Löwisch (NZA 1996 S. 1.009, 1.013) argumentiert, entgegenhalten, in § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG werde die Berufskrankheit genannt, die nach § 551, Abs. 1 Satz 1...

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