Dr. iur. Klaus Rinck, Dr. iur. Rupert Czinczoll
Rz. 140
Die gütliche Einigung des Rechtsstreits, die während des ganzen Verfahrens und somit auch in der Berufungsinstanz angestrebt werden soll (§§ 64 Abs. 7, 57 Abs. 2 ArbGG), erscheint als das probateste Mittel, um den Rechtsfrieden wiederherzustellen; denn ein durch Vergleich beendeter Rechtsstreit hinterlässt keine Sieger und Besiegten und eröffnet den Parteien überdies sonst nicht vorhandene Gestaltungsspielräume (ausführlich zum Vergleich: § 28). Im Jahr 2021 wurden durch Vergleich 33,9 % aller Berufungsverfahren erledigt gegenüber einer Quote der streitigen Urteile von 32,9 %.
Rz. 141
Vor dem Berufungsgericht entspricht es oft dem Wunsch der Parteien, möglichst alle noch bestehenden Streitigkeiten umfassend beizulegen. Sind inzwischen weitere Verfahren anhängig, etwa über Annahmeverzug oder Zeugnisberichtigung, sollte der Prozessbevollmächtigte auch diese Aktenvorgänge vor dem Termin nochmals durchsehen und zur Verhandlung mitbringen. Dasselbe gilt für weitere Unterlagen, die für die Bezifferung – und damit für die Vollstreckbarkeit – etwaiger vergleichsweise zu regelnder Zahlungsansprüche erforderlich sein können (z.B. Arbeitslosengeldbescheid).
Rz. 142
Will der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz behalten, kann ein Wiedereinstellungsvergleich gerade in der Berufungsinstanz einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss darstellen: Der Arbeitgeber stellt den Arbeitnehmer zu einem in naher Zukunft gelegenen Zeitpunkt unter Anrechnung seiner Vordienstzeiten wieder ein, während der Arbeitnehmer im Gegenzug ganz oder teilweise auf etwaige zwischenzeitlich aufgelaufene Annahmeverzugsansprüche verzichtet. Wird ein Kompromiss, der auf eine weitere Zusammenarbeit der Parteien hinausläuft, angestrebt, erscheint es nach aller Erfahrung besonders wichtig, dass die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten um ein gutes Verhandlungsklima bemüht sind, sich im Ton gegenüber der anderen Partei mäßigen und diese nicht durch unnötige Provokationen verärgern.
Rz. 143
Schließlich spielt vor dem Berufungsgericht – anders als beim Arbeitsgericht, wo die Sonderregelung des § 12a ArbGG gilt – auch die Kostenregelung eine Rolle, und zwar insbesondere dann, wenn eine oder gar beide Parteien nicht rechtsschutzversichert sind. Bei nicht vollkommen unausgewogenen Prozesschancen 2. Instanz ist es üblich, die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufzuheben und es wegen der erstinstanzlichen Gerichtskosten bei der arbeitsgerichtlichen Kostenentscheidung zu belassen. Aber auch jede andere Kostenregelung ist denkbar.
Rz. 144
Auch im Berufungsverfahren kann ein Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO im schriftlichen Verfahren festgestellt werden.
Rz. 145
Vor dem Berufungsgericht finden über § 64 Abs. 7 ArbGG auch die Regelung des § 54 Abs. 6 ArbGG über die Institution des Güterichters, obwohl es in 2. Instanz eine Güteverhandlung i.S.d. § 54 Abs. 1 bis Abs. 5 ArbGG nicht gibt (siehe Rdn 122), sowie die – davon abzugrenzende – Vorschrift des § 54a ArbGG über Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung Anwendung.
Rz. 146
Nach § 54 Abs. 6 ArbGG kann der Vorsitzende die Parteien vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. Ein Antragserfordernis oder ein sonstiges Mitspracherecht der Parteien lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Da aber niemand zu einem Vergleich oder einer anderen Art der unstreitigen Verfahrensbeendigung verpflichtet werden kann, erscheint es insbesondere für das Berufungsverfahren angemessen, dass ein Einigungsversuch vor dem Güterichter nur stattfindet, wenn die Parteien zustimmen.
Rz. 147
Wer als Güterichter zuständig ist, muss im Geschäftsverteilungsplan des LAG vorgesehen sein und ist damit vorgegeben. Wollen die Parteien, dass eine andere Person ihre Schlichtungsgespräche leitet, können sie den Weg über § 54a ArbGG beschreiten.
Rz. 148
Im Unterschied zum Güterichterverfahren kann eine Mediation oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung den Parteien durch das Gericht nur vorgeschlagen werden (§ 54a Abs. 1 ArbGG). Es ist also gesetzlich klar geregelt, dass das Arbeits- oder Landesarbeitsgericht den Parteien ein solches Verfahren nicht gegen ihren Willen aufoktroyieren kann.