Digitale Debatte über Produktivität und Leistung

Hybrides Arbeiten ist Fakt. Ob und wie der Wechsel zwischen mobilem Arbeiten, Homeoffice und Bürostunden nach der Pandemie gelebt werden wird, hängt davon ab, ob das Arbeitsmodell auf den Unternehmenserfolg einzahlt. Das ist eine Chance, aber kein Selbstläufer. Darüber sind sich Praktiker, Berater und Wissenschaftler auf dem virtuellen IAO-Zukunftsforum einig.

Freitag, 26. März, 8.30 Uhr: Eine volle Stunde gehört der "Produktivität und Leistung in der Hybridität". 60 Minuten sind je nach Standpunkt stark konzentriert oder ziemlich knapp für dieses Riesenthema. Doch das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) traut sich und geht die Debatte digital an. Es hat aus dem zweitägigen Zukunftsforum 2021 ein monatliches virtuelles Kurzprogramm gemacht. Unter dem Titel "Von New Work zu New Better – Impulse für eine neue Arbeitswelt" begleitet das IAO die Teilnehmer und Teilnehmerinnen kontinuierlich in kleinen Videokonferenz-Portionen in den Tag, immer frühmorgens.

Zur Diskussion um Wirtschaftlichkeit und Wert hybrider Arbeit waren drei Kenner digitaler Welten eingeladen: Michael Plentinger, Gründer und CEO der Greple Gmbh in Fürth, die Kunden People Analytics anbietet und für ihre eigene Unternehmenskultur Preise einheimst; Unternehmensberater Manfred Loistl, der bei der inhabergeführten Ingenics AG in Ulm Personal und strategische Ausrichtung verantwortet; Andreas Enneking, der als HR Executive Advisor bei SAP Success Factors Personalabteilungen in Zentral- und Osteuropa mit technisch versierten Programmen unterstützt.

Produktivität und Leistung nach einem Jahr Pandemie wieder im Lot

IAO-Forschungsbereichsleiter Stefan Rief jonglierte die Diskussion, einige wenige Fragen aus dem Chat und per Mentimeter das Publikums-Feedback. In der Spitze lauschten fast 400 Menschen dem virtuellen Podium. Zum Start gaben 178 von ihnen an, jetzt produktiver zu arbeiten, nur 30 meinten, ihre Leistungsfähigkeit habe durch das Übermaß an mobilem Arbeiten gelitten. Ihren Mitarbeitern sprachen 155 Teilnehmer eine gestiegene Produktivität zu und 68 eine niedrigere. Die meisten Stimmen sahen Produktivität und Leistung nach einem Jahr Pandemie wieder im Lot.     

Kaum anders war das Ergebnis bei den drei Podiumsteilnehmern: Ein Selbstläufer sind Homeoffice und mobiles Arbeiten nicht. Aber mit einiger Übung und strukturellen Anpassungen in der Arbeitsweise werden gute Ergebnisse erwirtschaftet. So verweist Berater Loistl auf die Spezifika seiner Branche. Schon vor der Corona-bedingten stärkeren digitalen Arbeitsorganisation waren seine Kollegen und Kolleginnen mehr bei Kunden als in ihren Büros. Ergebnisorientierte Führung sei deshalb eine bekannte Größe bei Ingenics mit seinen rund 700 Mitarbeitern an 18 Standorten. Jetzt aber könne die Reise- als Produktivzeit genutzt werden, man betreue mehrere Projekte gleichzeitig.

Die wenigen Live-Termine absolvieren Berater und Kunden seiner Einschätzung sehr effektiv. "Die Bereitschaft der Kunden, im Remote zu arbeiten, hat sich erhöht", berichtet Manfred Loistl. "Gleichzeitig ist der Dokumentationsaufwand geringer, weil ohnehin digitale Tools genutzt werden." Freilich müsse man die eigenen Leute qualifizieren, damit Videoformate und persönliche Kommunikation funktionieren. Für Personalmanager sieht er außerdem einen Vorteil darin, dass Teilzeitkräfte leichter integrierbar werden.        

Künstliche Intelligenz soll mehr Fairness schaffen

Für Unternehmer Plentinger hat sich die Umstellung auf rein digitales Arbeiten nicht so glatt angefühlt. "Anfangs waren wir weniger produktiv, weil der Kommunikationsaufwand zu hoch war", erinnert er sich. "Der Weg war holprig, aber jetzt ist unsere Produktivität sogar höher als vor der Pandemie." Gelungen ist das, weil das Team methodisch und transparent vorgegangen ist. "Jetzt können die Leute selbstbestimmt arbeiten und sich die Tools ziehen, die sie benötigen", erklärt er. "Wir müssen Leistungsstreben ermöglichen", betont Michael Plentinger, der Personalentscheidungen nicht nur schneller und besser machen, sondern die Arbeitswelt auf der Basis künstlicher Intelligenz auch fairer gestalten will. Für seine Kunden wie für Greple-Mitarbeiter gilt: "Wir müssen den Rahmen schaffen, damit die Tagesform, die durch äußere Einflüsse mitbestimmt wird, produktives Arbeiten zulässt." Ein Plädoyer, das on- und offline auch nach der Pandemie nicht an Sinnhaftigkeit verliert.   

Wenn schon KI-Spezialist Greple sich an produktives digitales Arbeiten herantasten musste, verwundert es nicht, dass auch SAP-Mann Enneking von "internen Knirschgeräuschen" berichtet. Zwar könne man bei digitalen Treffen schnell zusätzliche Experten heranholen und es gäbe technisch unheimlich schöne Lösungen, um Teambesprechungen im Flow zu halten. "Aber Führungskräfte müssen erst ein Gespür entwickeln für ihr Team, ehe die Zusammenarbeit reibungslos klappt", erfuhr Andreas Enneking. Der Personalprofi sieht in der Leistungsmessung neue Anforderungen auf die Führungskräfte zukommen. Und: "Für das jährliche Mitarbeitergespräch wird digitales Arbeiten zum Sargnagel."

Führungs- und Steuerungsmethoden müssen sich noch herausbilden

Dem widersprach IAO-Institutsleiter Wilhelm Bauer keineswegs, der sich mit wissenschaftspraktischen Beiträgen immer wieder zu Wort meldete. Im Gegenteil: Insgesamt müssten sich Führungs- und Steuerungsmethoden für digitales Arbeiten erst noch herausbilden. Bauer fragt: Welche Arbeitszeit schreiben Mitarbeiter auf, die in zwei Meetings gleichzeitig sitzen? Sind sie doppelt produktiv? Führt die Verdichtung zur Gehaltserhöhung? Wie hoch sind die gesundheitlichen Risiken der Entgrenzung? Er hält ein Dashboard für ein "gutes, sensibles, verlässliches Instrument in der aktuellen Arbeitskontrolle". Mit Big Brother habe das nichts zu tun.

Trotz seiner Argumente konnten sich im Publikum nur 84 Teilnehmer und Teilnehmerinnen vorstellen, die eigene Produktivität per App zu messen. 149 würden es ausprobieren wollen, 33 waren unsicher und 35 strikt dagegen. Im Chat gab es dazu Fragen, die offen blieben, weil die Stunde so rasch vorbei war. Das einzige Manko des Formats: Ob dort einige User frustriert zurückblieben, konnte nicht eruiert werden.

Zukunftsideen für hybrides Arbeiten

Vielleicht trösteten aber auch die Zukunftsideen der Podiumsteilnehmer. Für die Zeit, in der hybrides Arbeiten Pandemie-befreit weiterentwickelt werden wird, setzt Michael Plenting auf die Experimentierkultur bei Greple: "Die Methoden müssen zu den Anforderungen passen." Andreas Enneking will die Führungskräfte fürs hybride Arbeiten stärken. Und für Manfred Loistl soll das Team gemeinsam die Kennzahlen für die Prozesse entwickeln, damit alles zusammenspielt. "Führung als Coach wird wichtiger werden", fasst IAO-Chef Bauer zusammen.

IAO-Zukunftsforum zu "Lernen und Innovationen in verteilten Situationen"

Am 23. April geht das IAO-Zukunftsforum in die nächste Runde. Angekündigt zu "Lernen und Innovationen in verteilten Situationen" ist bisher als Referent Thymian Bussemer, Bereichsleiter HR Strategie und Innovation der Volkswagen AG. Vielleicht gelingt es dem IAO noch, das Podium diverser zu gestalten als im März. Nachdem Michael Plentinger nämlich gleich zu Beginn seines ersten Statements ironisch auf die ausschließlich männliche Besetzung der Bühne hingewiesen hatte, gelobte Diskussionsleiter Rief immerhin, an der Diversität zu arbeiten.